Im Himmel gibt es keine Tränen. Yvonne Tschipke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yvonne Tschipke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783738087789
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Und Pia hat sie gefunden und für die Verpackung von Erdbeerbonbons gehalten“, erklärte ich schon sichtlich genervt, aber ganz zufrieden mit meiner kleinen Notlüge, die meine Eltern mir anscheinend doch abnahmen. Denn plötzlich war das Gespräch beendet. Mit einem letzten skeptischen Blick in meine Richtung verließen die beiden das Zimmer.

      Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Ich wusste nicht, ob meine Erklärung sie zufrieden gestellt hatte oder ob sie mir noch immer nicht glaubten. Aber das Gegenteil konnten sie mir ja auch nicht beweisen. Doch mir war klar, dass sie von jetzt an sicher genau aufpassen würden, was sich so in meinem Umfeld tat.

      Mit einem leisen Seufzer ließ ich mich auf mein Bett fallen. Ich nahm mein Handy zur Hand und suchte den Chat zwischen mir und Tom.

      „Bis bald mal wieder“ stand da als letztes.

      „Hi Tom, war schön vergangene Nacht“, tippte ich. Dann löschte ich die Worte schnell wieder. Nach einem Augenblick schrieb ich sie erneut.

      „Hi Tom, war schön vergangene Nacht. Treffen wir uns morgen am Bootsanleger? Mila.“

      Ich zögerte noch einen Moment, bevor ich die Nachricht abschickte. Doch schließlich drückte ich auf „Senden“.

      Es dauerte nur einen Augenblick, dann piepte mein Handy neben mir. Hektisch nahm ich es zur Hand.

      „Hi, Mila-Maus. Lebst du noch?“, las ich. Mila-Maus – so nannte mich nur eine. Emma. Ich hatte den ganzen Tag nicht einmal daran gedacht, ihr eine Nachricht zu schreiben oder ihr zu antworten.

      „Hi, Emma. Sorry, hatte mein Handy verlegt“, log ich tippenderweise.

      „Wohin bist du gestern Abend verschwunden?“, kam einige Sekunden später Emmas nächste Nachricht.

      Scheiße, Emma hatte ja gar nicht mitbekommen, dass ich mit Tom gegangen war. Sie hatte anscheinend alle Hände voll mit Felix zu tun.

      „Ich war müde. Bin nach Hause“, lautete meine kurze knappe Antwort. Nein, ich wollte Emma nicht absichtlich belügen. Ich wollte mit ihr per Whatsapp aber weder meine Entjungferung, noch meinen Beziehungsstatus auswerten.

      „Sehen wir uns morgen?“, fragte sie. Ich zögerte. Es gab nichts, was ich lieber getan hätte. Außer, mich mit Tom zu treffen. Doch seine Antwort stand ja noch aus.

      „Mal sehen. Gute Nacht“, schrieb ich und drückte auf „Senden“.

      Emma schrieb nicht mehr zurück. Tom reagierte auch nicht. Vielleicht war er müde – von der vergangenen Nacht und vom Fußballspiel. Irgendeine Erklärung gab es sicher, dachte ich, bevor ich sanft ins Reich der Träume hinüber glitt.

      Als ich am anderen Morgen am Frühstückstisch erschien, war alles wieder normal. Niemand wollte mehr etwas von der Herkunft gewisser Folientütchen wissen. Und keiner stellte in Frage, ob ich die Nacht von Freitag auf Samstag tatsächlich alleine zu Hause verbracht hatte.

      Alles war wie immer. Wie an jedem Sonntag sträubte ich mich zunächst dagegen, zusammen mit meiner Familie und Oma Magda zum Gottesdienst in die Stadtkirche zu gehen. Schließlich ließ ich mich breitschlagen und ging mit. Beim Mittagessen im Biergarten von Papas Lieblingsitaliener redeten mal wieder alle durcheinander, ganz besonders Omi, die wie immer versuchte, mit jedem von uns gleichzeitig Gespräche über grundverschiedene Themen zu führen. Ich klinkte mich schon recht bald gedanklich aus und drehte abwesend mein Smartphone in den Händen. Immer wieder starrte ich auf das Display. Aber noch immer hatte ich keine Nachricht von Tom empfangen. Gut, vielleicht hatte auch er Familientag, tröstete ich mich. Auch, wenn das nur ein schwacher Trost war.

      Schließlich piepte mein Handy doch und unter den vorwurfsvollen Blicken meiner Mutter las ich die angekommene Nachricht: „Bin heute ab drei am Bootsanleger. Du auch?“

      Kapitel 6

      Der Anleger war unser Lieblingsort. Boote legten da schon lange nicht mehr an. Seit es im Hafen auf der anderen Seite des Sees einen neuen Anleger gab, verfiel der alte Holzsteg mehr und mehr. Aber meine Freunde und ich fühlten uns dort wohl. Die kleine Bucht, umgeben von Bäumen und Gestrüpp, war unser Rückzugsort am Nachmittag. Hierhin verirrte sich niemand, der hier nichts zu suchen hatte. Ab und zu vielleicht ein paar Touristen, die den Radweg verfehlten. Doch ansonsten gehörte die Bucht uns ganz allein. Wenn es regnete fanden wir in dem kleinen Bootshaus, das am Ufer stand, Zuflucht. Trotz der unzähligen Löcher im Dach waren wir hier geschützt.

      Im Bootshaus hatte sich so manche meiner Freundinnen während der einen oder anderen Party mit ihrem Lover zurückgezogen und klammheimlich ihre Unschuld verloren. Okay, klammheimlich war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn jeder von uns wusste, was im Bootshaus geschah, wenn zwei allein dorthin verschwanden. Da ich in der vergangenen Nacht mein weiches Bett den harten Holzdielen vorgezogen hatte, konnte ich mir sicher sein, dass keiner unserer Freunde von Tom und mir wusste.

      Emma saß schon auf dem Steg und ließ ihre nackten Füße ins Wasser hängen, als ich am Nachmittag zum Treffpunkt geradelt kam. Sie trug ein leichtes Trägertop und ihren superkurzen, superschicken Minirock. Genießerisch ließ sie ihr Gesicht von der Sonne bescheinen.

      Ich ließ mein Fahrrad ins Gras fallen und ging zu ihr auf den Steg. Emma tat so, als würde sie mich nicht hören, dabei knarrte jede der Holzbohlen laut, wenn ich sie mit den Füßen berührte.

      Auch als ich mich neben sie auf den Steg setzte und meine Schuhe auszog, reagierte meine Freundin nicht.

      „Hi, Emma. Alles klar?“, fragte ich.

      Emma drehte mir ihr Gesicht zu und schob ihre große Sonnenbrille ins Haar.

      „Bei mir schon. Und bei dir?“, erwiderte sie.

      Ich plätscherte mit meinen nackten Zehen im Wasser herum. Gerade in diesem Augenblick musste ich auf einmal an Toms große wunderbare Füße denken, die unter meiner Decke hervor geschaut hatten. Eine kleine wohlige Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper, die aber gleich wieder verschwand, als ich daran dachte, dass er mir noch immer nicht geantwortet hatte.

      Emmas Tonfall klang nach einer Mischung aus beleidigt und schnippisch. Wobei es da fast keinen Unterschied gab. Wenn Emma beleidigt war, reagierte sie immer auch schnippisch.

      „Bist du sauer auf mich?“, fragte ich.

      „Hätte ich einen Grund?“

      Ich holte tief Luft. Das konnte ja ein lustiger Nachmittag werden.

      „Ich weiß nicht. Sag du mir, was ich angestellt habe“, schlug ich vor.

      Emma sah mich eine gefühlte Ewigkeit schweigend an. Ihre Blicke lasen mein Gesicht.

      „Irgendetwas ist anders an dir. Ich bin mir nur noch nicht ganz so sicher, ob es das ist, was ich denke“, murmelte sie.

      Ich erschrak innerlich. Hatte sie es tatsächlich gemerkt? Wie machte sie das?

      Kriegte man einen riesigen Pickel auf der Stirn, wenn man keine Jungfrau mehr war?

      Oder bekam man ein verräterisches Leuchten in den Augen? Oder waren es die roten Hektikflecken an den Wangen, die einen verrieten? Erschien der Busen jetzt größer? Oder der Bauch dicker? Oder lief man anders?

      Ich musste grinsen bei all meinen blödsinnigen Gedanken.

      Emma drehte ihren Kopf wieder in Richtung See.

      „Jonah hat mir erzählt, dass er Tom gestern früh aus deinem Haus kommen gesehen hat“, erklärte sie mit einer Selbstverständlichkeit in der Stimme, dass mir schlagartig übel wurde.

      Gleichzeitig überkam mich eine derartige Wut auf Jonah, die mich fast dazu brachte, auf mein Rad zu springen und zurück in die Stadt zu rasen, um ihm eine reinzuhauen.

      Doch ich versuchte, meinen Schreck zu vertuschen. „So, hat er das?“, fragte ich scheinbar gelassen. „Was hast du denn mit Jonah Steinberg zu schaffen?“ Ich konnte eine gewisse