Und auch ich darf leider nicht mehr ins Wasser. Leonie hat Kerzen und eine Taschenlampe bereit gelegt. Denn wenn die Elektrizität weggehen sollte, kann sie leider nicht so gut wie ich im Dunklen sehen. Ich sollte ihr mal besseres Schnüffeln und richtiges Riechen beibringen. Aber dafür scheint Leonie nicht so richtig ausgelegt zu sein.
Stürmischer Donnerstag
Gestern erlebten Leonie und ich eine richtige Sturmnacht. Der Wind heulte und wirbelte viele Dinge durch die Luft. Draußen war es dunkel und richtig unheimlich. Unheimlich natürlich nicht für mich tapferen Labrador, sondern nur für mein ängstliches Frauchen. Allerdings war es ein Wetter, bei dem nicht einmal ein Labrador vor die Tür gehen will. Ich musste auch nicht raus und lag auf dem Sofa und träumte von riesigen Lammknochen und Tennisbällen.
Wenn ich ab und zu die Augen öffnete, sah ich Leonie auf dem Balkon schrubben. Sie musste die halbe Nacht Wasser vom Balkon wischen, damit das viele Wasser nicht in die Wohnung lief. Ich hätte das ja ganz witzig gefunden. Ein See mitten in der Wohnung. Wer hat das schon? Leonie schien von der Idee nicht so angetan und zog es vor, das Wasser weg zu schrubben. Der Sturm heulte draußen und es blies in alle Ritzen unserer Wohnung. Ich kuschelte mich auf mein Sofa immer tiefer hinein und zog mir schließlich noch ein Kissen über meine Ohren. Denn auch wenn ich tapfer bin, ich muss den Donner ja nicht unbedingt so laut hören.
Ob ihr es glaubt oder nicht, plötzlich wehte ein Ball durch die Luft auf unseren Balkon. Genauso einen Ball hatte ich mir schon sehr lange gewünscht. Ich liebe Bälle. Und alle von Leonie auf die Insel mitgebrachten Tennisbälle sind längst von mir unter Teneriffas Vulkanerde gebracht worden. Nun habe ich einen so großen Ball, der nicht so schnell im Atlantik verschwinden wird. Den habe ich mir gleich auf meinem Sofa gesichert. Er eignet sich auch als Labrador Kopfablage für meinen schweren Denkerkopf. Ein Geschenk des Universums nur für mich. Da könnt Ihr mal sehen, wofür ein Sturm gut sein kann.
Heute waren wir nach der heftigen Sturmnacht gleich am Morgen spazieren. Überall flogen noch Dinge durch die Luft. Wir mussten richtig aufpassen, dass uns keine großen Palmenblätter auf den Kopf flogen. Einen zweiten Ball habe ich nicht gefunden, aber am Strand haben wir eine Menschenzeichnung gefunden. Ein in den Sand gezeichnetes Herz. So drücken einige Zweibeiner ihre Liebe aus. Ich mache das etwas anders. Wie ich Liebe ausdrücke, das erzähle ich Euch besser ein anderes Mal.
Doch auch wenn ich in den Sand male, sieht das ein bisschen anders aus. Von Herzchen halte ich nicht so viel. Ich scharre lieber ganz gerade, tiefe und parallele Linien. Da weiß dann doch gleich jeder Hund, wer hier am Werk war. Ich – Lasko der Labrador, der Beherrscher des Gebiets. Na ja, jedenfalls partiell. Und wenn ich mich nicht künstlerisch durch Scharren ausdrücke, dann markiere ich einfach. Das geht weitaus schneller als so eine aufwändige Menschenzeichnung. Das könnt Ihr mir glauben.
Lange war das Herz auch für uns nicht zu sehen, denn die Wellen waren riesig hoch und spülten es schnell wieder fort. „Alles kommt und geht“, sinnierte Leonie. Klar, dachte ich, gut, dass sie das auch schon mitbekommen hat.
Morgen werde ich ganz genau Ausschau halten, ob der Sturm nicht doch noch ein paar tolle Sachen für mich an den Strand angetrieben hat.
Stürmische Werte
Gestern stürmte es den ganzen Tag auf Teneriffa weiter. Dazu regnete es Hunde und Katzen (so sagte jedenfalls der Nummer 18 Mann zu der Nummer 18 Frau, als wir die Beiden unglücklicherweise vor der Haustür trafen). Leonie kurbelte den ganzen Tag die großen schweren Markisen vor dem Balkon herauf und herunter. Warum? Wenn es regnet, wird durch die schweren Markisen ein wenig Nässe vom Balkon fern gehalten. Ich spreche hier bewusst von ein bisschen Nässe, denn es reichte immer noch für ein kleines Labradorbad auf dem Balkon.
Allerdings meinte Leonie, dass es zum Abtrocknen des Balkons zwischen den Regenschauern besser sei, die Markisen hoch zu kurbeln, um ein wenig Wind auf den Balkon zu lassen. Also musste Leonie die schweren Dinger immer wieder hoch- und herunterkurbeln. So war sie mit kurbeln und wischen gut beschäftigt. Ich badete auf dem Balkon und da ich anschließend durch die ganze Wohnung lief, konnte Leonie drinnen auch gleich mitwischen. Nun haben wir endlich wieder eine saubere Wohnung.
Heute Morgen saß Leonie an ihrem Notebook und dachte anscheinend über menschliche Werte nach. Diese Werte, wie Liebe, Freundschaft, Aktivität, Vitalität sind wohl für Zweibeiner ziemlich wichtig. Leonie schien sich jedoch nicht genau zwischen diesen einzelnen Werten entscheiden zu können und murmelte immer wieder irgendwelche neuen Wörter vor sich hin: „Anerkennung, Unabhängigkeit, Abenteuer, Kreativität, Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit, sinnvolle Arbeit“, hörte ich sie vor sich hin sagen. Nach und nach wurde sie mit ihren Wortfetzen immer lauter, dass ich nicht in Ruhe schlafen konnte.
Schließlich fing ich aus Hundeverzweiflung selber an, über Werte nachzudenken. Hat ein Hund überhaupt Werte? Und wenn „ja“, welche? Ist Hunger ein Wert? Denn den habe ich immer und der scheint auch existenziell wichtig für mich zu sein. Was mache ich noch gerne? Ball spielen, laufen, mit anderen Hunden tollen…Spiel und Spaß – dahinter muss der Wert aktive Lebensfreude stecken. Fast hätte ich es vergessen. Ich lass mich gerne kraulen, mag schlafen, dösen, relaxen, Rudel liegen und träumen. Kurzum Ruhe. Nun noch schnell eine Werte Hierarchie und ich bin bei Fressen, Aktivität und Ruhe. So einfach geht das Leonie. Ich weiß gar nicht, worüber Du so lange nachdenken musst. Du solltest lieber endlich die Leine holen, damit ich unmittelbar vom Sofa aus der Ruhe in die Aktivität übergehen kann.
Morgen kommt hoffentlich die Sonne wieder, denn zu einer guten Ruhephase gehört bei einem Teneriffahund auch die Sonnenliege.
Ärger und Behördengänge werden abgeschüttelt
Gestern stürmte es weiter und die Wellen schlugen höher und höher gegen die Felsen. Der schöne Naturpool am Rand des Atlantiks war überhaupt nicht mehr zu sehen. Doch am Nachmittag kam endlich die Sonne für einige Zeit hinter den Wolken heraus und wir konnten einen langen Spaziergang machen. Als wir aus dem Haus gingen, kam plötzlich die Frau aus Nummer 18 auf uns zu und schrie Leonie an.
Sie schimpfte und schrie, dass Leonie den Ausgang nicht benutzen dürfe, da dort das Verbotsschild für Hunde hinge. Leider gibt es in unserem Haus mittlerweile keinen Ausgang ohne Verbotsschild für Hunde mehr. Das erklärte Leonie freundlich der Frau aus Nummer 18. Doch die schrie weiter in Englisch auf uns ein und kam mir dabei mit ihrem Zeigefinger, den sie immer gerne hochgestreckt durch die Gegend trägt, recht nahe. Sollte ich mal lecken? Ich ließ es dann jedoch. Zum einen wollte ich Leonie weiteren Ärger mit Nummer 18 ersparen. Und außerdem schmeckt Nummer 18 ganz bestimmt nicht besser als das englische Essen.
Leonie war nach dieser Begegnung richtig wütend. Eigentlich kann es ihr doch egal sein, was die Frau aus Nummer 18 sagt, denn wir ziehen bald aus. Könnte ich reden, würde ich Leonie sagen: Schüttele Dich, schüttele Dich und noch einmal: schüttele Dich. Habt Ihr das mal gesehen? Das ist der Weg, wie wir Hunde unseren Ärger ablegen. Wir können uns auch mächtig aufregen. Wenn ich zum Beispiel an meinem Lieblingsfeind vorbei gehe, dann steht mir auf dem Rücken eine richtige Wolfsmähne und ich könnte Amok laufen. Mein Blutdruck ist auf hundeachzig. Doch eine Minute später ist diese Emotion für mich eigentlich sinnlos, denn Lieblingsfeind ist außer Reichweite. Hundeachzig muss runter und ich beginne mit Gymnastik: den ganzen Körper schütteln, bis die Lefzen schlappern. Und der Ärger ist weg. So einfach ist das. Probiert es mal aus und Leonie sollte sich das auch hinter die Ohren schreiben.
Heute muss Leonie irgendwelche Verträge wegen der Wohnung abschließen und läuft von der Bank zum Makler und wieder zurück. Dann muss sie noch zur Gemeinde zwecks Anmeldung und ganz viel mit dem jetzigen Bewohner der „Hütte“ sprechen. Alles sehr langweilig.