In dieser Einigung wird der Geist gewahr, dass er sich selbst durch die Minne entsunken ist in die Tiefe, und entstiegen in die Höhe, und entgangen in die Länge; und er fühlt sich verirrt in die Weite, und fühlt sich wohnend in einer unbekannten Bekanntheit. Und er fühlt sich zerflossen durch das ihm anhaftende Gefühl der Einigung in der Einheit, und durch völliges Ersterben in der Lebendigkeit Gottes.
Und da fühlt er sich als ein Leben mit Gott. - Das ist das Fundament und der erste Punkt im schauenden Leben. Daraus entspringt nun der zweite Punkt, das ist eine Uebung über der Vernunft und ohne Weise. Denn die Einheit Gottes, die von jedem schauenden Geiste in Minne Besitz ergriffen hat, die zieht ewiglich hinein und lädt die göttlichen Personen und alle minnenden Geister in ihre Selbstheit ein.
Dieses Hineinziehen fühlt ein jeder der minnt, mehr oder minder, je nach dem Maß seiner Minne und der Art seiner Übung; und wer das Hineinziehen wahrnimmt und dabei bleibt, der kann nicht in Todsünde fallen. Der schauende Mensch aber, der sich und alle Dinge verleugnet hat, der nichts fühlt was ihn abzieht (weil er nicht als Eigen besitzt, sondern aller Dinge ledig ist), der kann jederzeit nackt und bildlos in das Innerste seines Geistes kommen.
Allda findet er geoffenbart ein ewiges Licht; und in dem Lichte fühlt er das ewige Einmahnen der Einheit Gottes; und er fühlt sich als einen ewigen Minnebrand, den es mehr als alles gelüstet, eins zu sein mit Gott. Je deutlicher er das Hineinziehen oder Einmahnen wahrnimmt, umso mehr fühlt er es; und je mehr er es fühlt, so mehr gelüstet ihn eins zu sein mit Gott; denn es drängt ihn, die Schuld zu bezahlen, an die er von Gott gemahnt wird. Das ewige Einmahnen der Einheit Gottes bewirkt im Geiste ein ewiges Brennen in Minne; dass aber der Geist die Schuld unablässig bezahlt, das versetzt ihn in ein ewiges Verbrennen.
Denn in der Übergestaltung [oder Transfiguration] seitens der Einheit werden alle Geister zu wirken unfähig, und fühlen nichts anderes, als nur ein Verbrennen in der einfachen Einheit Gottes.
Diese einfache Einheit Gottes kann niemand fühlen noch besitzen, es sei denn, er stehe vor ihr in der unermesslichen Klarheit und in der Minne, über der Vernunft und ohne Weise. In diesem Gegenüberstehen fühlt der Geist in sich das ewige Brennen in Minne. Und in diesem Minnebrand findet er nicht Ende noch Anfang; und er fühlt sich eins mit diesem Minnebrand. Der Geist bleibt immerfort brennend in sich, denn seine Minne ist ewig; und immerfort fühlt er sich in Minne brennen, denn er wird in die Übergestaltung der Einheit Gottes gezogen. Wäh¬rend der Geist in Minne brennt, findet er, ehe er es selbst beachtet, Unterschied und Anderheit zwischen sich und Gott; aber da er verbrennt, da ist er einheitlich und hat keine Unterscheidung und fühlt deshalb nichts anderes als Einheit, - denn die unermessliche Flamme der Minne Gottes verzehrt und verschlingt alles was sie erreichen kann in ihrer Selbstheit.
Und daraus möget ihr ersehen, dass die hineinziehende Einheit Gottes nichts anderes ist als die grundlose Minne, die den Vater und den Sohn, und alles was in ihm lebt, minnend in ein ewiges Genießen hineinzieht. Und in dieser Minne wollen wir brennen und verbrennen ohne Ende in Ewigkeit, denn hieran ist aller Geister Seligkeit gelegen. Und darum müssen wir alle unser Leben auf einen grundlosen Abgrund gründen, dann können wir ewiglich in Minne sinken, und uns selbst entsinken in die grundlose Tiefe. Und mit derselben Minne sollen wir aufsteigen und uns entsteigen in die unbegreifliche Höhe Und in der Minne ohne Weise sollen wir irren und uns verirren, und sie soll uns leiten und verleiten in die Unermessliche Weite der Gottesminne. Und in dieser sollen wir fließen und uns entfließen in die unbekannte Wonne der Güte und des Reichtums Gottes. Und darin sollen wir schmelzen und verschmelzen, wallen und verwallen ewiglich in Gottes Glorie. - Seht, in jedem von diesen Bildern zeige ich dem schauenden Menschen sein Wesen und seine Übung, aber nur er und sonst niemand kann es verstehen: Denn das schauende Leben kann keiner den anderen lehren. Wo sich aber die ewige Wahrheit of¬fenbart Im Geiste, da wird alles gelehrt was not tut.
Von dem glänzenden Stein und dem neuen Namen im Buche der Heimlichkeit Gottes.
Und deshalb spricht der Geist unseres Herrn im Buche des Geheimnisses Gottes, welches Sankt Johannes niederschrieb: „Dem Überwinder“, sagt er (das ist demjenigen, der sich selbst und alle Dinge überwindet), „dem werde ich geben verborgenes Himmelsbrot“ (d. i. innerlichen verborgenen Geschmack und himmlische Freude), „und ich will ihm geben einen glänzenden Stein und auf dem Stein geschrieben den Namen den niemand kennt, als der Empfänger.“
- Dies Steinlein wird genannt Calculus, das heißt wörtlich „Trittlein „, seiner Kleinheit wegen; denn wenn es auch ein Mensch unter seinen Fuß tritt, es tut nicht weh. Dies Steinlein ist glänzend weiß und rötlich wie eine Feuerflamme. Und es ist klein, und rund; und ringsum glatt, und sehr leicht. Unter diesem glänzenden Steinlein verstehen wir unseren Herrn Jesus Christus, denn seiner Gottheit nach ist er ein Strahl des ewigen Lichtes und ein Schein der Glorie Gottes, und ein fleckenloser Spiegel, darin alle Dinge leben. Wer nun alle Dinge überwindet und übersteigt, dem wird dieser leuchtende Stein gegeben und damit empfängt er Klarheit, Wahrheit und Leben.
Dieser Stein ist auch ähnlich einer feurigen Flamme, denn die feurige Minne des ewigen Wortes hat das ganze Erdenreich erfüllt mit Minne, und will alle minnenden Geister in Minne zu Nichte verbrennen. Dies Steinlein ist auch so klein, dass es der Mensch kaum fühlt, wenn er es unter die Füße tritt. Und darum heißt es Calculus, d. i. Trittling. - Dieses deutet uns Sankt Paulus, da er sagt, dass „der Sohn Gottes sich klein gemacht hat, und hat Knechtes Gestalt angenommen, und ist gehorsam gewesen bis zum Tod am Kreuz.“ - Und der Sohn Gottes selbst spricht durch des Propheten Mund: „Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch, ein Gelächter der Menschen und ein Auswurf des Volkes.“ Und er machte sich so klein in der Zeit, daß ihn die Juden unter die Füße traten.
Sie aber fühlten‘s nicht; denn hätten sie den Sohn Gotteserkannt, sie hätten ihn nicht zu kreuzigen gewagt. Auch ist er klein und ungeachtet in allen Menschenherzen, die ihn nicht sehr minnen. Das edle Steinlein, von dem ich spreche, ist ganz rund und rundum glatt. Dass der Stein rund ist, das lehrt uns, dass die göttliche Wahrheit weder Anfang noch Ende hat; dass er rundum glatt und eben ist, lehrt, dass die göttliche Wahrheit alles ebenmäßig abwägt und jedem nach seinem Verdienste geben wird; und was sie gibt, das wird für ewig sein. Die letzte Eigenschaft des Steines, von der ich sprechen will, ist, daß er besonders leicht ist; denn das ewige Wort des Vaters hat kein Gewicht, und dennoch trägt es Himmel und Erde durch seine Kraft; und es ist allen Dingen gleich nah, dennoch kann es niemand erreichen; denn es entschwebt und entfernt sich von allen Kreaturen, und offenbart sich nur wo es will und wem es will; und in seiner Leichtigkeit hat die Schwere unserer Menschheit alle Himmel erklommen und sitzt gekrönt zur rechten Hand des Vaters.
Seht, das ist der glänzende Stein, der dem Menschen gegeben wird, und auf diesen Stein ist ein neuer Name geschrieben, den niemand kennt, als der ihn empfängt. Ihr müsst Wissen, dass alle Geister bei ihrer Umkehr zu Gott mit Namen genannt werden, ein jeder besonders, nach dem Wert seines Dienstes und nach der Höhe seiner Minne. Denn nur der erste Name der Unschuld, den wir in der Taufe empfangen, ist geziert mit den Verdiensten unseres Herrn Jesus Christus. Und ‚wenn wir diesen Namen der Unschuld durch die Sünde verlieren, - wenn wir dann aber noch folgsam sein wollen, besonders bei drei Werken, die er in uns wirken will, - so werden wir zum zweiten Male getauft im Heiligen Geist. Und da empfangen wir einen neuen Namen, der uns ewiglich bleibt.
Von dem Werke, das Gott in allen insgemein wirkt.
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