Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738064353
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Neben dem Postillon mit seinem Horn saß ein Begleitfahrer mit Plunderbüchse. Eine von jenen glattläufigen Büchsen, deren Lauf kurz und an der Mündung trichterförmig war. Gut geeignet, um einen Streuschuss abzugeben. Doch kein ernsthafter Räuber würde sich davon abschrecken lassen. Die Wirkung der Plunderbüchse war eher moralischer Art.

      „Wir hätten uns dem Lenz anschließen sollen“, knurrte Karl. „Wir hätten ordentliche Waffen gekriegt. Und sogar Pferde.“

      „Blödsinn.“ Hans lachte auf. „Du und ein Pferd. Du kannst ja nicht mal reiten.“

      „Aber ich kann es lernen!“, fuhr Karl auf. „Das Schießen habe ich auch gelernt.“

      „Ja, das stimmt“, räumte Hans ein. Er war der Jüngste und zugleich ihr bester Schütze. Eine ruhige Hand und ein sicheres Auge. Dennoch hatte er nur eine alte glattläufige Muskete bekommen. Ein wahres Prachtstück fürs Museum in Wiesbaden. Gerüchten zufolge stammte diese englische Muskete auch von dort. Man konnte gerade mal auf fünfzig Meter damit schießen. Darüber hinaus vielleicht noch einen Vogel erschrecken. Aber der Vogel musste dann schon sehr schreckhaft sein.

      Hans sah nervös auf den dunklen Lauf von Karls Gewehr. Auch eine englische Waffe. Doch immerhin handelte es sich um ein Baker Gewehr. Es hatte einen gezogenen Lauf, welcher der Bleikugel Drall verlieh und eine treffsichere Reichweite von fast dreihundert Metern. Damit ließ sich schon ein Dragoner oder Linieninfanterist der Königlichen wegputzen. Der Friedrich hatte sogar ein richtiges Jagdgewehr. Hatte es einem abgenommen, der es nicht mehr brauchte, da ihm ein Säbel den Kopf abschlug. Aber Friedrich hatte nicht mehr viel Munition dafür.

      Die waren ein komisches Volk, die Adligen. Friedrich würde sie nie verstehen. Die einen stimmten der Demokratiebewegung zu, die anderen bekämpften sie erbittert. Am schlimmsten war der Preuße. Die Nationalversammlung hatte eine Reichsverfassung verabschiedet und den preußischen König Friedrich Wilhelm IV zum Kaiser gewählt. Doch dieser lehnte die Krone ab. Ein paar sagten, er habe dies getan, weil nicht alle Bundesstaaten seiner Ernennung zugestimmt hätten. Andere behaupteten, der König habe keine Krone nehmen wollen, die ihm vom Pöbel gereicht worden sei. Friedrich glaubte eher letzteres. Wie oft hatten sich diese Adligen, und vor allem Könige und Kaiser, darauf berufen, von Gott persönlich auserwählt zu sein? Friedrich spuckte unbewusst aus und hob entschuldigend den Blick in imaginäre Weiten. Was den Adel mit Gott verband, das war die Tatsache, dass sie eine Ähnlichkeit mit einer wahren Plage hatten. Wen von ihnen kümmerte es denn, was das Volk dachte?

      Gott allein mochte wissen, wie viele Menschen im deutschen Südwesten für die Anwendung der Reichsverfassung protestiert hatten.

      In der Feste Rastatt hatten sich sogar die Soldaten der Demokratiebewegung angeschlossen und gemeutert. Die badischen Soldaten solidarisierten sich mit den Demokraten. Das Leibregiment des Großherzogs meuterte. Der edle Herr musste über Germersheim und Lauterburg nach Koblenz fliehen. Eine provisorische Regierung wurde in Karlsruhe gebildet. Es fanden erste demokratische Wahlen in Baden statt. Alle Männer mit Vollendung des 21. Lebensjahres erhielten das Wahlrecht. Die verfassungsgebende Versammlung von Baden, in Karlsruhe, unter Lorenz Brentano als Präsident der Regierung, wurde eröffnet.

      Friedrich sah sie Straße entlang. Von wo würden sie kommen? Gott, alles schien vorbei. Der Preußenkönig. Ausgerechnet der, dem man die Krone angeboten hatte. Die Truppen des Königs marschierten in der Pfalz. In Baden hatte es Scharmützel gegeben. Bei Waghäusel war die Freiheitsarmee zum Rückzug gezwungen worden.

      „Sie kommen“, meldete Hans sich.

      „Bist du sicher?“ Karl hob den Kopf und sah die Straße entlang.

      „Sicher bin ich sicher“, murmelte Hans. Er hatte die Augen zusammengekniffen und beschattete sie mit der Hand, denn die Sonne begann ungünstig zu stehen. „Sind Schützen. Ein Jägerregiment.“

      „Wir sollten verschwinden“, sagte Friedrich bedächtig. Er kratzte sich am Vollbart. „Wozu sollen wir noch den Kopf hinhalten? Die anderen sind auch verschwunden. Schurz haben sie geschnappt, Lenz und Wagner sind wer weiß wo. Nur wir sind noch hier.“

      „Und was ist mit unserer Freiheit? Mit unserer Demokratie?“ Karl wies auf die ferne Staubwolke, die sich über die Straße näherte. Dazwischen war das Aufblitzen von Metall zu sehen und hin und wieder ein schwacher Farbfleck. „Soll alles umsonst sein? Wegen denen?“

      Friedrich zuckte die Achseln. „Die meisten von uns sind doch eh schon weg. Und die da, die werden dir rasch zeigen, was sie von Demokratie halten.“ Er sah Hans an. „Bist du sicher, dass es Jägerschützen sind?“

      Hans nickte. Der Älteste erhob sich und klopfte Rasen von seiner Hose. „Das war es dann. Gegen Gewehre können wir nicht an. Lasst es uns dem Hauptmann sagen. Der wird wissen, was zu tun ist.“

      „Er wird kämpfen“, meinte Karl zuversichtlich. Er betastete das Schloss seines Baker-Gewehrs.

      „Wenigstens haben wir heute Pferde“, knurrte Hans und kickte einen Stein vom Weg. „Da sind wir schneller.“

      Seine Brüder lachten und Karl schlug ihm freundlich auf die Schulter. Staub stieg auf. „Da gib nur gut Acht, dass du uns nicht herunter fällst.“

      Es waren keine ausgesprochenen Reittiere, die sie hinter der Böschung an einen Strauch gebunden hatten. Aber selbst diese Arbeitspferde, die es gewohnt waren, einen Wagen zu ziehen, waren weit schneller, als die Soldaten des Preußenkönigs den Brüdern folgen konnten. Diese würden zudem nur kurz rasten und wussten, dass die Soldaten in der Nacht kampierten. Das gab den Verfolgten die Zeit, um Wiesbaden zu erreichen und dem Hauptmann Wenzel noch ausreichend Gelegenheit, die Verteidigung zu organisieren.

      Sie ritten vom Taunus herunter, über das Nerotal nach Wiesbaden. Nicht weit von der Trompetereiche entfernt. Eigentlich hätte sie Postillioneiche heißen müssen. Einst war hier die Postkutsche von einer Räuberbande überfallen worden. Der Postillon hatte noch einmal in sein Posthorn blasen können. Die Räuber waren noch mit Plündern beschäftigt, als man sie erwischte und dann kurzerhand an die große Eiche hing. So sagte man jedenfalls. Den Brüdern gefielen die Geschichten, in denen man die Bösen einfach aufhing. Die Eiche ließ Karl allerdings mit Schaudern daran denken, dass der König mit ihnen auch nicht viel Federlesen machen würde. Doch der Wenzel war schlau. Er war Abgeordneter in Frankfurt gewesen, bevor die Nationalversammlung verlegt wurde und sich dann größtenteils auflöste. Er würde sicherlich einen Weg finden, um Zugeständnisse von den Königlichen zu erhalten.

      Sie kamen am frühen Morgen über die Taunusstraße herein und folgten ihr zum Kochbrunnenplatz.

      „Gott sei´s gedankt“, murmelte Karl erleichtert, als er sich vom Pferd gleiten ließ. Stöhnend rieb er sich den verlängerten Rücken.

      Hans grinste unverhohlen. „Bist doch nicht so fürs Pferd geboren, wie?“

      „Du hast gut reden.“ Karl sah sich um und blickte auf zwei Männer der Kompagnie, die in der Nähe des Brunnens standen. Dunst stieg aus dem Brunnenbecken auf. „Wisst ihr wo der Hauptmann steckt?“

      „Im Schloss oder im Rathaus“, erwiderte einer der Männer. „Habt ihr die Preußen gesehen?“

      Die beiden Männer der Freischärlerkompagnie wirkten nervös. Die Brüder konnten es ihnen nicht verdenken.

      „Gegen Mittag müssten sie da sein.“ Friedrich nahm die Zügel der Pferde und wartete bis seine Brüder getrunken hatten, dann wechselte er mit ihnen.

      „Dann werden wohl bald die Preußen hier saufen“, stellte einer der Männer fest. Er blickte begierig auf die Pferde und man konnte ahnen, was ihm und seinem Kameraden wohl durch den Kopf ging. Sie alle wussten, dass die Sache verloren war. Gegen die Kriegsmaschinerie des preußischen Königs kamen sie nicht an.

      Karl Baumgart schob den Zweispitz in den Nacken. Ein Stück geradeaus ging es zum königlichen Theater und dem Kurhaus. Wiesbaden war die Stadt der heißen und kalten Quellen. Über zwanzig gab es und schon die Römer hatten diese zu schätzen gewusst. Doch die Brüder mussten rechts hinunter, zum Rathausplatz. Sie tränkten die Pferde