Die Nadel im Heuhaufen. Rudi Kost. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudi Kost
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595434
Скачать книгу
waren ausbezahlt worden. Die eine war, wie praktisch, mit einem Landwirtschaftsmecha­niker verheiratet, von der anderen wusste ich nichts.

      Anita Huber war sechs Jahre jünger und die Tochter eines Kleinbauern aus dem Nachbardorf. Außer ein paar mageren Äckern hatte sie vermutlich nicht viel in die Ehe eingebracht.

      Sie hatten für dörfliche Verhältnisse spät geheiratet, er mit zweiunddreißig, sie mit sechsundzwanzig, und bei der Hochzeit musste Anita un­übersehbar im sechsten Monat gewesen sein. Ihr Sohn jedenfalls kam drei Monate nach der Hochzeit zur Welt.

      Das war keine Schande, und deshalb wurde auch kein Geheimnis daraus gemacht. Zu jenen Zeiten heiratete man aus genau diesem Grund oder weil auf einen Hof eben eine Bäuerin gehört. Möglichst eine, die was mitbrachte. Liebe stellte sich automatisch ein. Oder auch nicht.

      Manchmal wurde die Zukünftige vermutlich auch auf ihre Gebärfähigkeit getestet. Schließlich braucht ein Hof Nachfolger. Und Arbeitskräfte.

      Gerd, der Heiratsgrund, war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Dann musste es im Hause Huber dieses Jahr ja eine Sil­berhochzeit gegeben haben, fiel mir auf. Ich hätte gratulie­ren sollen.

      Soweit ich es mitbekommen hatte, verstanden sich Vater und Sohn nicht besonders. Aber das war ja nun keine Sel­tenheit.

      So viel also wussten wir. Mehr würde ich bestimmt von den Nachbarn erfahren.

      Als Versicherungsvertreter ist man für seine Stamm­kunden auch so etwas wie ein Beichtvater. Nach dem Arzt. Und vor dem Pfarrer. Die Leute brauchen jemanden, dem sie von ihren Kümmernissen erzählen können. Und nach Hubers Todessturz würde die Gerüchteküche brodeln.

      »Na, dann schwing dich mal auf nach Hohenberg«, sagte Sonja.

      Ich schüttelte den Kopf und seufzte.

      »Das muss bis morgen warten. Ich habe heute Nachmit­tag einen anderen Termin.«

      Sie verstand. Ihr Grinsen hätte ich im günstigsten Fall als anzüglich bezeichnet. Vielleicht auch als hämisch. Mitlei­dig war es auf keinen Fall.

      Ich ging.

      Zur Stärkung genehmigte ich mir im Eiscafé gegen­über noch einen Sgropino.

      ***

      Mein Liebesleben lässt sich kurz und bündig mit einem Wort beschreiben: chaotisch. Das derzeitige Chaos hieß Helena, war zweiundzwanzig, sah süß aus, wenngleich die Eltern bei der Namenswahl doch etwas zu optimistisch gewesen waren, und hatte einen erfreulich üppigen Busen. Uns hatte die Not zusammengebracht. Sie arbeitete bei der Bausparkasse – ein Kleinstadtkind aus Heilbronn, das es erst vor kurzem nach Schwäbisch Hall verschlagen hatte und das noch dabei war, sich einen Freundeskreis aufzu­bauen. Sie war allein, und ich war’s derzeit auch wieder mal. Und als Mann von sechsunddreißig hat man auf dem Single-Markt nicht mehr unbedingt die große Auswahl. So trösteten wir uns gegenseitig. Es war nett, aber auch nicht mehr.

      Ich hatte mich zu einem Einkaufsbummel breitschlagen lassen. Sie war ja noch neu in der Stadt und hatte sich eigens den Nachmittag freigenommen.

      Das Programm sah des Weiteren ein Abendessen im »Hotel Hohenlohe« vor, dem Haller Renommier-Lokal mit bester Aussicht auf die Stadt, was mich eine Stange Geld kosten würde, und danach … Deswegen nahm ich diese ganze Tortur überhaupt auf mich.

      Mit Frauen einkaufen zu gehen, ist an sich schon eine Zumutung. Damit hatte mich schon meine Ex in unserer kurzen Ehe genervt. Aber Helena war einsame Spitze.

      Sie hatte sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, den gesamten Schotter durchzuprobieren, der in den einschlägigen Geschäften auf den Bügeln hing. Nicht bloß anzuschauen. Tatsächlich anzuziehen.

      Helena erwartete von mir nicht nur Geduld, sondern auch Kommentare. Und ich tappte doch immer wieder in die gleiche Falle.

      »Ein Rollkragenpulli mit kurzen Ärmeln? Das ist doch total unbrauchbar!«

      »Aber er voll megageil!«

      Nur die Farbe gefiel ihr nicht.

      Helena pendelte weiter zwischen Drehständern und Um­kleidekabine. Ich vertrieb mir derweil die Zeit mit intensi­vem Studium der aktuellen Mode. Bauchfrei finde ich gut. Tiefe Dekolletés finde ich auch gut. Ich starrte also den anderen jungen Mädchen auf die nackten Bäuche und in die Ausschnitte und stellte kritische Vergleiche an. War schon was dran, dass die Jugend immer dicker wurde, da wackelte und schwabbelte doch so einiges.

      Ich durfte nur nicht so auffällig starren. Nicht wegen der Mädchen. Wegen Helena. Von den jungen Schönheiten rings um mich erwiderte keine meine lüsternen Blicke. Ich war ein Nichts. Ein altes Nichts.

      Helena war inzwischen merklich angesäuert, weil ich an allem etwas auszusetzen hatte. Warum fragte sie dann überhaupt, wenn sie es gar nicht hören wollte?

      Ich begann ernsthaft, mir um den weiteren Verlauf des Abends Sorgen zu machen.

      Helena kam mit einem rosa Zopfmusterpulli aus der Kabine. Ich fand ihn grässlich. Sie fand ihn, natürlich, voll krass. Ihr Vokabular war in der Hinsicht etwas eingeschränkt. Ihr Geschmack auch.

      »Diese Farbe steht mir super«, sagte sie.

      Ich sagte nichts. Ich wurde vorsichtiger.

      »Aber findest du nicht auch, dass der meinen Busen zu sehr plattdrückt?«, fragte sie.

      Ich besann mich auf die bewährte Taktik.

      »Total platt«, sagte ich, obwohl ich das anders sah. Da­mit war dieser Pulli sofort erledigt.

      Bei der nächsten Hose machte ich den Test.

      »Die macht sehr breite Hüften«, gab ich zu bedenken.

      Die Hose wurde ausgesondert.

      So einfach war das also.

      Helena konnte sich natürlich für nichts entscheiden, wofür ich ausgesprochen dankbar war. Nicht eines dieser Stücke hätte ich geschenkt haben wollen. War das nur mein Geschmack, oder war das schon das Alter?

      Wir zogen weiter. Glücklicherweise ist das Schwäbisch Haller Geschäftsleben überschaubar, aber aus der Sicht eines zum Einkaufsbummel genötigten Mannes gibt es immer noch entschieden zu viele Kleiderläden. Von Schuh­geschäften ganz zu schweigen.

      Ich war erschöpft und sinnierte, ob das erwartete Ende dieses Tages in einem angemessenen Verhältnis zum Auf­wand stehen würde. Allerdings war ich mittlerweile Ex­perte, in welchen Geschäften die hübschesten Mädels ein­kaufen gingen.

      An den wirklich teuren Boutiquen lotste ich Helena erfolgreich vorbei, mit dem schlagenden Argument, das Angebot sei nur für die reifere Dame. Womöglich wäre sie sonst auf den Gedanken gekommen, sich von mir was schenken zu lassen.

      Begehrliche Blicke in die Schaufenster konnte ich nicht verhindern. Ich schaute pro forma mit, war angemessen beeindruckt und teilte aus vollem Herzen ihre Meinung, das sei doch arg viel Geld für solche Fummel.

      Als ich da so durchs Schaufenster ins »Il Senso« von Gra­zyna Bauer glotzte, das früher mal schlicht »Lädle« hieß, auf die Hosen von Joop, die Pullis von Armani, die Röcke von Versace, hatte ich eine Halluzina­tion, die nur eine Folge meiner modemäßigen Überreizt­heit sein konnte.

      Ich schaute nochmals. Die Halluzination blieb. In der Tat, in der Boutique tummelte sich Huber junior. Er schar­wenzelte um eine Frau herum, die ich nur von hinten sah. Schlank. Eng geschnittener, schwarzer Mantel. Lange, dunkle Haare.

      Was, um alles in der Welt, wollte der junge Huber­-Bauer in diesem teuren Laden? Kein Wunder, dass die Hubers auf eine schnelle Auszahlung der Lebensversicherung drängten.

      Ich überredete Helena zu einer Espresso-Pause im »Simonetti« gegenüber, mit direktem Blick auf das Modegeschäft.

      Natürlich war kein Fensterplatz frei. Deshalb erhaschte ich lediglich einen flüchtigen Blick auf die Frau, die gemeinsam mit Huber die Boutique verließ. Ich konnte sie nur undeutlich erkennen. Jedenfalls