Auf den Tisch stand ein Aschenbecher, aus dem die Kippen herausquollen, Asche war um ihn herum verteilt. Ronald machte einen Schritt in den Raum hinein, reckte sich vor und schaute unter dem Tisch. Versteckt in der freien Ecke zwischen dem Dreisitzer und dem Zweisitzer entdeckte er die Flasche Wodka, die gut zur Hälfte geleert war. Ein Glas war nirgends zu sehen.
Schulterzuckend drehte er ab und ging durch den Flur in den hinteren Raum, in dem sich sein winziges Büro befand. Er nahm den Terminplaner in die Hand, als es auch schon klingelte.
Ein Ehepaar mittleren Alters stand vor der Tür, die Frau schlank in Stoffhose und hellem Trenchcoat, der Mann von wesentlich kräftiger Statur in Jeans und kurzer schwarzer Lederjacke.
„Sie müssen die glücklichen zukünftigen Hausbesitzer sein“, versuchte sich Ronald in gequältem Charme.
Das Pärchen trat ein und wurde von ihm in das Büro geleitet.
Während Ronald Leuschner fieberhaft seine Unterlagen durchblätterte, rutschte die Frau genervt auf dem viel zu kleinem Klappstuhl hin und her, eine einigermaßen bequeme Sitzposition ließ sich auf dem winzigen Möbel nicht finden. Als ihr Mann herüberschaute und sich ihre Blicke trafen, richtete sie die Augen demonstrativ nach oben. Der Mann nickte mit knapper Geste.
Alles in diesem Raum war unordentlich. Das Regal, das die Wand hinter dem Schreibtisch beherrschte, beherbergte neben lieblos untergebrachten Aktenordnern aufgerissene Kartons und Elektroinstallationsmaterial. Der Tisch quoll vor lauter Geschäftsunterlagen über. Auf dem Fußboden ging das Chaos weiter, Akten, Rechnungen und Pappkartons ließen nur schmale Laufwege zu. Ronny blätterte in einer Mappe, in die er immer wieder Notizen mit einem Bleistift kritzelte. Endlich wandte er sich an seine Besucher.
„Wir müssen eine Bemusterung für die Elektroinstallation ihres Hauses machen, welche zusätzlichen Steckdosen wir nehmen, welches Design und so weiter.“
„Wir nehmen die hellbeigen Dosen, wie vom Bauträger angeboten. Und wo die Steckdosen hinkommen sollen, hat mein Mann auf einem Blatt eingezeichnet. Hier.“
Die Frau zog ein gefaltetes Stück Papier aus der Handtasche und reichte es über den Tisch. Der Elektromeister betrachtete den laienhaft skizzierten Bauplan.
„Das ist aber nur die Standardausstattung, die ohnehin im Preis enthalten ist“, bemerkte er. Seine Enttäuschung war deutlich herauszuhören. „Meinen Sie, dass Sie damit hinkommen? Wenn Sie eine Hi-Fi-Anlage und noch andere Geräte wie DVD-Player oder Festplattenrekorder haben, wird es eng. Wir könnten Ihnen hier und hier ...“ Er hielt den Bauplan über den Tisch und zeigte auf verschiedene Stellen.
„Nein“, fiel ihm die Frau ins Wort. „Das reicht uns. Für alles andere gibt es Verlängerungskabel.“
Der resolute Ton sollte die Diskussion abschneiden. Ronald Leuschner versuchte es dennoch weiter.
„Gerade in der Küche werden zusätzliche Steckdosen gebraucht. Sie werden sich hinterher ärgern, wenn Sie überall Kabelsalat haben.“
Als er keine Antwort hörte, schaute er von dem Bauplan auf. Die Frau schüttelte nur den Kopf. Für sie war das Thema beendet. So sehr er sich auch bemühte, es gelang Leuschner nicht, den Kunden eine Sonderausstattung schmackhaft zu machen, die seine mit dem Bauträger ausgehandelte, knappe Marge aufbessern würde. Es gab nur noch eine winzige Möglichkeit, wenigstens etwas Kabel und Arbeitszeit für seinen einzigen Angestellten einzusparen, aber auch diese Hoffnung löste sich sogleich in Luft auf.
„Wir haben uns gefragt, was die Telefonsteckdose an dieser Stelle soll, genau unter der Treppe?“
Die Kundin tippte mit spitzem Finger auf das Papier.
„Das Telefonkabel wird von dieser Seite in das Haus geführt.“
„Das ist doch völlig unpraktisch, unter der Treppe.“
Die Frau betonte ihre letzten Worte, als könnte sie es nicht fassen, dass ausgerechnet an dieser Position ein Telefon stehen sollte.
„Manche meiner Kunden stellen sich dort eine kleine Bank hin, macht sich bestimmt gut.“
„Doch nicht unter der Treppe, die ist offen. Das staubt ja alles ein. Nein, kommt gar nicht infrage. Das Telefon kommt auf die andere Flurseite.“
Mit zackigen Bewegungen änderte er den Bauplan, genauso genervt wickelte er das Kundengespräch bis zum Schluss und geleitete das Ehepaar durch den Flur bis zur Tür.
Auf dem Rückweg öffnete er wieder die Tür zum Wohnzimmer.
Jetzt war frischer Rauch zu riechen, seine Frau hatte sich aufgesetzt und drehte den Kopf in seine Richtung. Ihre Haut war blass und für ihr Alter viel zu sehr zerfurcht. Das halblange Haar war vor längerer Zeit kastanienbraun gefärbt worden, der graue Haaransatz bereits handbreit.
„Sind die Leute schon wieder weg, das ging aber schnell.“
„Es wird heutzutage immer schwieriger, den Kunden ein paar Extras aufzuschwatzen. Ich frage mich, warum die Leute überhaupt noch bauen. Da können sie doch gleich in ihren Scheißwohnungen hocken bleiben. Ich muss noch mal weg, auf eine Baustelle.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, er zog die Tür des Wohnzimmers hinter sich zu, schnappte sich seine Lederjacke von der Garderobe und verließ das Haus. Missmutig setzte er sich in den schäbig wirkenden Firmenwagen. Sein Weg führte ihn in ein Gewerbegebiet, nur ein paar Fahrminuten von seinem Wohnort entfernt. Er stellte den Golf auf dem Parkplatz ab und verschwand in einer Spielhalle. Außer der Aufsicht befanden sich nur noch zwei weitere Spieler in der Halle, niemanden, den er kannte. Ronald nickte der Frau hinter dem Tresen zu, schenkte sich an der Kaffeemaschine eine Tasse ein und setzte sich auf den Hocker vor einem digitalen Geldspielautomaten der neuesten Generation. Mit fahrigen Bewegungen wanderten die ersten Münzen in den Automatenschacht. Ebenso fahrig waren Ronalds Versuche, die rotierenden Walzen mit seiner Reaktion zu beeinflussen. Der Automat zählte einige Punkte aufwärts, als er hier und da mal ein Spiel gewann. Der Gewinn aber wurde schnell wieder herunter gezählt und er setzte weiter Geld ein. Nach einem Dutzend Spielen zog er den Barhocker etwas nach links und begann, den Nachbarautomaten ebenfalls mit Geld zu füttern. Seine Blicke wanderten ständig hin und her, der Kaffeerest im Becher war längst kalt geworden. Schweiß perlte auf seiner Stirn und er wischte die feuchten Hände an seiner Hose ab. Es dauerte nicht lange und er war pleite, der Verdienst eines Tages war in den beiden Geräten verschwunden. Seine Hände zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Er stierte auf das Gerät, dessen Walzen sich nicht mehr drehten, als meinte er, es mit bloßem Willen zum Weiterspielen bewegen zu können. Er machte zwei, drei Zügen an der Zigarette und drückte sie bereits im Aschenbecher wieder aus. Mit unbeholfenen Schritten bewegte er sich zum Tresen, die vollschlanke Mittfünfzigerin dahinter war damit beschäftigt, Wechselgeld zu zählen.
„Hast du dir die Haare gefärbt, steht dir gut, der Rotton.“
„Diese Farbe habe ich schon mindestens einen Monat“, ließ ihn die Frau abblitzen.
„Kann ich noch was anschreiben, wenigstens 'nen Hunderter?“
„Nee, tut mir leid. Der Chef hat gesagt, dass ich nichts mehr rausgeben darf. Erst müssen die alten Rechnungen bezahlt werden. Fünfhundert sind noch offen.“
„So ein Quatsch, der kriegt schon sein Geld. Hat er immer gekriegt.“
„Mag ja sein. Aber ich darf es nicht. Riskiere sonst meinen Job.“
Entschuldigend hob die Frau ihre Schultern. Ronny winkte