Keeva McCullen 4 - Tödliche Fesseln. Nathan R. Corwyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nathan R. Corwyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639268
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Wunsch vergeblich.

      Resigniert bückte er sich und hob auf, was er gerade freigelegt hatte. Er schüttelte die blutigen Reste des Ghulfelles ab, die noch an dem Objekt hingen, und betrachtete das Ding genauer. Es handelte sich um ein schmales Lederhalsband, an dessen einer Seite ein kleiner, dunkelroter Stein befestigt war. Theobald schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Stein. Dann nickte er düster.

      Ja, es war ein magisch veränderter Gegenstand. In der Dämonenwelt bezeichnete man solche Dinge als Lokalisierer - in der Welt der Menschen hätte man sie wohl Peilsender genannt. Die Funktion war jedoch die gleiche: Der Halbedelstein an dem Lederband war so verzaubert, dass sein Schöpfer – ziemlich sicher ein höherer Dämon – ihn mithilfe eines weiteren Zaubers jederzeit ausfindig machen konnte.

      „Habe ich mir doch gedacht, dass dieser elende Erzdämon oder einer seiner Schergen seine schmutzigen Finger im Spiel hat“, fluchte Theobald Truax.

      Er überlegte, was er tun sollte.

      Der zauberkundige Besitzer des Lokalisierers würde bestimmt irgendwann in nächster Zeit nach dem Rechten sehen wollen und nachforschen, wo denn seine wertvollen kleinen Aasfresser geblieben waren. Und es wäre äußerst nützlich für Theobald Truax, wenn er sofort davon erführe.

      Entschlossen nickte der alte Mann. Er legte den Spaten beiseite, umschloss das Lederband mit beiden Handflächen und sprach einige Sätze in einer uralten Sprache. Der Stein leuchtete kurz auf, wurde warm in seiner Hand und kühlte sogleich wieder ab - mehr geschah nicht.

      Gleich darauf legte Theobald das Band zurück auf den Boden, nahe der Stelle, an der er es gefunden hatte. Er machte sich nicht die Mühe, es sonderlich zu verstecken, das war nicht nötig. Wer auch immer danach suchte, er würde sowieso sofort erkennen, dass die Zerstörungskraft, durch die die Ghule zerstückelt worden waren, nicht von einem Menschen stammen konnte.

      Doch das störte Theobald nicht. Sollte derjenige ruhig wissen, dass er mit Gegenwehr zu rechnen hatte.

      Seelenruhig hob er den Spaten wieder auf und machte sich erneut an seine unappetitliche Arbeit, diesmal etwas flotter. Je schneller er diese hässlichen Überbleibsel vergraben hatte – umso eher konnte er sich ein schönes, warmes Schaumbad gönnen...

      *

      Emma Wickham, die Haushälterin der Familie, riss die Haustür auf, noch ehe Keeva klingeln konnte, und winkte das junge Mädchen herein.

      Keeva, die sich mit der einen Hand auf eine Krücke stützte und in der anderen eine Plastiktüte trug, brauchte einen Moment, um sich von ihrer Überraschung zu erholen.

      „Ich habe schon auf euch gewartet“, erklärte die kleine, grauhaarige Dame, und fügte entrüstet hinzu: „Hat man dir nicht einmal zwei Krücken gegeben?“

      Keeva musste lachen und humpelte ins Haus.

      Ihr Vater Liam, der hinter ihr die Treppen zu dem gepflegten viktorianischen Reihenhaus der McCullens herauf kam, fiel in das Lachen mit ein. Er hob den Arm, mit dem er das Gegenstück zu der Krücke seiner Tochter hielt.

      „Hier ist die andere“, meinte er. „Aber Keeva hat darauf bestanden, dass sie nur eine braucht.“

      Keeva zuckte verlegen mit den Schultern.

      „Es ist überhaupt nicht so schlimm wie ihr meint“, erklärte sie, immer noch grinsend. „Der Fuß ist ja nicht einmal gebrochen.“

      Emma blickte das Mädchen skeptisch an, sagte aber nichts mehr dazu. Sie entdeckte die Tüte in Keevas Hand.

      „Ist das deine Schmutzwäsche?“, fragte sie - und als Keeva nickte, nahm sie ihr den Beutel ab, öffnete ihn – und schloss ihn sogleich entsetzt wieder.

      „Das stinkt ja grauenhaft!“, rief sie aus.

      Liam, der seiner Tochter gerade die zweite Krücke aufdrängen wollte, sah erstaunt zu ihr hin.

      „Woher kommt das denn? Du bist doch nur von einem Baum gefallen?“

      Keeva biss sich auf die Lippe.

      Was Emma gerochen hatte, war der Gestank eines halb verfaulten Leichnams – und eines toten Ghuls, der direkt über ihrer Jeans zusammengebrochen war. Nur konnte sie das nicht zugeben. Ihr Vater durfte nicht erfahren, welchem Hobby sie nachging und wobei – und an was für einem Ort - sie sich letzte Nacht tatsächlich den Fuß verletzt hatte.

      Ihrer Familie – und dem Personal des Krankenhauses, in welchem sie die letzte Nacht verbracht hatte – hatte Keeva erzählt, sie wäre von einem Baum gestürzt. Weil sie eine Katze hatte retten wollen. Und jetzt musste sie schnell eine Erklärung dafür finden, warum ihre Hose so erbärmlich stank ...

      „Tja“, sagte sie mit verlegenem Gesichtsausdruck. „Leider war unter dem Baum ... nun, ein Hundehaufen.“

      Es gelang ihr tatsächlich, so peinlich berührt auszusehen, dass weder Emma noch ihr Vater weiter nachfragten.

      Emma bemühte sich stattdessen, die Tüte in ihrer Hand fest verschlossen zu halten, nickte ihr noch einmal aufmunternd lächelnd zu - und verschwand sofort in der Küche, wohl um den Übeltäter gleich in die Waschmaschine zu werfen.

      Ihr Vater wiederum gab den Versuch auf, sie zu einer zweiten Krücke zu überreden. Er beschränkte sich darauf, seine sture Tochter, die auch während des Treppensteigens jegliche Hilfe freundlich, aber bestimmt ablehnte, bis zum ersten Stock zu begleiten.

      „Brauchst du noch etwas?“, fragte er schließlich, gab ihr – als sie nur lächelnd den Kopf schüttelte – mit einem aufmunternden Gesichtsausdruck einen Kuss auf die Wange und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

      Erleichtert humpelte Keeva die restlichen Treppen hoch ins Dachgeschoss, zu ihrem eigenen Zimmer. Oben angekommen schloss sie die Tür hinter sich und ließ sich mit einem befreiten Seufzer auf ihr Bett fallen. Halb im Liegen streifte sie den einzelnen Schuh von ihrem unverletzten Fuß – an ihrem anderen trug sie keinen, denn der befand sich unter einer dicken Schiene - und schob sich noch weiter aufs Bett.

      Dann wartete sie.

      Es dauerte nicht lange, und ein Klopfen erklang von ihrer Tür.

      „Komm rein, ich habe schon mit dir gerechnet“, rief sie fröhlich.

      Die Tür ging auf und ihr Großvater, Robert Paddock, trat ins Zimmer.

      „Also hab ich richtig geraten und es gibt etwas zu erzählen“, meinte er grinsend.

      Er setzte sich auf den alten Lehnstuhl, der an der einen Wand von Keevas Zimmer stand, und sah sie neugierig an.

      „Du bist wohl doch nicht einfach nur von einem Baum gefallen.“

      „Nein!“, sagte sie nur, sein Grinsen erwidernd.

      „Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, schalt er sie liebevoll. „Rücke schon raus mit deiner Geschichte.“

      „Na gut“, sagte Keeva.

      Sie begann zu erzählen ...

      „Das gefällt mir gar nicht“, murmelte Robert Paddock, nachdem seine Enkelin ein paar Minuten später ihren Bericht beendet hatte.

      „Was? Das mit den vielen Ghulen?“, entgegnete Keeva. „Ja, das haben sie auch gesagt.“

      Ihr Großvater sah erstaunt auf.

      „Sie? Wen meinst du damit?“

      Keeva hätte sich ohrfeigen können. Sie hatte ihre Geschichte über die gestrigen Ereignisse absichtlich so verändert, dass Theobald Truax, der abtrünnige Dämon, darin keine Erwähnung fand.

      Sie hatte die ganze Nacht im Krankenhaus darüber nachgedacht, was sie tun sollte – und war zu dem Ergebnis gekommen, dass sie ihr Wissen über seine Existenz lieber noch für eine gewisse Zeit für sich behalten wollte. Zumindest so lange, bis sie sichergehen konnte, dass der alte Dämon nicht von ihrer Familie gejagt werden würde. Sie glaubte zwar, dass das sowieso nicht