Ralf Worringen
MORS
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Inhaltsverzeichnis
M O R S
Mors:
- eine dänische Insel
- ein russisches Saftgetränk
- eine polnische Maschinenpistole
- ein französischer Automobilhersteller
- in der norddeutschen Umgangssprache das Gesäß
- in der römischen Mythologie der personifizierte Tod
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Mors
- …
22.12., mittags
Der Arsch kam mir bekannt vor.
„Voss, alter Fuchs“ hatte der Bekloppte vor vier Stunden und versammelter Mannschaft gebrüllt und gleichzeitig einen Fünfer kaltlächelnd ins Phrasenschwein gesteckt.
„Ein Toter in...“, ein Blick auf die Meldung in seiner Hand: „Mors. Ha!“ Er ließ den Zettel auf meinen Schreibtisch flattern. „Klingt wie ein Ort, wo du unbedingt mal hin solltest. Wo immer das sein mag. Schöne Abwechslung für dich. Ab dafür.“
„Mit wem?“ fragte ich hoffnungslos.
„Haha!“ hatte da der Bekloppte gemacht. „Weihnachtszeit, Urlaubszeit, Grippezeit. Und komm gerade Du mir nicht mit Dienstvorschriften! Wagen hab ich auch keinen über, kannst du schön Kilometergeld für Privatwagennutzung abrechnen.“ Er machte einige steife Roboterschritte auf mich zu und sprach mit mechanischer Stimme: „Widerstand ist zwecklos.“ Dann fügte er schnell hinzu: „KTU kommt aus Rotenburg und ist wahrscheinlich vor dir da. Und Tschüss.“
Nach 200 Kilometern Anfahrt über die Autobahn hatte ich mich auf den Kreisstraßen rund ums Teufelsmoor völlig verfranzt. Viel zu lange gurkte ich nun schon in dieser puderzuckerbestäubten Schneekugelidylle herum und suchte vergeblich das Kaff namens Mors. Ich fror mir den Arsch ab und musste immer wieder die Eisblumen auf der Innenseite der Windschutzscheibe abkratzen: pünktlich zum Wintereinbruch hatte die Heizung meines Simca-Talbot ihren Geist aufgegeben. Des Navis letzte Worte waren: „Sie befinden sich außerhalb des zur Verfügung stehenden Kartenmaterials“. Danach war das Gerät verstummt –hatte vermutlich mit dem defekten Zigarettenanzünder zu tun – und das war nun auch schon eine Weile her. Ich zog in Erwägung, die Kollegen aus Rotenburg telefonisch um sachdienliche Hinweise zu bitten, obwohl ich ungern wen-auch-immer-nach-was-auch-immer frage – eine Borniertheit, die nicht zu den mutmaßlichen Fertigkeiten eines Ermittlers zu passen scheint. Es wird jedoch viel dummes, überflüssiges Zeug gefragt. Wer fragt, erwartet Antworten, die einen der Wahrheit näher bringen. Wissend, dass es keine Wahrheit gibt, vermied ich also das Fragen. Schon gar nach dem rechten Weg. Wer will schon von sich behaupten, den zu kennen?
Die theoretische Möglichkeit eines Anrufes hatte sich aber mit der praktischen Leere meines Handyakkus erledigt.
Unverhofft stand da ein Ortseingangsschild und auf dem Ortseingangsschild stand unverhofft: Mors. Immerhin. Direkt dahinter ragte schräg aus dem Straßengraben das obligatorisch verrostete „Bitte langsam fahren – Es könnte auch dein Kind sein“-Schild, dessen an den Egoismus gerichteter Appell aufs schönste mit meinem Zweifel an der Selbstlosigkeit der Menschheit korrespondierte. Wobei, um mit Nestroy zu sprechen: Der Mensch an und für sich ist gut, aber die Leut' sind ein Gesindel. Bei diesem Schild hatten die beiden fröhlich hüpfend gezeichneten Kinder, der Junge in kurzer Buchse mit Hosenträgern, das Mädchen im Rock, einige durch großkalibrige Geschoße verursachte Löcher in ihren Köpfen, was, wie ich fand, die ursprüngliche Botschaft wirkungsvoll negierte.
Jetzt musste ich nur noch die Leiche finden.
Nach wenigen Metern führte die Straße auf einen katzenkopfsteingepflasterten Platz, an dessen westlicher Seite eine Remise stand, unter welcher jemand damit beschäftigt war, eine Wildsau aufzubrechen. Er war mit einer ursprünglich wohl weißen Gummischürze bekleidet, wie ich sie aus der Pathologie kannte. Und aus diesen die Massentierhaltung anprangernden