„Dritte Position! Und nun die Armbewegungen! Auf die Handstellung achten, die Finger! Mehr Eleganz, meine Damen, Eleganz! Perfekt, Fräulein von Zietowitz, einfach perfekt! Machen Sie es doch bitte noch einmal vor! Meine Damen, nehmen Sie sich ein Beispiel an der Baronesse!“
Gleichmütig lächeln, nicht zeigen, wie man sich freut!
Sophie vollführte die Figur, wie sie es unzählige Male geübt hatte: anmutig und doch stolz.
Nun weiß er, wer ich bin. Und wenn er mich bisher nicht gesehen hat, jetzt ist er aufmerksam auf mich geworden.
Dann mussten sie wieder Platz nehmen, und die Herren waren an der Reihe. Der Tanzlehrer machte vor, wie sie sich ihrer auserwählten Dame zu nähern hatten, wie zu verbeugen — nicht zu tief und nicht zu oberflächlich, mit Leichtigkeit, Würde und Eleganz —, wie sich vorzustellen und wie um den Tanz zu bitten. Dann forderte er den ersten Herrn auf, den Anfang zu machen. Es war er.
Quer durch den Saal kam er herüber, genau auf sie zu. Nicht ihm entgegensehen. Nicht merken lassen, dass ich auf ihn warte.
„Gestatten, Samuel Rosenstock! Dürfte ich Sie um den Tanz bitten, gnädiges Fräulein?“
Er verneigte sich nicht vor ihr. Er verneigte sich vor Cecilie neben ihr.
Ihr Mund war trocken. Nicht die Enttäuschung sehen lassen. Wenn meine Mutter es merkt ...
Habe ich ihm nicht gefallen?
Ach, was für ein Unsinn! Cecilie ist die Tochter des Hauses. Natürlich musste er Cecilie auffordern! Es wäre ein Affront gewesen, wenn sie nicht als Erste gewählt worden wäre, und dazu ist er viel zu höflich. Es hat nichts zu bedeuten, nichts. Dann werde ich eben von dem Nächsten gewählt. Wenn wir das zweite Paar sind, tanze ich bei der Gavotte in der Reihe direkt hinter ihm und komme beim Moulinet mit ihm in eine gemeinsame Gruppe ...
Der zweite Herr wählte Ludmilla, die durch häufiges Kichern und Tuscheln aufzufallen pflegte. Gut, der dritte Platz mochte noch angehen, auch wenn die Mutter damit nicht zufrieden sein würde ...
Der dritte Platz ging nicht an sie.
War ihr Kleid trotz der Atlasröschen doch zu schäbig? Oder hatte sie die Haare zu straff aufgesteckt, hätte ein paar Locken mehr herauszupfen sollen? Was würde sie von der Mutter zu hören bekommen, so wenig ehrenhaft abgeschnitten zu haben!
Einer nach dem anderen traten die jungen Herren jeweils auf eine junge Dame zu, verlegen oder stümperhaft die einen, überforsch die anderen, wurden korrigiert, mussten die Vorstellung wiederholen. Eine junge Dame nach der anderen wurde engagiert.
Schließlich saßen nur noch Friederike und sie auf ihren Stühlen. Friederike Meier, die Pastorentochter, deren Position als Mauerblümchen vom ersten Augenblick an klar gewesen war, und sie, Baronesse Sophie von Zietowitz.
Was war verkehrt an ihr? Sie war nicht hässlich, nein, obwohl Cecilie natürlich maßlos übertrieb, wenn sie von ihrer Schönheit redete, aber hässlich war sie doch nicht, oder? Die Nase war vielleicht ein wenig zu schmal und zu spitz, ihre Lippen etwas zu voll. Aber immerhin hatte sie eine makellos reine und weiße Haut.
Was um alles in der Welt war es?
Friederike auszustechen konnte man beim besten Willen nicht mehr als Erfolg werten. Friederike hatte eine fahle Haut und ein aufgedunsenes Gesicht, und, was schwerer wog, alles an Friederike roch nach Verliererin. Die eingesunkene Art, wie sie auf ihrem Stuhl saß und ihr Taschentüchlein knetete, als wolle sie vor Unglück im Boden versinken!
Sophie richtete sich noch ein wenig stolzer auf. Die Muskeln im Gesicht taten schon weh von all dem Lächeln. Dennoch lächelte sie weiter, lächelte dem Herrn entgegen, der da mit ungelenken Schritten auf sie zukam, lächelte, ohne ihn anzusehen, denn das wäre unschicklich gewesen, und unschicklich würde sie nicht werden. Ein Zietowitz hatte noch nie unehrenhaft ein Schlachtfeld verlassen — auch nicht, wenn die Schlacht verloren war. Der Herr stellte sich Friederike vor.
Haltung bewahren. Würde. Lächeln. Mit Leichtigkeit und selbstverständlicher Höflichkeit dem letzten Herrn antworten, ihm, dem nun nichts anderes mehr übrig blieb, als sie zu engagieren.
„Gestatten, Walter Wohlschlägel! Dürfte ich Sie um den Tanz bitten, gnädiges Fräulein?“
Sich erheben, sich aufstellen, tanzen. Gavotte, Menuett. Windungen und Wendungen. Zierlich abgemessene Komplimente. Schreiten in der Reihe, die rechte Hand rafft das Kleid, lächeln, lächeln. Moulinet — in einer anderen Vierergruppe als Samuel Rosenstock. Nicht ein falscher Schritt, kein einziges Stolpern oder Verhaspeln, vorbildliche Körperhaltung. Lächeln. Glücklich erscheinen und ungekünstelt und stolz.
Was um Himmels willen war falsch an ihr? Was war es, was sie noch weniger liebreizend machte als Friederike, da doch ihre Tanzkünste außer Zweifel standen, sie sogar öffentlich als Vorbild hingestellt worden war? Sie wollte weinen. Sie lächelte. Und immer weiter.
Irgendwann war auch dieser Spätnachmittag vorbei, die erste Stunde des gemischten Tanzzirkels, auf die sie sich so sehr gefreut hatte.
Frieda wartete schon vor dem Haus, als Sophie mit der Mutter ins Freie trat. Schweigend gingen sie nebeneinanderher, gefolgt von Frieda. Schweigend, denn noch waren andere Teilnehmer des Zirkels in der Nähe, noch konnten sie belauscht werden. Doch sobald sie außer Hörweite waren, würde die vernichtende Kritik der Mutter beginnen. Das Urteil, das nichts anderes als ein Todesurteil bedeuten konnte: Das Schicksal einer jungen Dame entscheidet sich im Ballsaal ...
Doch das war jetzt schon alles gleich. Nichts, was die Mutter sagen mochte, konnte schlimmer sein als das, was in ihrem eigenen Inneren nagte.
„Ich bin sehr stolz auf dich“, sagte die Mutter.
Sophie blieb unter der Gaslaterne stehen, starrte ihre Mutter an. „Aber“, sie stockte, „aber, wie kannst du das sagen ...?“
Die Mutter legte ihr die Hand auf den Arm. „Es war hart für dich, ich weiß“, sagte sie sanft, so sanft hatte Sophie die Stimme der Majorin kaum je gehört. „Aber wie du das durchgestanden hast, mit einem Lächeln, das nicht einmal gekünstelt wirkte — alle Achtung! Noblesse oblige, mein Kind. Heute hast du dem Namen Zietowitz alle Ehre gemacht.“
Da brach Sophie in Tränen aus. „Aber warum“, stammelte sie, „warum als Letzte, nicht einmal Friederike ...“
Die Mutter lächelte. „Warum? Meine liebe Sophie, das liegt klar auf der Hand, und glaub mir, ich sage das nicht aus falschem Mutterstolz oder weil ich dich trösten will: Keiner der Herren hat sich an dich herangetraut. Sie haben alle gespürt, dass du etwas Besseres bist, dass du zu gut bist für sie. Auf einem Ball der Gesellschaft hättest du brilliert. Aber im Hause Stolze — nun ja.“
Die Mutter nahm Sophies Hand, legte sie sich auf den Unterarm, ging so Arm in Arm, sprach dabei weiter: „Wäre auch nur ein einziger Kadett unter den Herren gewesen! Oder ein Fähnrich aus einem guten Regiment! Dann wäre es für dich ganz anders verlaufen, das kann ich dir versichern. Samuel Rosenstock, beileibe! Übrigens kam mir vor, als wäre er dir nicht gleichgültig.“
Sophie stockte. Nur einen winzigen Augenblick verharrte ihr Fuß beim Gehen mitten in der Bewegung, doch der Mutter entging es nicht.
Mit einem halb befriedigten, halb ironischen Lächeln nahm diese zur Kenntnis, ins Schwarze getroffen zu haben, und fuhr in süffisantem Ton fort: „Man kann sich auch durch Wegschauen verraten, meine Liebe, nicht nur durch Hinschauen. Nun, ich glaube nicht, dass das außer mir jemand gemerkt hat; die anderen Mütter — über die hohe Schule der gesellschaftlichen Erfahrung und Etikette verfügen sie nicht gerade. Kurz, von diesen Damen ist keine allzu