Leise schlich ich mich in die Küche, holte Muttis kleine Stehleiter und kletterte hinauf. Auf der oberen Stufe angekommen öffnete ich die große schwere Flügeltür des Küchenschrankes, griff mit meiner kleinen Patschhand hinein, fasste in die runde Plastikschüssel, nahm eine Hand voll Nüsse heraus und steckte sie in meine Hosentasche.
Nachdem ich das ein paarmal wiederholte, war ich überzeugt, genug Erdnüsse für das arme, hungrige Eichhörnchen eingepackt zu haben.
Vorsichtig kletterte ich die Leiter wieder hinunter und stellte sie in die Ecke. Dann zog ich meine dicke Winterjacke an, setzte meine lustige rote Pudelmütze auf und zog die schweren braunen Fellschuhe an. In dieser Aufmachung begab ich mich
nach draußen. Leise, ganz vorsichtig öffnete ich die Haustür, ging ein paar Schritte Richtung Teich, dort wo ich das zierliche, schmale Eichhörnchen vermutete. Doch das scheue Tier musste mich gehört haben und blieb zunächst verschwunden. Ich konnte es jedenfalls im Moment nicht entdecken. Ich griff in meine vollgestopfte Hosentasche und packte alle meine Vorräte in die vielen kleinen und großen Löcher.
„Guten Appetit“, sagte ich und verschwand genauso leise, wie ich gekommen war.
Als ich meinen Fensterplatz wieder erreichte, sah ich gerade noch wie das kleine braune Wesen mit einem meiner lebensrettenden Erdnüssen verschwand.
Als Mama vom Einkaufen zurückkam erzählte ich ihr von meinem Erlebnis und sie erklärte mir, dass Eichhörnchen sehr vergeßlich sind und die Stellen, wo sie sich im Sommer Nahrung vergraben, nur sehr selten wieder finden, und deshalb überall im Garten kleine Wallnussbäume sprießen. Anschließend machte sie mich aber darauf aufmerksam, dass ein so kleiner Junge wie ich nicht auf eine Leiter klettern sollte, weil dies zu gefährlich ist! Gleichzeitig stellte sie mir die Plastikschüssel auf den Tisch, damit ich sie leicht erreichen konnte.
Mein Eichhörnchen war aber offensichtlich nicht so vergeßlich, die Stelle, wo es frische Erdnüsse gab, in den nächsten Tagen immer wieder aufzusuchen. Es blieb solange vor dem Fenster sitzen und sah mich fragend an bis ich ein paar Erdnüsse in die vorbereiteten Löcher gelegt hatte!
Der Igel und das Auto
Die Sonne war bereits hinter dicken Wolken verschwunden, hatte sich ihre wärmende Bettdecke bis über beide Ohren gezogen und wartete auf den nächsten Morgen, wo sie ihren anstrengenden Dienst am Himmel wieder aufnehmen musste.
Ihre Ablösung am Himmel, der Herr Mond, musste nur nachts arbeiten. Er wollte seinen schweren Nachtdienst eigentlich jetzt antreten, aber die dichten, fetten Wolken ließen dies vorerst nicht zu. Sie jagten am Horizont entlang und warfen ein düsteres, nichts Gutes ahnendes Bild auf unsere Erde. In der Ferne blitzte und funkelte es und nach einer gewissen Zeit ertönte ein tiefes, dumpfes Grollen!
Ein Gewitter war im Anrollen.
Am Straßenrand saß ein kleiner Igel und hoffte noch vor dem großen Regen auf die andere Straßenseite zu kommen.
Der kleine putzige Kerl hatte es schon mehrfach versucht, aber immer wenn er eines seiner kleinen Füßchen auf den warmen Asphalt gesetzt hatte, erzitterte dieser, erschienen zwei Lichter am Horizont und ehe er sich versah, raste eines dieser stinkenden, lärmenden Ungetüme an ihm vorbei, das die Menschen Auto nannten!
Gerade als er den fünften oder sechsten Versuch unternehmen wollte, setzte urplötzlich dieser furchtbare Regen ein, der sein Unterfangen noch erschweren sollte! Trotzdem setzte er seinen rechten, zierlichen Fuß auf die Straße, nachdem er zuvor erst nach links und dann nach rechts geschaut, wie es ihm seine Igelmama gelernt hatte. Die Sicht war durch den starken Regen sehr beeinträchtigt, aber dennoch sah er im diffusen Abendlicht, hinter häßlich klatschenden Regentropfen die zwei Lichter in der Ferne, die schnell näher kamen. Schnell zog er sein Füßchen zurück und bevor er sich richtig einigeln konnte, donnerte ein dunkler Schatten an ihm vorbei. Die Räder schoben eine Bugwelle vor sich her, die den kleinen, schwachen Igeljunior mit voller Wucht trafen! Naß wie ein aufgeweichter Schwamm fand er sich einen halben Meter neben der Straße wieder, als auch schon das nächste, krachmachende, übelriechende Gefährt vorbeischoß! Wieder ergoß sich eine Riesenwelle über den unglücklichen, kleinen Igel.„Na wenigstens habe ich das Duschen heute schon hinter mir“, dachte der kleine Schlingel und setzte zum nächsten Versuch an.
Diesmal schien tatsächlich nichts zu kommen!
Blick nach links und Blick nach rechts und los ging es. Schnell setzte er ein Beinchen vor das andere, als der nasse Asphalt erneut zu beben begann. Der kleine Igelmann sah nach links und blickte in das taghelle, grelle Licht zweier Scheinwerfer, die mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf ihn zurollten! Zurückrennen war zu spät! In Windeseile rollte sich der kleine Kerl zusammen, gerade so wie es seine Igelmama bei Gefahr immer vorgemacht hatte.
Dann raste die dunkle Blechlawine über ihn hinweg. Er sah es nicht, aber er spürte wie sich alles an seinem kleinen Körper bewegte.
Dann plötzlich Ruhe, nur der Regen platschte weiter auf den nassen, dampfenden Asphalt und stieg dann in weißen Dunstwolken zum Himmel empor.
Der kleine Igel steckte vorsichtig das süße Köpfchen unter den schützenden Stacheln hervor. Tastete alle Stellen seines zierlichen, schmalen Körpers ab und stellte voller Entzücken fest, dass noch alles intakt und unversehrt war. Schnell rannte er die letzten Meter zum rettenden anderen Straßenrand, als kurz hinter ihm schon das nächste Auto vorbeifuhr und ihm noch eine letzte kleine Dusche verpaßte.
Der kleine Igel aber schwor sich nie wieder einen Weg zu nehmen, den die zweibeinigen Tiere, Menschen genannt, mit ihrem fahrbaren Untersatz benutzen und den sie Straße nennen. Außerdem schwor er diesen Abend zukünftig nur noch an Igelampeln die Wege zu überqueren. Da er dies auch strikt einhielt, lebte er noch viele Jahre ein schönes, unbeschwertes Igelleben.
Die Tulpe
Die Sonne erstrahlte vom Himmel, als habe sie Jahre nachzuholen. Ein Hauch von Wind jagte über die gerade frisch ergrünten Wiesen und ließ die Halme und Gräser in der milden Luft tanzen. Die Menschen bevölkerten Wiesen, Wege und Bänke und dank der wärmenden Frühlingssonne waren sie freudig erregt und von ansteckender guter Laune erfüllt. Hunde und Katzen tollten umher und schienen von der überschäumenden Lust ihrer Herrin oder ihres Herrchen angesteckt.
Auf den ersten Blick bot sich tatsächlich ein Bild von Glück und Zufriedenheit. Erst bei genauerem Hinsehen sah ich die farbenprächtige Tulpe mitten auf der saftig grünen Wiese. Ihre quittegelbe Blüte überstrahlte alles und doch war sie unglücklich und mir blieb das Tränchen an ihrem Kelch nicht verborgen. Ihr Blütenköpfchen drehte sich im Wind wie ein Karussell und drohte fast bei jeder Bewegung abzustürzen. Schwer neigte sich der Kopf auf dem zarten grünen Stiel und konnte sich nur mit äußerster Mühe gerade halten.
„Wenn mich jetzt nicht bald ein Bienchen von meiner Frucht befreit, werde ich mich wohl nicht mehr lange auf meinem langstieligem Fuß halten können“, dachte die Tulpe und hielt Ausschau nach dem rettenden Summen einer Honigbiene!
Weit und breit war nichts zu sehen. Wie sollte das Bienenvölkchen auch wissen, daß hier mitten auf der Wiese ein so sattes Frühstücksmahl bereitstand.
Als die im schönsten Zitronengelb erblühte Tulpe