DAS GESCHENK. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847628156
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dem deckenhohen Panoramafenster und stellte sich neben ihren Bruder. Ein paar Sekunden lang sah sie über den Hafen hinweg in die Ferne. „Auch wenn Richter Gomez mir das Jagen verboten hat: Ich will, verdammt noch mal, wenigstens einmal wieder richtig satt werden! Alle dürfen sich nach Herzenslust bedienen und für mich bleiben immer nur die Reste.“

      „Selbst schuld!“, stellte Adriano fest und hob kurz die Schultern. „Auf jeden Fall müssen wir vorsichtig sein. - Erinnerst du dich noch an die Diego-Affaire? Ich war damals ja direkt dabei, in Santander. Der kleine, gierige Nasenbohrer hat’s übertrieben, genau wie du, und was war? Eltern, Polizei, Presse, Pfarrer, alle tagelang in höchster Aufregung. Zum Glück konnten wir die Leiche der Kleinen noch rechtzeitig verschwinden lassen. Sie gilt heute noch als entführt und vermisst. Wir können uns solche Eskapaden einfach nicht erlauben, sonst fliegen wir irgendwann mal auf!“

      Dolores wandte sich vom Fenster ab und sah Adriano auffordernd an. „Hast du jetzt ein ordentliches Geschenk für mich, oder nicht?“

      „Ich besorg dir eins.“ Adriano gab auf und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. „Lass uns erst eine Runde mit dem Boot drehen. Nasch ein bisschen, und heute Abend ziehen wir dann los.“

      „Du nimmst mich mit? Versprochen?“

      „Versprochen! Du kriegst dein Geschenk. Noch vor Mitternacht.“

      „Ein Mädchen!“, forderte Dolores. „Ich will ein Mädchen!“

      „Auch das!“, nickte Adriano und verzog das Gesicht. „Wenn du bloß endlich Ruhe gibst. Ist’s gut jetzt?“

      „Ach, Adriano, jetzt sei doch nicht so. Denk doch mal an die alten Zeiten.“

      „Das tue ich öfter.“

      „Du hast viel vergessen.“

      „Vielleicht. Vielleicht ist es auch gut so.“

      „Wie auch immer. Du weißt ja: wenn du mich brauchst, ich bin da.“

      Adriano sah sie einen Moment lang nachdenklich an. „Zu weit weg, zu lange her“, sagte er, wandte sich der Doppeltür zu, die hinaus auf die Empore über dem Achterdeck führte und stieß die Flügel auf. „Hey!“, rief er vom Kopf der Treppe aus den jungen Leuten zu, die unten auf dem Achterdeck warteten. „Seid ihr bereit?“ Aufmunternd breitete er die Arme aus. Er war wieder ganz der oberflächliche Playboy, den er sich als Rolle ausgesucht hatte.

      „Bereit!“, kam es vielstimmig von unten zurück.

      Adriano stieg mit schnellen Schritten die Stufen empor, die auf die Brücke der Killerbee führten, und Dolores konnte im Salon an seinen Schritten hören, dass er zum Steuerstand ging. Sekunden später sprang der erste der beiden Superdiesel an, die der Killerbee zu einer Spitzengeschwindigkeit von mehr als achtzig Stundenkilometern verhalfen. Der Boden des Salons vibrierte leicht.

      Die zweite Maschine erwachte mit dumpfem Grollen ebenfalls zum Leben, während ein Mann der Besatzung die Taue von den Pollern löste und schnell an Bord sprang.

      Sofort schob die ganz in Schwarz und Gelb gehaltene Killerbee sich von der Kaimauer weg und durchkreuzte langsam das Hafenbecken. Mit der Hafenmeisterei war nicht zu spaßen, da hielt sich sogar Adriano an die Vorschriften.

      Kaum hatten sie jedoch das Ende der Hafenmole erreicht, wurde die Killerbee schneller. Langsam steigerte Adriano die Geschwindigkeit, bis die Yacht mit Fullspeed mehr über, als durch die Wellen schoss.

      Auf dem Achterdeck wurden die ersten Flaschen geöffnet, und als die Killerbee nach knapp zwanzig Minuten im offenen Meer stoppte, waren die Passagiere schon bester Laune.

      Adriano kam vom Steuerstand hinab und auch Dolores gesellte sich zu den leicht angetrunkenen Gästen. Es war serviert. Die Party konnte beginnen.

      09 AUF DEM CATWALK

      Ich stehe oben auf der Treppe, die in unsere sogenannte Garderobe hinabführt und bin wütend auf mich selbst. Warum muss ich mich ausgerechnet vor Celine so blamieren? Dabei habe ich noch Glück gehabt, denn um ein Haar wäre ich ihr direkt vor die Füße gepurzelt. Ich mag gar nicht daran denken.

      Als sich mein Zittern etwas gelegt hat und ich das Gefühl habe, wieder ein Bein vor das andere setzen zu können, ohne die komplette Bühne zu zerlegen, folge ich Celine zur Garderobe. Warum fällt mir jetzt nur die Prophezeiung von Didier wieder ein?

      Zwischen den wehenden Zeltplanen in unserem Garderobenzelt sind Bänke aufgestellt, auf denen wir unsere Sachen ablegen können. Es ist wahnsinnig heiß hier drin und Pauline belegt für uns eine Bank in der Nähe der etwas nach oben gerollten Zeltwand, wo es luftiger ist.

      Das Licht ist optimal, zumindest für Leute, die sich nicht im Spiegel sehen wollen. Davon gibt es sowieso nur einen einzigen und der hat die ungefähre Größe eines Gästehandtuchs. Gut, dass wir uns schon vorher geschminkt haben.

      Celine quält sich mit fünf anderen Mädchen vor diesem winzigen Rechteck ab, um ihr Augen-Make-up aufzufrischen. Das geht natürlich nicht ohne Gekeife und Gezeter ab. Celine kann’s am besten. Man hört sie durch das ganze Zelt. „Jetzt geh doch mal mit deinem Kürbis vor meiner Nase weg, du doofe Kuh!“

      Oben auf der Treppe vor dem Vorhang zur Bühne steht die Assistentin der Organisationsleitung „Alléz, alléz!“ ruft sie im Kommandoton und klatscht dabei in die Hände. „Stellt euch mal in der Reihenfolge eurer Nummern auf.“

      Als wir schließlich dastehen, wie die Gänseküken, gibt es auf der anderen Seite des Vorhangs auf der Bühne irgendeinen Streit. Ein paar Männer diskutieren mit lauter Stimme. Es scheint um die gerade gespielte Musik zu gehen.

      Die junge Frau schaut kurz auf die Bühne und zuckt erschreckt zurück. Schnell eilt sie die Treppe hinunter ins Zelt und nimmt ein Kleenex vom Tisch. Oben hinter dem Vorhang sieht sie noch mal vorsichtig durch den Spalt. Der Streit scheint vorbei zu sein, Sie geht hinaus und ist ein paar Sekunden später wieder zurück. Ohne Kleenex.

      „Was war denn?“ fragen ein paar Mädchen. Ich würde das allerdings auch gerne wissen, denn so bleich, wie die Assistentin aussieht, scheint da draußen irgendetwas Unerfreuliches passiert zu sein.

      „Nichts, macht euch keine Gedanken, kann gleich losgehen. Seid ihr bereit?“

      „Ja“, antworten wir, aber es hört sich eher an, wie das Gemaunze kranker Kätzchen.

      „Gut! Du zuerst!“ Sie zeigt auf die Erste in der Reihe. Darauf wären wir von alleine natürlich nie gekommen.

      „Üch?“ fragt das Mädchen mit der Nummer Eins, auf das gezeigt wurde. Es scheint echt überrascht zu sein. - Na um meinen Intelligenztest muss ich mir wohl keine Sorgen machen, wenn das so weitergeht.

      Nach der Melodie von New York New York marschieren schließlich im Fünfmeterabstand zirka 20 Mädchen im Badeanzug über den Catwalk. Manche mit High Heels, manche in flachen Schuhen, wir mit nackten Füßen, ohne High Heels, aber mit hoch erhobenen Hacken, so als hätten wir welche an, was uns einen Sonderapplaus beschert.

      Fleur, Felix und ich werfen, wie vorher geprobt, unsere bunten Tücher über die Schulter, legen eine Hand auf die Hüfte und schieben am Ende des Catwalks kurz die Sonnenbrille runter. Alles kommt saugut an, das Publikum tobt.

      So weit so gut, aber nun kommt diese Karaoke - Geschichte. Mir ist nur noch schlecht. Wie konnte ich nur Eternal Flame aussuchen? Ich werde husten und mich verschlucken und überhaupt nicht singen können. Als mein Name aufgerufen wird, sage ich mir immer wieder: Du singst zu Hause Sopran, du kannst das, nimm dich zusammen!

      Meine Unsicherheit wächst, als ich schließlich ganz allein vor dem Mikro auf der Bühne stehe. Tausend Augenpaare schauen mich an. Das Intro ertönt und ich habe vor lauter Aufregung Watte in den Ohren. Dumpf höre ich die Töne und starre auf den Teleprompter, wo gleich mein Text zu lesen sein wird. Ich bin innerlich total verkrampft. Verzweifelt schaue ich ins Publikum und sehe in lauter erwartungsvolle Gesichter. Zum zweiten Mal an diesem Tag würde ich am Liebsten