bOOk oF liFe. Jess Pedrielli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jess Pedrielli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847612537
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Ureus langsam die Stufen der Treppe hinabzusteigen, welche an einem runden Pool vorbei in den Garten hinunter und von dort über einen Pfad zum Strand führten. Er schlenderte durch den Garten und sog genüsslich die Luft ein. Zypressen, Zitronen- und Olivenbäume, die knorrig in den Himmel ragten, verströmten ihre Aromen. Dort, wo die Sonne auf einzelne Blätter fiel, hoben sie sich in leuchtendem Grün gegen den wolkenlosen Himmel ab. Vom Strand her drang das Rauschen der Wellen zu ihm herauf, während eine frische Brise sanft mit seinen langen weißen Haaren und weiten Gewändern spielte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

       Ich liebe diese Welt

      . Er legte den Kopf in den Nacken und schaute in die grenzenlose Weite über sich.

       Ich werde nie genug haben vom Leben. Niemals.

      Er öffnete die Arme und ließ sich vom Wind umwehen. Dann setzte er seinen Weg zwischen den Bäumen zum Strand hinunter fort. Die Geister folgten ihm stumm.

      Am Strand angelangt, schimmerte ihm das Meer mit silbernen Funken entgegen, die dort aufsprühten, wo das Sonnenlicht sich an der Wasseroberfläche brach. Ureus nahm die Schönheit des Augenblicks in sich auf und wirkte wie eine verlassene Sandburg, wie er da reglos am Ufer verharrte und seinen Blick über das offene Meer schweifen ließ. Übermütig streckte er die Zunge in den Wind, um die salzige Luft zu schmecken. Er konnte hören, wie das Meer nach ihm rief und gab ein leises Lachen von sich.

       Zu leben ist das Erstaunlichste, was mir je passiert ist

      . Und es war noch nicht vorbei. Seine Mission war noch nicht beendet.

      Heiter blickte er auf das gleichmäßige Auf und Ab der Wellen, bis längst verwitterte Zeilen aus ihrem Versteck in seine Erinnerung traten:

      No limits nowhere but floating colours, Inside-out, eternal fellas. Sparkling diamonds on a surface, rays of sunlight with a purpose, which was once known but is forgotten, until we once again will hit the bottom.

      Die Geister murmelten untereinander. Vom Gehen ermüdet, setzte sich Ureus im Sand nieder und begann in seiner Gewandtasche zu kramen, aus welcher er ein zerfleddertes Buch hervorzog. Bedächtig strich er mit seinen schwieligen Fingern die zerknitterten Seiten glatt, bevor er es einen Moment zärtlich in den Händen wiegte. Dann legte er es ungelesen neben sich ab. Eine angenehme Mattigkeit bemächtigte sich seiner, wie so häufig in den letzten Wochen.

      Mit einem Ächzen ließ er sich rücklings in den Sand fallen und schloss die Augen. Die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Körper entrissen ihm einen wohligen Seufzer.

       Die Natur war schon immer meine Lieblingsdroge

      . Zufrieden verschränkte er die Arme im Nacken und überließ sich den tanzenden Farben und Bildern, die vor seinem inneren Auge vorbeiglitten wie Fische, die stetig in tieferes Wasser abtauchten. Sein Geist folgte ihrer Spur und verlor sich kurz darauf gemeinsam mit ihnen im Dunkel.

      Der Sand schmiegte sich enger an seinen alten Freund, während die Baumwipfel von oben ihren schützenden Blick auf ihm ruhen ließen. Ein kräftiger Windstoß ergriff das kleine Buch neben Ureus und blätterte die Seiten auf. Aufgeregt tuschelnd kamen die Geister näher.

       II.

      Zu aufgewühlt um einschlafen zu können, warf sich Mingus im Bett rastlos von einer Seite auf die andere. Nur noch eine Nacht. Eine e i n z i g e Nacht! Er konnte es kaum erwarten. Endlich S I E B E N! Am nächsten Morgen würde er tatsächlich sieben Jahre alt sein. Eine enorme Zahl, fand er. Warum wusste er nicht so genau, doch diese Zahl übte eine besondere Anziehungskraft auf ihn aus. Er wurde diese Vorahnung nicht los, dass sich mit ihr etwas ganz Entscheidendes für ihn verändern würde. Als würde etwas Wichtiges mit ihr beginnen. Eine Mission ihren Lauf nehmen. Oder irgend so etwas Ähnliches zumindest. Verändern würde sich auch zweifellos etwas, allein dadurch, dass er bald eingeschult wurde. Dieser Umstand bedeutete für Mingus vor allem Eines: Triumph. Triumph durch Wissen. Oder Ebenfalls-Wissen. Er würde endlich alles lernen, was sein älterer Bruder Rhun bereits wusste. Hah!

      In ihrem ewigen brüderlichen Wettstreit war das seiner Meinung nach von unschätzbarem Vorteil. Einfache Worte und Sätze konnte er bereits lesen und schreiben. Das hatte er sich, zur Verwunderung seiner Eltern, vor einigen Jahren schon selbst beigebracht. Permanent verarbeitete er seine Erlebnisse kritzelnd, malend und schreibend auf Papier. Sein Bruder hatte im Alter von vier Jahren eine ähnliche Frühreife gezeigt und vorzeitig die Fähigkeit entwickelt, Additionen und Subtraktionen mit Zahlen bis zu 150 im Kopf sowie mit Hilfe seiner zehn Finger durchzuführen. Sie waren beide keine Genies, besaßen aber einen regen, neugierigen und wachen Intellekt, der sich früh bemerkbar machte.

      Leider wussten ihre Eltern nichts damit anzufangen und so blieben diese Begabungen weitestgehend unbeachtet. Bei Mingus schien es ihnen ohnehin manchmal, als ob ein alter Mann den Körper eines Kindes bewohnte. Besonders, wenn man seinen Fragen lauschte. Fragen, die buchstäblich Gott und der Welt galten.

      Sehr anstrengende Fragen waren das teilweise - und zwar sowohl für Mingus als auch für sein Umfeld. Dazu gesellte sich bei Mingus noch eine gehörige Portion Frustration über das beklagenswerte Unvermögen der Erwachsenenwelt, ihm befriedigende Antworten auf seine tiefschürfenden Fragen zu liefern. Im alltäglichen Lauf der Dinge bedeutete der Jüngste zu sein für ihn außerdem, ständig als letzter über alles informiert zu werden. Jeder schien bereits über das Meiste Bescheid zu wissen, das ihm neu und unbekannt oder fremd, unerklärlich sowie beängstigend vorkam. Das kränkte ihn in seinem Stolz. Was das Erlernen von Tätigkeiten wie das Binden von Schnürsenkeln oder die Handhabung eines Brotmessers betraf, waren die Erwachsenen brauchbare Erklärer. Aber wenn er etwas Wesentliches über das Leben oder diesen Unsinn mit dem Sterben in Erfahrung bringen wollte, taugten sie durch die Bank herzlich wenig, lautete sein ungnädiges Urteil.

      Beim bloßen Gedanken an ihre Erklärungsversuche schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Sie hatten nicht den blassesten Schimmer, was die großen Dinge des Lebens anging. Das war ihm recht schnell klar geworden. Am meisten irritierte es ihn, dass er ihnen einfachste Grundlagenfragen stellte, auf die sie seltsamerweise dennoch keine Antwort wussten. Dabei hätte er schwören können, dass es sich bei seinen drängenden Fragen um eine Art elementares Basiswissen der Menschheit handeln musste. Hatte denn noch niemand jemals eine Gebrauchsanweisung für sein Leben als Mensch erhalten, worin stand, worauf die Angelegenheit eigentlich hinauslaufen sollte? Seine Rolle als Erdbewohner stellte ihn jedenfalls täglich vor größere und kleinere ungelöste Rätsel. Zum Beispiel leuchtete es ihm keineswegs ein, warum er überhaupt irgendetwas so tun sollte, wie man es ihm sagte. Umgeben von schlecht informierten Leuten, schien es ihm nicht besonders ratsam, ihren Anweisungen uneingeschränkt Folge zu leisten. Die sinnvollere Option bestand für ihn daher darin, prinzipiell erst einmal alles zu hinterfragen, was sich ihm in der Welt darbot. Er hoffte auf diese Weise, halbwegs unbeschadet durchs Leben zu kommen. So eine Existenz als Kind war kein Zuckerschlecken! Von allen Seiten forderten mit nur mäßigem Wissen ausgestattete Personen, die er zudem erst wenige Jahre kannte, eine Art blinden Gehorsam von ihm.

      Er hätte eine ebenbürtigere Behandlung eher begrüßt. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie ihm zum Beispiel nachvollziehbare Sachverhalte oder Beweggründe mitgeteilt hätten, auf welche sich ihre ihm gegenüber angemaßte Befehlsgewalt überhaupt stützte. Mit Logik und einer vernünftigen Argumentationskette wäre durchaus an seine Kooperationsbereitschaft zu appellieren. Ganz besonders verabscheute er den Satz „Du machst das jetzt, weil ich es dir sage“. Das war eine würdelose Beleidigung seiner Intelligenz! Er war doch kein schwanzwedelnder Schoßhund, dem man Kommandos hinwarf wie Hundekuchen! Abgesehen davon, hegte er den leisen Verdacht, dass auch den Schoßhunden das mit dem Befehl und Gehorsam weniger gut gefiel als deren „Herrsch´chen“.

      Mingus seufzte. Wo doch Gehorsam so gar nicht seine Sache war ... Er mochte es eben nicht sonderlich, wenn man ihn herablassend behandelte. Er wollte selbst mitentscheiden dürfen. Warum erläuterte einem niemand einfach die Wahlmöglichkeiten in einer gegebenen Situation inklusive deren jeweiliger