»Du hast recht, es ist eine verzwickte Sache und bedauerlich ist sie obendrein; man weiß wirklich nicht, was man von all dem halten soll.«
»Entschuldige, meine Liebe, man weiß sehr wohl, was man davon halten soll!«
Aber Jane wußte nur eins mit Bestimmtheit: daß Mr. Bingley, wenn er wirklich das Opfer einer Täuschung sein sollte, darunter leiden würde, sobald die Geschichte ruchbar wurde.
Die beiden jungen Mädchen wurden in ihrer Unterhaltung, die im Garten stattfand, durch die Ankunft einiger der Personen, von denen die Rede gewesen war, unterbrochen: Mr. Bingley und seine Schwestern waren selbst nach Longbourn gekommen, um die Einladung für den langerwarteten Ball auf Netherfield zu überbringen. Der kommende Dienstag war dafür ausersehen.
Die beiden Damen waren überglücklich, ihre liebste Freundin wiederzusehen, nannten die Tage, die sie sich nicht mehr getroffen hatten, eine Ewigkeit und erkundigten sich wiederholt, was sie in der ganzen Zeit seit ihrer Trennung getrieben habe. Der übrigen Familie schenkten sie kaum Beachtung. Sie vermieden nach Möglichkeit, in Mrs. Bennets Nähe zu kommen, richteten hier und da ein Wort an Elisabeth und übersahen alle anderen vollkommen. Sie brachen sehr bald wieder auf und nahmen so hastigen Abschied, als flüchteten sie vor Mrs. Bennets überschwenglicher Höflichkeit.
Die Aussicht auf den Ball in Netherfield rief allgemeinen Jubel unter den Damen der Familie hervor. Mrs. Bennet fühlte sich berechtigt, darin eine besondere Artigkeit gegenüber ihrer ältesten Tochter zu sehen, und empfand es als besonders schmeichelhaft, daß Mr. Bingley die Einladung selbst überbracht hatte. Jane malte sich einen fröhlichen Abend in Gesellschaft der Geschwister Bingley aus. Elisabeth freute sich darauf, den ganzen Abend mit Mr. Wickham tanzen zu dürfen und in Mr. Darcys Gesicht die Bestätigung alles Gehörten zu entdecken. Das frohe Vorgefühl von Lydia und Kitty richtete sich weniger auf irgend etwas oder irgend jemanden im besonderen; wenn sie auch ebenso wie Elisabeth beabsichtigten, den ganzen Abend mit Mr. Wickham zu tanzen, so war er doch beileibe nicht der einzige, mit dem zu tanzen ihnen Spaß gemacht hätte: schließlich war ein Ball, von welcher Seite man es auch betrachten mochte, ein Ball. Und sogar Mary glaubte, ihrer Familie versichern zu können, daß sie eine Teilnahme an dem Fest durchaus in Erwägung ziehe.
»Solange ich meine Vormittage ungestört für mich haben kann«, meinte sie, »genügt mir das. Ich halte es nicht für berechtigt, die gelegentliche Teilnahme an einer Abendunterhaltung als ein Opfer zu bezeichnen. Genau genommen hat die Gesellschaft einen Anspruch auf uns alle; und ich muß mich offen zu der Meinung bekennen, daß Mußestunden und Vergnügungen in gewissen Grenzen einen wohltuenden Einfluß ausüben können.«
Elisabeth war so gut gelaunt, daß sie, die Mr. Collins anzureden sonst möglichst vermied, ihn fragte, ob er ebenfalls die Einladung annehmen wolle und falls ja, ob er seine Teilnahme an dem abendlichen Tanzvergnügen für schicklich halte. Sie war recht erstaunt zu erfahren, daß er keinerlei Bedenken in dieser Beziehung hegte, und daß er weder einen Verweis seines Bischofs, noch einen Tadel von Lady Catherine de Bourgh fürchtete, wenn er sich am Tanzen beteiligte.
»Ich versichere Ihnen, liebe Cousine, daß ich durchaus nicht der Ansicht bin, ein Ball dieser Art, von einem vortrefflichen jungen Mann für seine nicht weniger ehrbaren Freunde veranstaltet, könne einem verwerflichen Zweck dienen. Nichts könnte mir ferner sein, als einen Einwand gegen das Tanzen vorzubringen, und ich hoffe sehr, im Laufe des Abends die Ehre zu haben, meine sämtlichen schönen Cousinen auffordern zu dürfen. Ich möchte auch gleich die Gelegenheit ergreifen und Sie, Miss Elisabeth, um die beiden ersten Tänze bitten. Ich hoffe, daß meine Cousine Jane diese Bevorzugung ihrer jüngeren Schwester nicht unrichtig deutet und darin nicht etwa ein ungebührliches Übergehen ihrer Person sieht.«
Elisabeth war erschlagen. Sie hatte sich schon darauf gefreut, diese beiden ersten Tänze Mr. Wickham reservieren zu dürfen – und statt seiner nun dieser Mr. Collins! Noch nie hatte ihre gute Laune ihr einen solchen Streich gespielt. Aber da war nun einmal nichts mehr zu machen. Mr. Wickhams Glück – und ihr eigenes – mußte eben ein wenig warten, und sie dankte Mr. Collins mit so guter Miene, wie das schlechte Spiel es ihr gestattete. Der Gedanke, daß seine Höflichkeit gar etwas mehr als Höflichkeit bedeuten könnte, war alles andere als ein Trost. Denn jetzt erst ging es ihr auf, daß offenbar sie von allen ihren Schwestern der Ehre für würdig befunden wurde, Hausfrau im Hunsforder Pfarrhaus zu werden und in Abwesenheit von passenderem Ersatz die Quadrille auf Rosings zu vervollständigen.
Diese Vermutung verwandelte sich schnell in Gewißheit, als sie Mr. Collins’ zunehmende, unablässige Aufmerksamkeit ihr gegenüber beobachtete und seine häufigen Anläufe zu Komplimenten über ihren Witz und ihren Verstand anhören mußte. Das belustigte sie ungemein, auch als Mrs. Bennet sie merken ließ, daß die Möglichkeit einer Heirat wenigstens ihr eine große Freude bereite. Elisabeth zog es jedoch vor, den Wink nicht zu beachten; sie wußte sehr wohl, daß ihre Antwort einen heftigen
Streit zur Folge haben würde. Vielleicht unterblieb Mr. Collins’ Antrag doch noch, und auf jeden Fall war es sinnlos, sich schon vorher aufzuregen.
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