Wie ich mich an jenem Tag fühlte, brauche ich hier wohl nicht weiter erläutern. Ich freute mich einfach nur noch auf meine kleine Kellerwohnung und einen gemütlichen Fernsehabend – allein. Doch daraus wurde nichts, denn Maria kam rufend und keuchend hinter mir her gerannt. „Warte! Bleib doch mal stehen!”, rief sie und holte mich schließlich völlig außer Atem ein. „Warte, du hast doch MEIN Geschenk noch gar nicht bekommen!” Ich sah sie an und wusste nicht, was genau ich jetzt erwarten sollte. Einen Ratgeber, wie man am effektivsten gegen Regelschmerzen vorgeht? Einen BH? Nein, den bekam ich im vorigen Jahr schon von Eddy. Er wusste damals nicht mehr, welcher Frau er gehörte, da hat er ihn einfach mir mitgebracht, um zu zeigen “Hier, ich habe auch eine aufgerissen” oder zum selbst anziehen. Die Optionen hat er mir gnädigerweise frei überlassen.
Ich stand also da und wartete auf Marias Präsent. Aber sie zog nichts aus ihrer Tasche, sondern lächelte. „Ich will dir helfen”, sagte sie. „Ich will dich dabei unterstützen, dein erstes Date zu bekommen. Was hältst du davon?” Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wusste nicht genau, was ich dazu sagen sollte. Dass es vergebene Müh war? Dass sie ihre Zeit sicher besser nutzen könnte? Dass sie selbst keine Beziehung hat und ich ihre Ratschläge deshalb nur bedingt ernst nehmen können würde? Ich sagte einfach nur „Okay” und fragte, wann wir mit dem großen Projekt beginnen sollten. Sie grinste freudig und ihre Antwort war mir irgendwie schon im Vorfeld klar: „Jetzt!”
Es würde also nichts werden aus meinem Vorhaben, einen ruhigen Abend in aller Einsamkeit zu verbringen. Stattdessen begann Maria sofort nach Betreten meiner Wohnung alles umzuräumen, die Lampen neu auszurichten und zu dekorieren. Sie hatte sogar Pflanzen mitgebracht, keine echten, aber sie sagte, auf Fotos würde das keiner sehen. Sie wühlte in meinem Kleiderschrank herum, fand aber wohl nichts Ansprechendes, denn sie ging zurück zu ihrer monströsen Handtasche und warf mir ein paar Pullover hin. „Hier, zieh mal einen von denen an!”, befahl sie und winkte mich ab zum Bad. Als ich die Tür hinter mir schloss, rief sie noch: „Und mach dir die Haare!”
Ich stand vorm Spiegel und betrachtete mich. Strubbelige blonde Haare und ein leichter Bartansatz. Mit einem Kleks Gel versuchte ich alle Schönheit aus mir heraus zu holen, die möglich war, aber das Ergebnis machte kaum einen Unterschied zu vorher. Es sah jetzt nur etwas nasser aus als sonst.
Als ich das Wohnzimmer wieder betrat, erkannte ich es kaum wieder. Es sah alles ganz anders aus. Aufgeräumter, wohnlicher. Mir gefiel es sogar, obwohl ich es eigentlich nicht mochte, wenn sich jemand an meinen Sachen zu schaffen machte, aber Maria war da die große Ausnahme.
Sie hielt eine Kamera in der Hand und kam auf mich zu. Sie zubbelte an einigen Strähnen, zog den Pullover zurecht und betrachtete mich eingehend. „Nichts, das man mit Photoshop nicht hinbekäme.”, nuschelte sie und wich einen Schritt zurück. „Okay, setz dich auf den Sessel und sieh zum Fernseher.”, forderte sie mich auf. Ehrlich gesagt wusste ich nicht so recht, was das sollte, der Fernseher war aus, aber ich tat wie mir geheißen. Vor dem Sessel stand ein kleiner Tisch, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag und heißes Wasser dampfte aus einer Tasse. Ich nahm Platz. „Die Brille muss noch ab!”, dirigierte Maria hinter ihrer Kamera. „Leg sie am besten neben das Buch und lehn dich nach vorn, als würdest du gleich nach einer der Sachen auf dem Tisch greifen wollen.“ Eigentlich war mir dieses ganze Getue zu blöd, aber ich machte es einfach – Maria zuliebe. Sie würde schon wissen, was sie da tat, hoffte ich zumindest.
Mein Blick war auf die Uhr gerichtet. Die Sendung, die ich unbedingt sehen wollte, hatte vor sechs Minuten und 23 Sekunden begonnen. Noch weitere vier Minuten und 16 Sekunden bis zur ersten Werbeunterbrechung. Und ich saß hier und musste den Genuss eines leckeren Heißgetränks simulieren.
Schließlich war Maria fertig. „Perfekt!”, sagte sie und legte die Kamera auf meinen Schreibtisch. „Kann ich jetzt aufstehen?”, fragte ich vorsichtig und sie nickte bloß eifrig, während sie die Speicherkarte in meinen Laptop steckte. Dann zog sie einen Zettel aus ihrer Hosentasche und begann zu tippen. Ich stellte mich neugierig neben sie. Was hatte Maria nur wieder vor? Allmählich dämmerte es mir und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Insgeheim hatte ich gehofft, ihr Geschenk würde nichts mit meiner Lebenssituation zu tun haben, aber da lag ich falsch. Sie wollte mich auf diversen Singleportalen im Internet anmelden und offenbarte mir, dass sie mich bereits für das nächste Speed- Dating in ihrer Lieblingsbar angemeldet hätte. Da wären überwiegend Leute anzutreffen, die keine Tabus kennen und ich mit meiner männlichen Unschuld wäre sicher ein gefundenes Fressen für die dort anwesenden Frauen, davon war Maria überzeugt. Naja, gut. Bis zur nächsten Woche konnte ich es mir ja noch überlegen, ob ich wirklich als Frischfleisch von gierigen Nymphomaninnen verzehrt werden wollte. Aber meine Sendung lief und die wollte ich mir ansehen. Die Datingseiten waren morgen sicherlich auch noch da. Also vertröstete ich Maria auf ein anderes Mal, sagte, ich sei müde und müsse morgen wieder früh raus. Sie nickte, wusste genau, dass ich mich völlig überrumpelt fühlte von ihrer Aktion und sagte, sie würde die Speicherkarte und die Liste einfach hier lassen. Ich könne ihr die Karte am Montag einfach wieder mit zur Arbeit bringen. Der Pulli, meinte sie noch im Rausgehen, sei ebenfalls ihr Geschenk an mich. „Ich wusste, er würde dir gefallen!” Dann stieg sie die Kellertreppe hinauf und verschwand nach draußen.
Endlich konnte ich den Abend genießen und schaltete den Fernseher an. Aber immer wieder schielte ich herüber zum Schreibtisch. Wie die Bilder wohl aussahen, die sie von mir gemacht hatte? Und was das genau für Seiten waren, von denen Maria glaubte, sie könnten mir gefallen? Ich war einfach zu neugierig! Den Anfang meiner Sendung hatte ich ohnehin verpasst und so würde es nur wenig Sinn machen zu versuchen, jetzt noch in den Handlungsablauf reinzukommen. Also ging ich an meinen Laptop und öffnete den Ordner mit den Bildern. Maria hatte Talent, das musste man sagen. Auf den meisten Fotos sah ich überraschenderweise ganz akzeptabel aus und das sogar ohne digitale Nachbearbeitung. Genauso wie der nette Kerl, der ich war, nur attraktiver als im realen Leben.
Fotos sind weniger unscheinbar, als würde man mir auf der Straße begegnen, man betrachtete sie genauer, bevor man sich entschloss, dass es keinen weiteren Blick wert war. Das ist im wirklichen Leben anders, man sieht jemanden an, beschließt, er sieht scheiße aus und geht. Beim Betrachten von Bildern macht man sich wenigstens die Mühe, genauer hinzusehen, etwas hineinzuinterpretieren und sich zu fragen, welche Geschichte wohl hinter dem interessanten Gesicht steckt.
Genau das ist wohl auch der Knackpunkt. Begegnet man jemandem auf der Straße, ist es die Optik, die zählt. Sieht man hingegen eine Person auf Fotos, kommt es einzig und allein auf die Wirkung an. Ich könnte also online durchaus Erfolg bei Frauen haben, vorausgesetzt, ich würde auf eine Frau treffen, die ganz offensichtlich Interesse daran hat, auf eine Art Forschungstour zu gehen!
Ich suchte im Internet nach den Datingportalen, die auf Marias Liste standen. Zuerst die kostenlosen, denn so verzweifelt war ich nicht, für die Suche nach der passenden Frau Unmengen an Geld auszugeben, zumindest noch nicht. Gleich bei der ersten Seite meldete ich mich an, denn sie schien seriös zu sein und ja, ich war sogar ein wenig aufgeregt, was mich dort erwarten würde. Anstürme interessierter Damen, die mich treffen wollen, viele anregende Gespräche und prickelnde Treffen. Die Seite versprach wirklich viel! Aber der Anfang war alles andere als leicht. „Geben Sie einen Namen ein” Gut, dachte ich und tippte „Rolf”. Sofort erschien mit lautem ´Pling´ die Fehlermeldung „Der von Ihnen gewählte Name ist zu kurz”. Ich setzte mich. Das würde wohl doch etwas länger dauern.
Nach kurzer Überlegung tippte ich erneut. „Rolf der Wolf”. Das passte. Und es reimte sich. Darüber hinaus klang mein Name mit diesem Anhängsel nur noch halb so dämlich. Weiter ging es. Die Eintragung der persönlichen Daten ging fix. Alter, Nichtraucher, Büroangestellter, auf der Suche nach fester Beziehung. „Geben Sie einen Profiltext ein” war das vorerst letzte Feld. Die Finger glitten von der Tastatur. Ich überlegte. Eigenwerbung war nie meine Stärke, aber ich brauchte einen guten Text, um überhaupt wahrgenommen zu werden, schließlich warb die Seite mit über 300.000 zufriedenen Singles. Na, so zufrieden konnten sie scheinbar nicht sein, sonst wären sie längst