Die Superaugen ... und der Theatergeist. Heidi Troi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Troi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783991280385
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langen schwarzen Locken.

      „Du kannst ihn ja einmal piksen. Ganz aus Versehen natürlich“, schlägt Ulli vor.

      Djamila zwinkert ihr zu. „Werde ich machen“, sagt sie.

      Aber Tim weiß schon, dass das nicht passieren wird. Sie streitet nie mit jemandem. Und sie pikst auch niemanden. Nicht absichtlich und nicht unabsichtlich.

      Wieder öffnet sich die Tür. Diesmal kommt mit einem Schwall eiskalter Luft Minimax herein. Im Schlepptau hat er seinen kleinen Bruder Benjamin, der sofort Oma Berta auf den Schoß krabbelt.

      „Kalt“, jammert er und sie macht sich daran, seine Arme und Beine warm zu rubbeln.

      „Freddie findet seinen Text nicht?“, sagt Minimax zur Begrüßung und beweist damit, dass er immer den Durchblick hat – obwohl er als Einziger von ihnen keine Brille trägt. In der Schule sagen die Mitschüler Minimax zu ihm, weil er der Kleinste in der Klasse ist. Nur die Superaugen nennen ihn bei seinem vollen Namen. Sie wissen, wie wichtig ihm das ist. Maximilian bedeutet „der Größte“ und für sie alle ist er der Größte. Ohne ihn würde der Schuhdieb noch immer sein Unwesen in der Schule treiben. Den Spitznamen hat ihm übrigens Freddie verpasst, genauso wie er für Ulli, Olli, Djamila und Tim den Namen „Superaugen“ eingeführt hat, weil sie alle eine Brille tragen. Dafür nennen sie ihn „Stoppelkopf“.

      „Woher weißt du das schon wieder?“, will Ulli wissen.

      „Hab ihn auf dem Spielplatz getroffen. Der ist vielleicht sauer. Hat eine Gardinenpredigt von Herrn Kümmerlich gekriegt, dass ihm die Ohren gewackelt haben. Und jetzt muss er zu ihm nach Hause, um eine Kopie zu kriegen.“

      Karl Kümmerlich ist der Regisseur. Er hat schulterlange Haare, ständig einen Hut auf und einen roten Schal um den Hals – im Winter wie im Sommer – und wäre viel lieber an einem Theater in London, wo seine Ehefrau als Schauspielerin arbeitet. Stattdessen führt er Regie für das Laientheater der Stadt und hilft seinen beiden Söhnen Pascal und Marcel bei den Hausaufgaben.

      „Und ihr meint, dass das auch dem Theatergeist zu verdanken ist?“, hakt Maximilian nach und nimmt sich ein Stück getrockneten Apfel.

      Djamila zuckt die Schultern. „Wem sonst?“

      Seit ein paar Wochen treibt ein Geist sein Unwesen. Einmal hat er die Speicherkarte mit den Pressefotos gelöscht. Für das neuerliche Fotoshooting hat die Theatergruppe einen ganzen Probentag verloren. Dann verschwand der Schlüssel für den Probenraum oder eben Freddies Theatertext. Kleine Zwischenfälle nur, aber dem Regisseur rauben sie den letzten Nerv.

      Djamila seufzt laut hörbar und erzählt weiter: „Grad gestern hat er gesagt: In diesem Projekt ist der Wurm drin. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen. Wir sind alle erschrocken, aber dann hat er nur dem Freddie die Haare verstrubbelt und gemeint: Aber wir kriegen das schon hin. Alle zusammen. Nicht wahr, Peter Pan?

      Karl Kümmerlich spricht seine Theaterkinder immer mit dem Namen ihrer Rollen an.

      „Ich kann verstehen, dass er sich ärgert“, sagt Ulli.

      Tim ist derselben Meinung. Er würde es jammerschade finden, wenn das Stück nicht aufgeführt würde. Djamila freut sich doch so darauf. Ob sie als Wendy durch die Luft fliegt? Sie macht ein großes Geheimnis aus der Aufführung und verrät überhaupt nichts.

      „Na ja. Jetzt muss ich gehen.“ Djamila steht auf.

      „Schon?“

      „Ja. Wir proben die Anfangsszene. Also nur die Darlings und die Peter Pans“, sagt sie. „Hoffentlich kann Dejan den Text. Bei der letzten Probe war das richtig mühsam.“

      Die vier übrigen Superaugen halten die gedrückten Daumen hoch und Djamila verlässt Oma Bertas Gartenhäuschen Richtung Gemeinschaftszentrum, wo auch der Theatersaal untergebracht ist.

      Olli legt ein Holzscheit ins Feuer. „Ich freu mich auf die Aufführung.“

      „Ich auch“, stimmt Ulli zu.

      „Ich hoffe nur, dass der Theatergeist am Ende nicht doch siegt.“ Tim seufzt. Jeder kennt das Temperament von Karl Kümmerlich. Wenn noch irgendetwas schiefgeht, macht er womöglich mit seiner Drohung ernst und sagt alles ab.

      Dabei würde Tim zu gern Djamila auf der Bühne erleben.

      „Das wäre doch eigentlich ein Fall für die Superaugen“, schlägt Minimax vorsichtig vor.

      Ulli schüttelt den Kopf. „Wir sind doch nicht Stoppelkopfs Sklaven, die ihm seinen Text suchen.“

      Es ist kein Geheimnis, dass sie und Freddie Todfeinde sind, seit er sie beschuldigt hat, der Schuhdieb zu sein. Das lässt sie ihm nicht einfach so durchgehen! Sie steht auf. „Ich muss noch Mathe machen.“

      Olli schiebt seinen Stuhl ebenfalls zurück. „Und ich muss zusehen, dass sie Mathe richtig macht“, sagt er und zwinkert Tim und Minimax zu. „Und dass sie unterwegs nicht ihren Kopf verliert.“ Wieder weicht er einem Boxhieb seiner Schwester aus. „Stimmt doch, Schwesterlein. Wir alle wissen, dass du allergisch gegen Ordnung bist.“

      „Nur der Idiot hält Ordnung“, gibt sie zurück. „Das Genie …“

      „… beherrscht das Chaos“, vollenden Tim und Minimax den Satz für sie.

      „Genau“, sagt Ulli, packt ihren Bruder an der Hand und zieht ihn nach draußen.

      Das Holz knackt im Bollerofen, Benjamins regelmäßige Atemzüge verraten, dass er eingenickt ist. Oma Berta hat ebenfalls die Augen geschlossen und summt leise vor sich hin.

      „Ich denke doch, dass das ein Fall für die Superaugen wäre“, meint Minimax nachdenklich.

      Tim stimmt ihm zu. „Bevor noch mehr passiert …“

       Kapitel 2

      Es ist Abend. Tim liegt in seinem Bett, seine Mama Yasmina ist mit gerunzelter Stirn in ihre Deutschübungen vertieft, auf der Nase ihre Brille aus dem Supermarkt. Er sieht ihr zu, wie sie Wörter in das Buch kritzelt, sie wieder löscht und neu schreibt. Sie lernt Deutsch und es ist nicht einfach für sie. Yasmina kommt aus Namibia. Tims Vater hat dort seinen Urlaub verbracht, sich unsterblich in sie verliebt und sie aus der Savanne in seine Heimatstadt gebracht. Aber ihre Haut ist auch nach vielen Monaten in seiner Heimat nicht heller geworden und da war Tims Vater wohl ein bisschen enttäuscht. Er und Yasmina haben ständig gestritten und eines Nachts hat sie ihren Sohn aufgeweckt und gesagt: „Timmi, wir müssen rasch weg.“

      „Wieso weg?“, hat Tim gefragt.

      „Wir dürfen umziehen! In ein Schloss.“

      „Ein Schloss?“ Tim hat große Augen gemacht und Yasmina hat ihn angestrahlt.

      „In ein richtiges Schloss. Mit Zinnen und mit kleinen Türmchen und mit Erkern. Aber wir müssen ganz schnell gehen.“

      Tim hat sich anziehen wollen, doch seine Mama hat den Kopf geschüttelt. „Du brauchst nur deine Jacke.“

      „Aber meine Kleider“, hat Tim gesagt.

      „In dem Schloss kriegst du alle Kleider neu. Prinzenkleider!“ Beschwörend hat sie ihn angeschaut und da ist Tim aus dem Bett gehüpft und hat ihre Hand genommen. Zusammen sind sie in ein Auto gestiegen, das vor dem Haus gewartet hat.

      „Und Papa?“, hat Tim gefragt.

      Yasmina hat den Kopf geschüttelt. „Das ist ein Haus, wo nur Frauen und Kinder wohnen. Da will Papa nicht hin.“

      Das Auto hat sie in das weiße Haus auf dem Hügel gebracht, das wirklich wie ein Schloss ausschaut. Hier leben sie seit ein paar Monaten und Tim gefällt es sehr. Ihm gefällt, dass ihn morgens die Schafe mit ihren leisen Glöckchen und ihrem Blöken wecken. Er liebt das Baumhaus im Kastanienhain und dass er die Stadt vom Erkerfenster ihres Zimmers aus von oben sehen kann.

      Yasmina