In den Wald. Franz Orghandl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Orghandl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783991280620
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wusste Nina nun wirklich keine Antwort. Aber keine Antwort war in so einer Situation nicht gut, also nickte sie.

      „Und was macht der auf deinem Kopf?“, fragte Papa weiter.

      Nina war nicht sicher, ob sie bestätigen sollte, dass er auf ihrem Kopf gewesen war, jetzt lag er ja immerhin auf dem Boden. Auf den starrte sie fürs Erste.

      „Sieh mich an!“, sagte Papa mit seiner ernsten Allwissenheitsstimme und da wusste Nina endlich, dass er gar nichts wusste.

      Nicht allgemein, aber in diesem Fall. Sie sah ihm also gehorsam wie fest in die Augen. Das verunsicherte Papa irgendwie, denn richtig cool kann immer nur einer sein. Nina wollte nicht, dass Papa nicht richtig cool sein konnte, weil er es doch so gerne war. Es war seine Spezialität. Also schenkte sie ihm ein sehr zerknirschtes Lächeln, hob den Zweig auf und sagte:

      „Ich war im Wald.“

      Papas Gehirn drehte kurz eine Runde und dann lächelte er spitzbübisch zurück. Nina mochte es gerne, wenn er so lächelte.

      „Ach so“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Da braucht man so was natürlich.“

      Und er ging in die Knie, nahm den Tannenzweig aus Ninas Hand und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Obwohl Nina einsehen musste, dass Papa nicht einmal an den Wald glaubte, wenn er ein Stück davon in der Hand hielt, streichelte sie ihm die Wange, weil er lieb war und auf ihrer Seite. Auf ihrer Seite bedeutete, dass er ein Auge zudrücken würde und darüber hinwegsehen, dass er sie lange nach Schlafengehzeit tropfend im Elternschlafzimmer vorgefunden hatte. Und wenn Papa oder Mama ein Auge zudrückten, bedeutete das, dass sie Nina nicht an den jeweils anderen verpetzten, weil sie nun ein Geheimnis mit ihr teilten.

      „Zu dumm aber, dass du nicht daran glaubst“, murmelte Nina in ihren Polster, nachdem ihr Papa die Haare frottiert und sie zugedeckt hatte.

      Doch da konnte sie ihm freilich nicht helfen.

      3.

      Am nächsten Morgen hatten die grauen Schulweggassen einen Wind, der einem den Staub in die Augen blies und Sackerln und Sonderangebote über die Gehsteige tanzen ließ. Nina hielt ihre Schultasche an beiden Gurten, weil es sie sonst hin und her lenken wollte.

      An der Laterne im Beserlpark traf sie Luan und Leano. Luan war kaum größer als Nina. Er hatte braune Locken, die entweder hinter seinen Ohren oder unter einem Haarreifen steckten, und ernste, regengrüne Augen. Leano war bestimmt einen Kopf größer, hatte schwarzes, kinnlanges Haar und seine dunklen Augen lächelten, wann immer er einen ansah. Sie waren Brüder und beide älter als Nina, aber weil sie aus Albanien gekommen waren, hatte man sie in ihre Klasse gesteckt. Eigentlich sprachen sie gut Deutsch, aber sie waren sehr schüchtern, und wurden sie etwas gefragt, sagten sie oft einfach gar nichts. Wenn sie aber mit Nina alleine waren, erzählten sie ihr von Albanien, von den Bergen und vom Meer. Ein bisschen war es für Nina, als wäre Albanien Luans und Leanos Wald. Wenn sie davon erzählten, begannen ihre Augen zu leuchten und wenn die Lehrerin etwas davon mithörte, sah sie drein, als glaubte sie ihnen nicht. Warum, wusste Nina nicht, denn nach Albanien konnte man mit dem Flugzeug fliegen oder mit dem Auto fahren. Man musste durch keinen Schrank.

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      Leano gab Nina einen Packen gefülltes Fladenbrot. Wie immer hatte es seine Mutter in Zeitungspapier gewickelt und man wurde ein bisschen schwarz davon an den Händen, weil das Fett die Buchstaben auflöste. Nina gab ihm dafür von Papas Ringlottenstrudel, der war in einem Tiefkühlsackerl. Wenn Leano gegessen hatte, was Nina mit ihm tauschte, strich er das Sackerl immer ganz ordentlich glatt und nahm es mit heim. Luan aß nichts als Honigwaben. Die kaute er wie Kaugummi. Zuerst hatte er sie in einem riesigen Gurkenglas zur Schule gebracht und dann bald in Portionen in den alten Tiefkühlsackerln von Ninas Papa. Seine Zähne aber waren weiß und glatt, nicht so wie die von Tillmann Wildinger, die immer kleiner und brauner wurden. Dafür hatte Luan eine sehr heisere, murmelnde Stimme.

      „Vielleicht soll der Honig seinen Hals beruhigen“, hatte Mama geraten.

      Im Wald gab es auch Honig. Der hing in riesigen Waben in einem Felsspalt. Nina überlegte oft, ob sie Luan und Leano vom Wald erzählen sollte. Sie hatte Angst, dass sie ihr nicht glauben würden und dass sie die beiden dann weniger mögen würde, denn jetzt mochte sie sie sehr. Und dass sie, wenn sie ihnen den Weg zeigen wollte, genauso gegen die Schrankwand liefen wie Konstantin Mayer ins Unterholz.

      In der Klasse konnte Nina der Lehrerin nicht zuhören. Das ging sowieso meist schlecht, denn die sprach immerhin von der ersten Stunde bis zur letzten. Nina überlegte, ob die Lehrerin ihr so lange zuhören können würde. Ob sie das von Montag bis Freitag schaffen könnte. Die Lehrerin war nicht gemein und auch nicht nett. Sie hatte eine Brille auf, die irgendwie verbarg, welches Gesicht sie hatte. Es war beinahe so, als hätte sie gar keines. Nina hatte keine Ahnung, wie alt die Lehrerin sein sollte. Auch, dass sie einen Vornamen hatte, war seltsam. Aber den hatte sie, das stand sogar am Türschild der Klasse. „Gabriele“ hieß die Lehrerin mit Vornamen.

      „Nina, du sollst im Unterricht nicht aus dem Fenster sehen!“, sagte sie.

      „Haha, du sollst nicht aus dem Fenster sehen!“, sagte Stefan.

      Solange ich nur nicht zuhören muss, dachte Nina und richtete ihren Blick nach vorne.

      „Dass du bei den Schularbeiten gut bist, rettet deine Zeugnisnote nicht“, sagte die Lehrerin. „Und du musst endlich anfangen, Hausübungen zu machen.“

      „Haha, du musst Hausübungen machen!“, sagte Stefan.

      Nina stand auf und boxte Stefan ins Gesicht. So, wie einem das leider manchmal passierte. Aber natürlich passierte es einem normalerweise nicht im Unterricht. Und obwohl sich Nina gleich wieder setzte, bekam das Gesicht der Lehrerin um ihre Brille herum verschiedene Farben und sie rief:

      „Nina, gib mir dein Mitteilungsheft!“

      „Haha!“, sagte Stefan unter Tränen.

      Nina kramte in ihrer Schultasche, aber sie fand das Mitteilungsheft nicht. Das war nämlich ziemlich klein und man brauchte es gerade so selten, dass es nur zu gerne gleich ganz weg war. Dass sie es nun nicht fand, schien die Lehrerin persönlich zu nehmen.

      „Das Mitteilungsheft hat in der Schultasche zu sein!“, rief sie aufgebracht.

      Da war Nina ganz ihrer Meinung, aber dort war es nicht.

      „Dann werden dir deine Eltern ein neues kaufen müssen!“, rief die Lehrerin weiter.

      „Oder ich suche es daheim“, schlug Nina vor.

      „Ja, das möchte ich dir wirklich sehr empfehlen“, sagte die Lehrerin.

      Zu Hause half Nina Mama beim Spaghetti kochen. Sie machten einen großen Topf Sugo und stellten einen großen Topf Wasser auf. Sie mochten Spaghetti sehr gerne.

      „Du, Mama“, sagte Nina.

      Mama sah sie mit ihren braunen Rehaugen an und Nina wollte ihr viel lieber etwas Besseres sagen, als dass sie vielleicht zur Lehrerin musste und Papa auch.

      „Also die Lehrerin“, sagte Nina.

      Mama stöhnte auf, sie wollte nie so gerne etwas von der Lehrerin hören. So begann Nina anders.

      „Zuerst hab ich in die falsche Richtung geschaut und dann den Stefan ins Gesicht geboxt“, sagte sie.

      „Mann Nina, ins Gesicht boxt man nicht“, sagte Mama.

      Sie musste zum Herd springen und die Flamme drosseln, denn das Sugo begann zu spritzen.

      „Und wenn man in der Stunde nicht aufpasst, lässt man sich wenigstens nicht dabei erwischen!“

      „Ja und dann hab ich noch das Mitteilungsheft vergessen. Oder vielleicht verloren.“

      Nina seufzte.

      „Und was ist jetzt?“, fragte