Die schönsten Weihnachtsgeschichten II. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753127866
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seine Knöpfe.

      »Na, Herr, Ihr versteht das Schlafen, das kann man nicht anders sagen«, sprach John, als die Ruhe wieder hergestellt war.

      Während dieser Zeit hatte der alte Herr barhaupt und regungslos mitten im Zimmer gestanden.

      »So ausgezeichnet versteht Ihr's, daß ich Euch fast fragen möchte, wo denn die andern sechs sind. Aber das gäbe ja beinahe einen Witz und ich würde ihn gewiß nur verderben. Übrigens nahe daran«, murmelte der Fuhrmann lachend: »ganz nahe daran!«

      Der Fremde, der langes weißes Haar, schöne und für einen Greis merkwürdig stolze und ausdrucksvolle Züge und glänzende durchdringende dunkle Augen hatte, sah sich freundlich lachend um und grüßte des Fuhrmanns Frau mit würdevollem Kopfnicken.

      Sein Anzug war zwar einfach, aber sehr komisch – er war schon längst aus der Mode gekommen. Er war ganz von brauner Farbe. In der Hand hielt er einen großen ebenfalls braunen Knüttel oder eine Art Spazierstock. Da geschah etwas Merkwürdiges: als er damit auf den Boden stieß, fiel er auseinanderAnspielung auf die Sage von den sieben Schläfern. und wurde ein Stuhl, auf den er sich mit der größten Gelassenheit setzte.

      »Sieh nur!« sagte der Fuhrmann, indem er sich zu seiner Frau umwandte. »Gerade so fand ich ihn am Wege sitzend. Aufrecht wie ein Meilenzeiger. Und beinahe ebenso taub!«

      »Er saß im Freien, John?«

      »Ganz im Freien«, erwiderte der Fuhrmann; »just als die Nacht hereinbrach. ›Fahrgeld‹, sagte er und gab mir einundeinenhalben Schilling. Dann stieg er ein. Und jetzt ist er da.«

      »Er wird doch wohl bald gehen wollen, John?«

      Aber nein. Er wollte nur reden.

      »Mit eurer Erlaubnis«, sagte der Fremde sanft, »ich soll abgeholt werden. Tut, als wenn ich gar nicht da wäre.«

      Damit nahm er aus einer seiner weiten Taschen eine Brille und aus einer andern ein Buch und begann behäbig zu lesen, wobei er sich um Boxer nicht mehr kümmerte, als wäre er ein Lämmchen gewesen.

      Der Fuhrmann und seine Frau wechselten einen bestürzten Blick. Der Fremde erhob sein Haupt, blickte von der letzteren auf den ersteren, und sagte:

      »Eure Tochter, guter Freund?«

      »Frau«, erwiderte John.

      »Nichte?« fragte der Fremde.

      »Frau!« schrie John.

      »Wirklich?« versetzte der Fremde. »In der Tat, sehr jung!«

      Dann schlug er gemütlich einige Blätter um und setzte seine Lektüre fort. Aber kaum hatte er zwei Zeilen gelesen, da unterbrach er sich wieder und fragte:

      »Und das Kind – Euer?«

      John machte mit dem Kopfe ein gar nicht mißzuverstehendes Zeichen der Bejahung – mit Hilfe eines Sprachrohrs hätte er nicht verständlicher antworten können.

      »Mädchen?«

      »Kna-a-be!« schrie John.

      »Auch noch sehr jung, he?«

      Sofort meldete sich Mrs. Peerybingle zum Wort.

      »Zwei Monat und drei Ta-a-ge! Vor sechs Wochen wurde er gerade gei-i-mpft! Pocken sehr schön bekommen! Doktor sagte, ein merkwürdig schönes Ki-i-nd! So kräftig wie sonst nur Kinder von fünf Mo-o-nden! Seine Klugheit ganz wu-un-derbar! Wird Ihnen unglaublich scheinen, aber kann schon auf seinen Beinchen ste-e-hen!« Hier hielt die atemlose kleine Mutter, die diese kurzen Sätze dem Greise ins Ohr geschrien, bis ihr hübsches Gesicht feuerrot geworden, das Kindchen vor ihn hin, als einen unumstößlichen triumphierenden Beweis ihrer Behauptung, während Tilly mit dem melodischen Rufe »Ätsch, ätsch« – die geheimnisvollen Worte wie das Niesen eines kräftigen Mannes klangen – wie ein junges Kalb um das unschuldige Kindchen herumtanzte. –

      »Horch! Da wird er gewiß abgeholt«, sagte John. »Da ist jemand an der Tür. Mach' auf, Tilly!«

      Eh' sie jedoch die Tür erreicht hatte, wurde sie von außen geöffnet; denn es war eine jener altmodischen Türen mit Klinke, die jeder öffnen konnte, der Lust hatte – und gar mancher hatte Lust dazu; denn alle möglichen Nachbarn wechselten gern ein paar gemütliche Worte mit dem Fuhrmann, obgleich er gerade nicht sehr redselig war. Es trat ein kleiner dummer Mann mit nachdenklichem braunen welken Gesicht herein, der sich aus Packleinwand, in die wohl mal eine alte Kiste eingenäht worden war, selbst einen Überrock gemacht zu haben schien; denn als er sich umwandte, um die Tür zu schließen, damit das Wetter nicht hereinschlage, zeigte er auf der Rückseite seines Rocks in großen schwarzen Buchstaben die Aufschrift »G. & T.«, sowie in energischen Schriftzügen das Wort »Glas!«

      »Guten Abend, John«, sagte der kleine Mann. »Guten Abend, junge Frau. Guten Abend, Tilly. Guten Abend, Unbekannter. Was macht das Kindchen, junge Frau? Und Boxer hoffentlich gesund?«

      »Alles bei bestem Wohlsein, Kaleb.« antwortete Dot. »Um Euch davon zu überzeugen, braucht Ihr nur unseren lieben Jungen anzusehen.«

      »Und Euch, dann weiß ich's noch mal«, versetzte Kaleb.

      Er sah sie jedoch nicht an; denn er hatte ein unruhiges, nachdenkliches Auge, das immer in einer andern Zeit und einem andern Raume schien, wie denn seine Stimme auch niemals bei der Sache zu sein schien.

      »Oder John, dann weiß ich's nochmal«, sagte Kaleb.

      »Oder Tilly, soweit das möglich; oder auch Boxer.«

      »Gerade viel zu tun, Kaleb?« fragte der Fuhrmann.

      »O ja, ziemlich viel, John«, erwiderte dieser mit der zerstreuten Miene eines Mannes, der nicht weniger als den Stein der Weisen sucht. »Ja, ziemlich viel. Es ist jetzt starke Nachfrage nach Noahs Archen. Ich möchte die Noahsche Familie gern vollkommener machen, aber ich weiß nicht, wie es bei dem Preise möglich ist. Es würde mir Freude machen, wenn die Sems von den Hams, und die Männer von den Weibern deutlicher unterschieden werden könnten. Die Fliegen haben auch nicht das richtige Maß – wißt Ihr, wenn man sie mit den Elefanten vergleicht! Was ich sagen wollte, John, habt Ihr etwas unter den Paketen für mich?«

      Der Fuhrmann steckte seine Hand in eine Tasche des Rockes, den er ausgezogen hatte, und brachte, sorgfältig in Moos und Papier gewickelt, einen kleinen Blumentopf zum Vorschein.

      »Da ist's!« sagte er, ihn mit der größten Sorgfalt auspackend. »Es ist nicht ein einziges Blatt beschädigt. Ganz voller Knospen.«

      Kalebs trübes Auge erhellte sich, als er ihn entgegennahm und dem Fuhrmann dankte.

      »Teuer, Kaleb«, sagte der Fuhrmann; »sehr teuer um diese Jahreszeit.«

      »Macht nichts, mir würde er immer billig sein, was er auch kosten mag«, erwiderte der kleine Mann. »Sonst noch was, John?«

      »Eine kleine Schachtel«, erwiderte der Fuhrmann. »Da ist sie.«

      »An Kaleb Plummer«, sagte der kleine Mann, die Adresse buchstabierend. »Mit Vorschuß, John? Ich glaube nicht, daß das für mich ist.«

      »Mit Vorsicht«, entgegnete der Fuhrmann, ihm über die Schulter blickend. »Wie lest Ihr denn Vorschuß heraus?«

      »Ach ja, richtig!« sagte Kaleb. »Ja, ja, richtig, mit Vorsicht! Jawohl, es ist für mich. Es hätte übrigens auch ›mit Vorschuß‹ heißen können, John, wenn mein lieber Junge, der nach dem goldenen Südamerika ging, noch lebte. Ihr liebtet ihn wie einen Sohn, nicht wahr? Ihr braucht nicht ja zu sagen. Ich weiß es ohnehin. An Kaleb Plummer, ›mit Vorsicht‹. Ja ja, ist ganz richtig. 's ist eine Schachtel mit Puppenaugen für die Arbeit meiner Tochter. Ich wollte, John, es wären Augen für sie selbst in der Schachtel.«

      »Ich auch!« rief der Fuhrmann. »Oder doch, daß es so sein könnte!«

      »Danke für den Wunsch«, sagte der kleine Mann. »Was Ihr sagt, kommt von Herzen. Wenn man so denkt, daß sie nie die Puppen sehen kann . . . und daß sie sie den ganzen lieben langen Tag so unverwandt anblicken!