Braune Augen. Anna-Irene Spindler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna-Irene Spindler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847679301
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wohl diese Treppe hinunter geschritten waren. Ihre rechte Hand legte sie leicht auf das Geländer, mit der Linken hielt sie einen imaginären Reifrock elegant in die Höhe und ging mit zierlichen Trippelschritten sie Stufen hinunter.

      „Es ist mir eine Ehre, Sie alle hier als meine Gäste empfangen zu können”, sagte sie huldvoll zu ihren nicht vorhandenen Bewunderern.

      Ihre Stimme hallte laut und unnatürlich durch das hohe Treppenhaus. Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund, grinste und hüpfte wie ein ertapptes kleines Kind immer zwei Stufen auf einmal nehmend in das Erdgeschoss hinunter.

      In dieser Nacht schlief sie ruhig und ungestört wie ein Baby. Eine Stunde früher als sonst wurde Teresa von ihrem Radio geweckt. Obwohl sie üblicherweise eine Langschläferin war, die nicht gern früher als unbedingt notwendig aufstand, hatte sie sich am vorigen Abend spontan entschlossen schon um sieben Uhr anzufangen. So konnte sie am Nachmittag das Schloß in aller Ruhe besichtigen. Die Verbandsmeldung mit dem lästigen Ausfüllen der ganzen Formulare erledigte sie in einem ihr selbst schon unheimlichen Tempo. Überhaupt ging ihr die gesamte Arbeit an diesem Morgen leicht von der Hand.

      ‚Du benimmst dich wie ein Teenager, der sich auf sein erstes Rendezvous freut.‘

      Sie musste über sich selbst lächeln, als sie aufatmend bereits um zwanzig Minuten vor zwölf das Clubhaus verließ. Teresa hatte aber überhaupt kein schlechtes Gewissen. Sie hatte alles erledigt was zu tun war. Im Gegenteil. Dinge, die erst am Monatsende fällig waren, hatte sie auch heute schon abgeschlossen. Sie konnte also ruhigen Gewissens ihre ‚Schlosserforschungs-Expedition‘ starten.

      Auch bei Tageslicht bestätigte sich der Eindruck, den sie am Tag zuvor gewonnen hatte. Nein, es war wahrhaftig nicht schäbig. Im Gegenteil. Auf sie wirkte es wie das Gesicht eines alten Menschen, das erst durch viele Falten und Furchen sein würdevolles Aussehen erhielt. Von den Zimmern im Erdgeschoss war sie ein bisschen enttäuscht. Sie waren alle leer, ohne jegliche Möbel. Auch Teppiche und Bilder waren fort. Der Fußboden, ein ehemals herrlich gearbeitetes Parkett, hatte viele häßliche Kratzer und Schrammen, so als seien darauf häufig Möbel hin und her geschoben worden. Vielleicht waren die Räume in neuerer Zeit einmal Zweck entfremdet worden und hatten als Büro herhalten müssen.

      Im ersten Stock jedoch war alles so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Zeit schien in den Räumen stehen geblieben zu sein. Sie waren alle ähnlich eingerichtet. Jedoch jedes Zimmer in einem anderen Farbton. Die Farben waren zwar im Laufe der langen Zeit verblichen, aber man konnte noch gut erkennen, dass Alles aufeinander abgestimmt worden war. Die Vorhänge auf die seidene Wandbespannung. Die Gobelins auf die Sitzbezüge. Und die Teppiche auf die Deckenmalereien. In einem Raum war alles in einem freundlichen Gelb gehalten. Der nächste war wohl einmal in dunklem Rot eingerichtet worden, jetzt war es zu kräftigem Rosa verblasst. Es gab außerdem noch einen grünen, einen blauen und einen silberfarbenen Salon. Anhand der spärlichen Möblierung konnte man den ursprünglichen Zweck der Zimmer noch erahnen. Speisezimmer, Bibliothek, Rauchsalon, Spiel- und Arbeitszimmer – so zumindest hätte Teresa die einzelnen Räume betitelt. Als sie alle Räumlichkeiten der ersten Etage inspiziert hatte, stieg sie in das zweite Stockwerk hinauf. Wie sie bereits am Abend zuvor festgestellt hatte, waren die Wände der beiden Gänge, die vom Treppenhaus nach links und rechts führten, bis unter die Decke mit Jagdtrophäen geschmückt. Da gab es außer Hirschgeweihen noch präparierte Elch- und Keilerköpfe. Wisente schauten ebenso von ihren hölzernen, geschnitzten Trophäenbrettern auf sie herunter wie Wölfe, Gemsen und Rehböcke.

      ‚Scheint eine sehr Jagd begeisterte Familie gewesen zu sein‘, dachte sie.

      Als sie die Tür am rechten Ende des Flurs öffnete, versuchte sie zu raten, welcher Raum sich wohl hier befand. Sie tippte ja auf ein Gästezimmer. Erwartungsvoll streckte sie den Kopf durch die Tür. Falsch! Sie befand sich wieder in einem langen Gang, der sich offensichtlich über die gesamte Länge der Ostseite des Hauses erstreckte. Durch die vielen hohen Fenster war es hier heller als in den Räumen, die sie bisher gesehen hatte. An der rechten Wand hingen Bilder.

      „Sieh mal einer an, die Ahnengalerie!“, murmelte sie vor sich hin.

      Die ganze Palette adeliger Urahnen war hier versammelt. Männer in Orden gespickten Uniformen oder weißen Kniehosen und Puderperücken standen in Lebensgröße in aufwendig geschnitzten Bilderrahmen. Die Frauen trugen wahlweise weite Rokokoroben oder streng taillierte Reitkleider. Gemeinsam war ihnen Allen der überaus strenge und freudlose Blick.

      „Na, ihr hattet wohl nicht sehr viel zu lachen.”

      Schmunzelnd ging sie an den einzelnen Bildern entlang und musterte sie gründlich. Bei den meisten war unten am Bilderrahmen ein Messingtäfelchen mit dem Namen und dem Geburts- und Sterbejahr angebracht. Sie machte sich einen Spaß daraus für diejenigen, an deren Rahmen sich keine Tafel befand, einen Namen zu erfinden. Eine überaus füllige, streng blickende Dame auf dem Bild vor ihr sah sehr herablassend auf sie herab.

      „Ich glaube du siehst nach Mathilde aus. Ja! Das scheint mir doch ein sehr passender Name für dich zu sein.”

      Mathilde äußerte sich nicht zu ihrem Vorschlag, sah aber womöglich noch missbilligender drein. Der Mann auf dem Bild daneben hieß Friedrich August. Auch er sah ziemlich säuerlich aus.

      „Ist das dein Ehemann?”, fragte sie Mathilde. „Jetzt verstehe ich warum du so verdrießlich aussiehst. Mit so einem Mann war das Leben bestimmt nicht sehr witzig.”

      Neben Friedrich August hing wieder das Bild einer Frau. Sie war die hübscheste von den Frauen, die sie bisher in der Galerie gesehen hatte. Eine richtige Schönheit! Das eng taillierte schwarze Reitkleid ließ erkennen, dass sie im Gegensatz zu den anderen Matronen eine ausgezeichnete Figur gehabt hatte. Sie trug einen schwarzen Hut mit langen weißen Straußenfedern und um ihren Mund spielte sogar ein kleines Lächeln.

      ‚Elena Fürstin von Maybach-Berghof, geb. Gräfin von Gerona‘ stand auf der kleinen Tafel.

      „Aha, du bist nicht von hier. Deshalb schaust du so viel hübscher aus als deine angeheiratete Verwandtschaft.”

      Unvermittelt fing Teresa schallend zu lachen an.

      „Jetzt unterhalte ich mich schon mit Bildern. Gut dass es niemand hören kann, sonst würde man mich in die Klapsmühle stecken.”

      Auf dem nächsten Bilderrahmen war wieder kein Namensschild. Im Augenwinkel konnte sie dunkelbraune Stiefel erkennen.

      „Ich weiß, du bist sicher Maximilian, der schneidige Ehemann von Elena!”

      Erwartungsvoll schweifte ihr Blick nach oben. Hellbraune Reithosen, ein weißes Hemd, dunkle Haare, braune Augen.

      Braune Augen! Es war das Gesicht aus ihrem Traum! Kein Zweifel war möglich! Der gleiche spöttische Blick! Das Glitzern in den Augen! Ungläubig starrte sie auf das Bild des Mannes. Er war ihr völlig unbekannt und doch hatte sie ihn im Traum gesehen.

      „Wer um alles in der Welt bist du?“ Teresas Stimme klang ein wenig heiser. Sie hatte einen richtigen Frosch im Hals.

      „Auf jeden Fall ist mein Name nicht Maximilian. Was für eine absurde Idee!”

      Mit einem spitzen Schrei fuhr Teresa herum. Der Mann stand vor ihr! Keine drei Meter von ihr entfernt! Genau wie auf dem Bild! Dieselbe Kleidung! Dasselbe spöttische Lächeln auf den Lippen! Dasselbe Funkeln in den braunen Augen!

      ‚In einem Kinofilm müsstest du jetzt das Tablett fallen lassen und schreiend davon laufen oder zumindest stilvoll in Ohnmacht sinken.‘

      Wie in Zeitlupe tröpfelten die Gedanken durch ihren Kopf. Aber Teresa tat weder das Eine noch das Andere. Sie trug ja auch kein Tablett mit sich herum. Alles was sie tat war, ihn mit offenem Mund anstarren.

      „Es tut mir furchtbar leid, wenn ich Euch erschreckt haben sollte. Aber ich konnte Euch doch nicht in dem Glauben belassen, mein Name sei Maximilian.”

      Es war kein Irrtum möglich. Er redete mit ihr. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte es aber erst nach einigen Anläufen fertig, Worte zu formen.

      „Was