Die sieben Steine. Martin E. Greil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin E. Greil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775504
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      Die sieben Steine

      Roman

      Martin E. Greil

      Inhalt

       Prolog

       Die Welt von Simon Rhomthal

       Wenn Steine sprechen

       Bauer – schachmatt!

       Im Netz der Spinne

       Wieso nicht er

       Gesicht in Rot – grüne Männchen tot!

       Nostra – die Nachricht ist da!

       Raum-Post

       Die Geister, die ich rief

       In dir, in mir!

       Abel – der Bruder

       Zig Millionen – doch auch gleich!

       Waldgeflüster

       Treffen der Schöpfer

       Ende?

       Über den Autor

      Prolog

      Mit dem Rücken zum Boden, dem Kopf nach oben, den Händen zur Seite gestreckt, den Augen weit offen, dem nächtlichen Sternenhimmel zugewandt, lag Simon Rhomthal schon stundenlang regungslos da. Als ob er die ganze Galaxie umarmen wollte, versuchte er, mit seinen grasgrünen Augen das andere Ende zu finden. Mit einem kühlen arktischen Auftreten kehrte ein leichter Nordwind hartnäckig den allzu warmen Herbst aus seinem Gedächtnis. Im Tal unter ihm war nichts mehr zu hören. Solange Simon Rhomthal sich erinnern konnte, hatte er das dumpfe Brummen der kleinen Industriestadt unter sich wahrnehmen können. Es gab keinen Tag seit seiner Geburt, an dem es nicht vorhanden war. Jetzt spiegelte sich nur noch das Universum in seinen Augen.

      Ein paar Sternschnuppen tanzten vorbei. Sein Herz schlug in einem Rhythmus, dem nun alles zu folgen schien.

      Die Welt von Simon Rhomthal

      „Ich glaube, ich kann besser sein“, dachte Simon Rhomthal sich. Er wusste, dass er normal war, anständig, einer von vielen. Ein Prototyp eines gutbürgerlichen Mitteleuropäers. Jeden Morgen ging Simon Rhomthal früh zu seiner Arbeit, seine Brote schmierte er sich selber. Eingewickelt in das gleiche Nylon vom Vortag, trug er sie in seiner abgewetzten Tasche aus Kamelleder, die er aus seinem Tunesienurlaub mitgebracht hatte. Simon Rhomthal lebte alleine in seiner Eigentumswohnung am Rande des kleinen Bergs Zanzus, der auch gleichsam Hausberg des Städtchens Dorsis am Erdensee war.

      Es war einer dieser spätherbstlichen Nebeltage; Simon Rhomthal wusste, dass sich seine Stimmung daher den ganzen Tag nicht bessern würde. Nur jene, die in der Lage waren, tagsüber auf die Anhöhen Zanzus oder die des Berges Hochboden zu fahren, konnten dieser Schwere des tief liegenden Nebels im Tal am Rhein entfliehen.

      „Oft hängt dieser Nebel hier Tage lang fest. Er geht einfach nicht weg. Wenn ich nur diesen einen Auftrag erledigen könnte, hätte ich genug Geld, um dieses kalte Tal zu verlassen!“, murmelte er vor sich hin, auf dem Weg zu seiner Arbeit. Simon Rhomthal träumte oft davon, auszusteigen, einen neuen Weg zu beschreiten und die alte Last der täglichen Routine hinter sich zu lassen. Aber aus irgendeinem Grunde traute Simon Rhomthal sich nicht aus dieser Alltäglichkeit heraus. Er konnte die geißelnden Fesseln der Gesellschaft von Dorsis nicht so einfach ablegen. Zu katholisch war seine Erziehung, zu materialistisch seine heuchlerische Gegenwart.

      „Guten Morgen, Frau Mayer!“, grüßte Simon Rhomthal die alte Frau, die sich fast jeden Tag aus dem ersten unteren Fenster des alten Rheintalhauses am Fuße des Zanzus heraus lehnte. Er stolperte fast über die letzte Stufe der Stiege des kleinen Weges, der an ihrem Haus vorbeiführte, als er versuchte, mit einer aufgesetzt freundlichen Miene seine sich heute anzukündende Depression zu verbergen.

      „Wieso gibt es hier keinen anderen Weg vorbei?“, knurrte er, als er sich schon in Richtung Stadtzentrum bewegte.

      Frau Mayer starrte ihm noch nach, bis er hinter der ersten Häuserzeile verschwand. Ein leichter Windstoß kündigte einen Wetter-umschwung an.

      „Es müsste eigentlich kälter sein um diese Jahreszeit!“, rief ihm Frau Mayer nach. Sie beugte sich nach draußen, um möglicherweise die Sonne durch die dichte Nebeldecke zu erspähen. Erneut brauste ein leichter Luftzug durch ihr graues Haar, das sie, wie viele andere alten Frauen in dieser Gegend, zu einem traditionellen Knoten nach oben gebunden hatte. Ihr Wohnzimmer hinter ihr lag im Dunkeln. Wie viele Nachkriegswitwen war sie es gewohnt, zu sparen und jeden Cent mehrfach umzudrehen, bevor er ausgegeben wurde.

      Als der Wind zum dritten Mal durch ihr Gesicht fuhr, zuckte sie ganz kurz zusammen. Parallel zu diesem Luftstoß hörte sie ein Knarren aus ihrer Küche, die sich direkt hinter ihrem Wohnzimmer auf der rechten Seite befand. Sie schloss das Fenster und humpelte langsam in Richtung Küche. Für die gut fünf Meter brauchte sie einige Minuten, da sie sich nach einem verheerenden Sturz auf einer Eisplatte vor ihrem Haus den Oberschenkelknochen gebrochen hatte. Aber der Schmerz kümmerte sie nicht. Sie war eine zähe Kämpfernatur.

      „Die ganzen 93 Jahre in meinem Leben habe ich gekämpft“, erzählte sie Simon Rhomthal oft, wenn er an der alten Dame vorbeieilte. „Ich sah sie alle kommen und gehen, jeden von ihnen. Ich habe sie groß gezogen, ich habe sie leben gesehen, ich habe um sie geweint, als sie vor meiner Zeit dem Schöpfer gegenübertraten“, sprach sie zu sich selber, als sie an den Bildern von ihrer Schwester und den fünf Brüdern, die kurz vor dem Eingang in die Küche auf der rechten Seite befestigt waren, vorbeihumpelte.

      Der Raum in der Küche war voller Erinnerungen: ein Foto ihres Mannes, ein Bild ihres Bruders, das Kreuz in der Gottesecke – die Küche einer alten Frau. Ohne zu ahnen, was sie in dieser dunklen Küche erwartete, trat sie ein.

      Es war so, als ob sie nochmals ihr ganzes Leben sehen konnte, als sie über die Türschwelle trat. Dieser Schritt schien alles zu beinhalten und zu beantworten, was sie sich die letzten 93 Jahre, 7 Monate, 17 Tage, 7 Stunden, 3 Minuten und 5 Sekunden gefragt hatte. Langsam sank sie auf die Knie und landete unsanft mit dem Kopf auf dem Holzboden der Küche. Ihr Gesicht war immer noch in Richtung Fenster gedreht, das harsch durch einen letzten kräftigen Windstoß zugeschlagen wurde. In ihren blauen Augen, die starr und regungslos offen standen, reflektierten sich die ersten Sonnenstrahlen seit über einem Monat.

      Simon Rhomthal drehte sich kurz um, als er die ersten Häuserfassaden der alten Villen im Stadtzentrum erblickte. Doch hinter ihm blieb alles ruhig, in der Ferne erkannte er einen Mann, der den Berg Zanzus hoch lief. Da er aber von der Sonne geblendet wurde, drehte er sein Gesicht wieder in Richtung Stadt. Für einen Moment hörte er auf seine innere Stimme, die in ihm ein neues, unbekanntes Gefühl erzeugte.

      Fisherman