Der zweite Mann setzte sich in Bewegung, wurde aber von seinem Begleiter zurückgehalten. Er drehte den Kopf und sah, dass der andere systematisch die Umgebung mit seinen Augen abcheckte. Die Straße lag völlig ruhig, weder Gesprächsfetzen noch Musik, noch nicht einmal in der Ferne war ein Auto zu hören. Auch auf den Balkonen der gegenüberliegenden Häuser war kein ruheloser, nächtlicher Raucher zu entdecken.
Der Mann schaute skeptisch, der Wagen stand ausgerechnet in der Nähe einer der wenigen brennenden Laternen. Andere Pkw waren wesentlich günstiger geparkt. Er zuckte mit den Schultern und nickte seinem Begleiter zu. Beide näherten sie sich dem dunkelblauen Kombi.
„Ne Familienkutsche“, meinte der Zweite verächtlich.
„Er hat selber drei Kinder, eins ist noch ganz klein. Okay fangen wir an.“
Er ging am Heck des Pkw in die Hocke. Ohne die Handschuhe auszuziehen, ließ er seinen Rucksack auf den Boden gleiten und öffnete ihn. Er holte eine große, längliche Dose aus einer Einkaufstüte hervor, schüttelte sie einmal kräftig und schrak sofort zusammen. Das klackernde Geräusch, verursacht von den Metallkugeln im Innern der Dose, schien die Stille regelrecht zu zerfetzen. Er streckte sich vor und spähte am Auto vorbei, aber sein Kumpan, der auf dem Gehweg neben dem vorderen Kotflügel stand, schien das Geräusch nicht wahrgenommen zu haben. Tief über die Motorhaube gebeugt kratzte er mit einem breiten Stecheisen Buchstaben in den Lack hinein. Weil er dabei sehr langsam vorging und viel Druck ausübte, war das Geräusch, das er verursachte, als leises Schaben nur wenige Schritt weit zu hören. Vorsichtig schob der Mann am Heck die Dose in die Tüte zurück und umwickelte sie mit dem überschüssigen Plastik. Das Klackern war noch genauso laut wie zuvor und könnte sie verraten. Er überlegte kurz und zog seine Jacke aus. Nachdem er Tüte und Dose umhüllt hatte, war das Geräusch der Kugeln endlich gedämpft. Mit kräftigen Bewegungen schüttelte er das gesamte Paket etwa zwei Minuten lang, wobei er sich ständig umdrehte. Als er meinte, dass der Inhalt genügend durchgemischt war, wickelte er den Inhalt aus der Jacke und zog sich wieder an. Er nahm die Schutzkappe der Dose ab und steckte einen durchsichtigen, gut unterarmlangen Plastikschlauch auf die Düse. Tief nach unten gebeugt fädelte er den Schlauch bis zum Anschlag in den Auspuff hinein und drückte das Ventil der Dose nach unten. Sofort ertönte ein leises Rauschen, begleitet von unregelmäßigen schlürfenden Geräuschen, während von vorn, aus Richtung der Motorhaube, weiter das gleichmäßige, unterdrückte Schaben drang. Plötzlich ertönte ein leiser Pfiff. Der Mann blickte vom Auspuff hoch, sein Komplize deutete mit dem Kopf zur Straße vor ihnen. Ein Pkw kam in ihre Richtung gefahren. Als er näher kam, konnten sie im Licht der wenigen Straßenlaternen erkennen, dass es ein Taxi war. Das Schild auf dem Dach war abgeschaltet, es musste sich also ein Fahrgast darin befinden. Hastig zogen sich beide vom Auto zurück und drückten sich in den Schatten einiger Büsche, die vor dem Wohnblock gepflanzt waren.
Während das Motorengeräusch des Taxis verhaltener wurde und es auf ihrer Höhe ausrollte, starrte er gebannt auf die Dose.
Sie hing mit dem Schlauch im Auspuffende und baumelte frei schwebend über dem Pflaster, gehalten nur durch den Umstand, dass die durchsichtige Plastikröhre sich durch ihre Länge im Metall verkeilte. Der ausgeströmte Montageschaum vergrößerte im Auspuff sein Volumen stetig weiter. Dabei drückte er langsam, aber stetig den Schlauch aus dem Rohr hinaus. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis das Gewicht der Dose den Reibungswiderstand überwand und sie ganz herausrutschen würde. Mit einem für diese späte Zeit viel zu lauten Scheppern würde sie auf die Straße klatschen.
Bitte nicht, dachte er, nicht jetzt. Warte noch, nur noch ein bisschen. Hin und her gerissen, ob er es riskieren und zum Auto vorspringen sollte.
Das Taxi stand.
Er wechselte einen schnellen Blick mit seinem schmächtigen Begleiter, der das Dilemma mit der Dose ebenfalls bemerkt hatte und die Luft anzuhalten schien.
Aus dem Fahrzeuginneren drangen trotz des Dieselmotors laute Stimmen nach draußen. Eine keifende, weibliche Stimme mischte sich im Streit mit der sonoren Stimmlage eines Mannes. Die hintere linke Tür des Taxis flog auf. Eine große, schlanke Frau in kurzem Rock und mit viel zu hohen Schuhen stieg laut schimpfend auf der Straßenseite aus. Sie musste aus ihrer Position genau auf die baumelnde Dose schauen, keine fünf Meter von ihrem Gesicht entfernt.
Er hielt den Atem an.
Schwungvoll knallte die Tür zurück ins Schloss, weil der Fahrer sofort Gas gegeben hatte, kaum dass sein Fahrgast auf der Straße stand. Mit ihrer Handtasche holte die Frau in einem weiten Bogen aus, um den Kofferraumdeckel des Wagens zu treffen, der Schlag aber ging ins Leere. Vom eigenen Schwung wurde sie nach vorn gerissen, sie stolperte und konnte sich im letzten Moment mit der linken Hand abfangen. Der Fahrer schien die ungelenken Bewegungen im Rückspiegel wahrgenommen zu haben. Er drückte zweimal auf die Hupe, es klang wie ein höhnischer Abschiedsgruß.
Mann, ist die Alte voll.
Der Beobachter schüttelte den Kopf. Gleichzeitig verspürte er Erleichterung, einem anderen, nüchternen Fahrgast wäre die Dose mit Sicherheit aufgefallen.
Der andere hielt die Hand vor den Mund und prustete verhalten. Die Frau zischte dem schnell entschwindenden Taxi einen unterdrückten Fluch hinterher, dann stakste sie auf die Eingangstür zu. Am harten Klacken ihrer Absätze ließ sich der Grad ihrer Verärgerung ablesen. Als sich die Tür hinter ihr schloss, kehrte endlich wieder Ruhe in der Wohnanlage ein. Zwei Augenpaare verfolgten die Frau im Treppenhaus auf ihrem Weg nach oben, sie gestikulierte mit ihren Händen und schimpfte mit einer imaginären Person. In der linken Wohnung im zweiten Stock flammte Licht an. Die Lampe im Treppenhaus erlosch, die beiden Männer konnten sich wieder an ihr Vorhaben machen. Der Mann sprang vor und erwischte die Dose, die wie an einem seidenen Faden hing. Gleich darauf fluchte er.
„Was ist los?“
„Es läuft nichts mehr raus, aber die verdammte Büchse ist noch halbvoll.“
„Du hast wieder den billigen Mist gekauft!“
„Der Markenkram kostet dreimal so viel.“
„Dann schüttel mal schön, du weißt ja, wie das geht“, rief der andere hämisch.
Es gelang ihm schließlich doch noch, den restlichen Inhalt herauslaufen zu lassen. Das Fließgeräusch wurde immer unregelmäßiger und lauter und am Ende blubberte nur noch das Treibgas.
„Wie sieht es bei dir aus?“, rief er leise nach vorn, während er die leere Dose in der Plastiktüte verschwinden ließ.
„Fertig, schau mal.“
Einen kurzen Augenblick standen beide andächtig nebeneinander am Pkw, als bewunderten sie im Halbdunkel die Motorhaube wie ein Kunstwerk. Die einen Zentimeter breiten Kratzer waren durch die Lackschicht und die Grundierung bis auf das Blech gedrungen, deutlich waren die Buchstaben zu lesen.
Der Breitere von ihnen stieß seinen Begleiter mit dem Ellenbogen an und drehte sich um. Es wurde Zeit, dass sie verschwanden, sie sollten ihr Glück nicht zu sehr strapazieren. Er kam nur zwei Schritte weit, ein lautes Zischen ließ ihn herumwirbeln. Sein Kumpan hockte neben dem Vorderrad auf dem Boden und war gerade im Begriff, wieder aufzustehen. Aus seiner Faust ragte eine schmale Klinge heraus. Es konnte sich nur um das Einhandmesser handeln, das er am Gürtel trug, wenn sie ihre nächtlichen Aktionen durchführten. Mit einem Riesenschritt stand er vor ihm und drückte ihn gegen den Wagen. Der senkte sich auf der Gehwegseite langsam ab. Das Zischen schien endlos zu sein und immer lauter zu werden.
„Bist du nicht ganz dicht, Net?“
„Ist doch egal, was wir kaputtmachen. Das war richtig geil, Mann. So muss es sich anfühlen, wenn ich dem alten Schwein das Messer zwischen die Rippen ramme.“
Der Besonnenere versuchte vergeblich, den Blick des Freundes zu fixieren.
„Komm wieder runter, Mann. Halt dich an die Absprachen. Komm jetzt, wir müssen hier endlich verschwinden.“
Er schob ihn vom Auto weg und