Das Tor nach Andoran. Hubert Mergili. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hubert Mergili
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847620204
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      Kapitel 5

       Die schwarze Festung

      Gespenstischer von Blitzen durchzuckter Nebel hüllte Gallan ein, als sich das Tor hinter ihm schloss. Allmählich und zögernd lösten sich die wabernden Nebelschleier auf. Gallan wartete, bis sie sich ganz legten, dann sah er sich suchend um. Er war auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, der ihm verriet, in welche Welt die Mutter ihre Tochter vor ihm zu verstecken suchte.

      Jedes Wesen das sich in diesem Zwischenraum bewegte hinterließ eine Spur, das Problem war nur diese zu erkennen. Die Spur des Einhorns musste noch frisch sein, daher glaubte Gallan, sie leicht zu finden. Angestrengt suchten seine Augen in dem diffusen Licht, das der Dunkelheit gewichen war, nach einem Anzeichen.

      Jarduk spielte nervös mit den Ohren und versuchte sich auf der Hinterhand zu drehen, da gewahrte Gallan die blassblauen Schemen, die nur von der Aura des Einhorns herrühren konnten. Das war die Spur, nach der er suchte.

      Gallan hob seine Hand mit dem Ring an. Ein dünner roter Faden verließ den Ring und strebte rasch auf den dunstigen sich in Auflösung beginnenden Schemen zu, umfing ihn und hielt ihn fest. Gallan triumphierte und gab Jarduk die Sporen, nun war es ihn ein Leichtes, das Junge aufzuspüren.

      In einem sich wild drehenden Durcheinander aus Farben, die von zartem Weiß über satt leuchtendem Gelb bis hin zum dunkelsten schwarz reichten, nahm Gallan rasant Fahrt auf. Nur gehalten durch die Verbindung seines Ringes zu der Aura des Einhorns, stürzte er an ungezählte Welten vorbei, die als verschwommene Schemen in sein Gesichtsfeld kamen und wieder verschwanden. Plötzlich bemerkte Gallan, wie seine Fahrt gebremst wurde. Die Farbenpfeile, die an ihm vorüber rasten, verloren sich und wurden zu dicken ineinander laufenden Klecksen, bis sich eine in allen regenbogenfarben schillernde Kuppel über ihm ausbreitete und langsam verblasste.

      Gallan war am Ziel seiner Verfolgungsjagd angekommen und mit einem donnernden Knall, spuckte ihn die Zwischenebene aus, um das Tor sofort hinter ihm wieder zu verschließen. Gallan saß hoch aufgerichtet im Sattel und sah sich aufmerksam um.

      Vor sich erkannte er ein kleines Wäldchen im dämmrigen Licht des beginnenden Tages. Wie Gallan erkannte, stand er mitten auf einem Talgrund, an dessen Seiten sich steile Berghänge erhoben. Von irgendwoher vernahm er das Blöcken von Schafen, doch seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die mentalen Schwingungen des Einhorns.

      Lange musste Gallan nicht suchen, denn bei dem nahe gelegenen Gehölz wurde er fündig. Schwach aber dennoch deutlich erkennbar strömten die Schwingungen auf ihn ein. Hämisch grinsend stieg er von seinem Pferd.

      *Wenn die Mutter wüsste, dass er ihr Junges trotz ihrer Bemühungen gefunden hatte.* Ungewollt dachte er über die Stute und ihren vergeblichen Bemühungen nach, ihr Junges vor ihm zu schützen.

      Aufrecht lief Gallan die wenigen Schritte bis zum ersten Stamm eines Ahorns hinüber und erstarrte zur Bewegungslosigkeit. Ein Schatten trat dahinter hervor und schrie ihn an. »Halt, stehen bleiben.«

      Gallan konnte im Zwielicht des Morgens einen jungen Mann erkennen, der ihm drohend ein großes Jagdmesser entgegenhielt. Gedankenschnell hob Gallan seine Hand mit dem Ring, aus dem ein feiner roter Lichtstrahl die Brust der Gestalt vor ihm traf. Leblos sackte der Junge in sich zusammen und schlug hart auf dem Boden auf.

      *Dieser Narr, dachte der Junge etwa Gallan würde sich von ihm einschüchtern und aufhalten lasen?* Gallan setzte unbeirrt seinen Weg fort.

      Wachsam stieg er über den Jungen hinweg und drang tiefer in das Gehölz ein. *Wo steckte das verdammte Einhorn nur?* Hier drinnen war es dunkel wie in einem Pferdearsch. Die dicht zusammengewachsenen Wipfel der Bäume verhinderten das durchdringen des schwachen Morgenlichts bis auf den Waldboden.

      Verstärkt durch seinen Ring, spürte er ganz deutlich die Ausstrahlung des Einhorns. Jäh blieb Gallan stehen. Die zarte Gestalt eines Mädchens mit langen weißen Haaren löste sich aus dem Schatten der Bäume. Mit in Panik geweiteten Augen starrte ihn das Mädchen an und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Es warf sich herum und wollte vor ihm fliehen. Schlagartig verstand er die Worte ihrer Mutter.

      Er verdankte es dem Ring, der die Ausstrahlung des Einhorns noch wahrnahm. Ohne ihn hätte er das Mädchen nicht weiter beachtet. Am allerwenigsten aber wäre es ihm eingefallen nach etwas anderem zu suchen als nach einem Einhorn. Es war ein Glück für ihn, weil die Suche nicht allzu lange dauerte, sonst könnte selbst der Ring die Schwingungen nicht mehr orten.

      Ein kaum wahrnehmbares Rascheln in seinem Rücken verursachte das Schrillen sämtlicher Alarmglocken in Gallans Kopf. Noch ehe er sich instinktiv mit einem Satz nach vorne in Sicherheit bringen konnte, explodierte in seinem Kopf ein Feuerwerk, das von schlagartiger Dunkelheit abgelöst wurde.

      *Verdammt,* war der letzte Gedanke Gallans, ehe er ohnmächtig im Gras aufschlug.

      Gallan bemerkte nicht, wie er im Sturz die Jagdtasche mit den kostbaren Hörnern verlor, die in einem weiten Bogen vor ihm auf dem Boden landete.

      Hämmernde Schmerzen, so als benütze jemand seinen Schädel als Amboss, ließen Gallan wieder zu sich kommen. Er benötigte lange Zeit, bis er halbwegs klar denken konnte. Langsam kam die Erinnerung an den Schlag auf seinem Hinterkopf und dem rasenden Schmerz der darauf folgte wieder zurück.

      Gallan atmete tief durch und versuchte die Augen zu öffnen, aber es dauerte noch einige Zeit bis sein Bewusstsein die tiefe Dunkelheit, die ihn einhüllte, begriff.

      *Wo befand er sich warum war es dunkle Nacht um ihn herum? Wie lange war er bewusstlos gewesen?*

      Anfangs konnte er sich das kratzende Gefühl auf seinem Gesicht nicht erklären. Langsam wurde ihm klar, dass es die raue Innenseite seines Ledermantels sein musste, die bei jeder Bewegung über sein Gesicht schabte.

      Mit schmerzverzerrtem Mund rollte er sich auf den Rücken, wischte mit einer fahrigen Bewegung den Mantel zur Seite und schloss geblendet seine Augen. Wie scharfe spitze Messer peinigten die Sonnenstrahlen seine Sehnerven. Es war heller Tag und die Sonne stand über ihm im Zenit. Beim zweiten Versuch seine Augen zu öffnen war Gallan darauf vorbereitet und nach einiger Zeit sah er das Blau des Himmels über sich. Langsam erinnerte sich Gallan an das Geschehene und schalt sich einen Narren so arglos in die Falle des Jungen gestolpert zu sein. *Aber wo war der Junge,* fragte er sich, während er sich mit zusammengebissenen Zähnen aufzurichten versuchte.

      Er musste ziemlich lange bewusstlos gewesen sein, wenn die Sonne schon so hoch stand. Beim zweiten Versuch gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. Gallans verschwommener von Schmerzen gepeinigter Blick suchte die Umgebung nach dem Jungen ab, der ihn hinterlistig überrumpelt hatte. Er musste noch irgendwo in der Nähe sein, da fiel sein Blick auf etwas, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Gallan glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er den Kadaver des Einhorns neben sich im Gras liegen sah, das er vor wenigen Stunden eigenhändig tötete.

      Gallan schloss die Augen, um sie wenige Augenblicke später wieder zu öffnen. Insgeheim hoffte er das Bild wäre verschwunden und die steilen Bergflanken träten an seine Stelle. Er konnte immer noch nicht glauben, was er sah. Rings um ihn verstreut lagen die Leichen der Einhörner mit den abgeschlagenen Hörnern.

      *Er befand sich wieder an seinem Ausgangspunkt, aber wie kam er hierher?*

      Unsicher sah sich Gallan um. Er erkannte die kleine Mulde, in der er seine Opfer gestellt hatte, und fragte sich, wie er hierher kam. Hastig tastete Gallan nach dem Ring an seinem Finger und eisiger Schrecken griff nach seinem Herzen. Der Ring des Barons war verschunden. Sein zweiter Gedanke galt der Jagdtasche, in der er die Hörner verstaut hatte. Noch ehe seine Hand danach suchte, wusste er, dass auch sie fehlte.

      Wie betäubt stand Gallan auf und schwankte von den Tierleichen weg. Schwer atmend setzte er sich auf einen Stein, der aus dem Boden ragte. Fieberhaft jagten sich seine Gedanken, um die Zusammenhänge zu begreifen.

      *War es einem anderen Sucher gelungen ihm unbemerkt zu folgen und hatte der ihn niedergeschlagen, um