Glanz und Elend der Friedrich - Wilhelms. Helmut H. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut H. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847668756
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Mitte geben. Der sächsische August kam zu seinem Krieg wie die Jungfer zum Kind; ein gewisser Patkul, livländischer Ritter und Sprecher des dortigen Adels, hat zuerst versucht, mit Karl XI., dem Vorgänger des bewunderten Kriegshelden, Livland von der Enteignung bestimmter ehemaliger Krongüter (eine höchst verwickelte Rechtslage, auf die wir nicht eingehen wollen) durch die Krone auszunehmen. Er hielt in Schweden beredt Vortrag, und Karl klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, ohne nachzugeben; er schickte ihm sicherheitshalber zwei Agenten nach, die ihn fangen und töten sollten. Allein Patkul, mit den Gepflogenheiten der Diplomatie wohl vertraut, entfloh nach Sachsen und brachte tatsächlich allmählich als Mitglied einer Delegation in Moskau jene Allianz gegen Karl XII. zusammen, die soeben die Jacke voll bekommen hat. Manche Historiker nennen Patkul einen Agenten des Zaren, der war er nicht; als schwedischer Untertan beging er aber Landes- und Hochverrat, als er ein feindliches Heer ins Land holte. Patkul strengte sich alsbald verzweifelt an, die Russen aus Livland wieder zu entfernen. Noch später lieferten ihn die treuen Waffengefährten an Karl aus, der ihn nach Art der Zeit grausam zu Tode bringen ließ. Dies geschieht schon 1705, bzw. 1707, nämlich im Oktober. Aber genug der Hintergründe und zurück zum König in und von Preußen, vor dessen Haustür sich alle diese Dinge ereignen, indessen er sich seelenruhig damit befasst, aus sich einen König zu machen.

      Als Friedrich, noch III. und bloß Kurfürst, im Dezember 1700 von Berlin aus in Richtung Preußen aufbricht, um König zu werden, darf ihn der Sohn Friedrich Wilhelm nicht nur begleiten, im Alter von etwas mehr als zwölf Jahren, er darf sich auch als Kronprinz bezeichnen. Er ist der älteste lebende Kronprätendent geworden. Das ganze Jahr 1699 bis hinein in das kommende der Jahrhundertwende hatten sich die europäischen Angelegenheiten derart entwickelt, wir lasen eben davon, dass Friedrich nach der Königskrone greifen konnte, was schließlich doch mehr gewesen ist als eine schrullenhafte Laune, weil ein Zeitalter begann, in dem mehr zu scheinen als zu sein als Lebenssinn überall zu gelten anfing. 1699 war der präjudizierte Erbe des spanischen Reiches, Joseph Ferdinand von Bayern, gestorben, und damit drohte wieder einmal Krieg im Westen, weil der Kaiser gegen die Teilungspläne der Seemächte stand und für den Erhalt eines Großreichs optierte. Allerdings hielt Habsburg nichts von einem Vandalenkönig an der Ostsee, anders als die kaiserlichen Berater, die sich von einem Bündnis zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Brandenburg eine Stütze in den kommenden Auseinandersetzungen versprachen. Im Januar 1700 hatte August von Sachsen und Polen seine heiße Sympathie für die Pläne des fürstlichen Bruders in Berlin bekundet, aber auch Schweden, die nordische Großmacht, war solchen Königsplänen aus taktischen Ursachen zugeneigt. Infolge seiner europäischen Mittellage kam Brandenburg und Preußen eine solche Bedeutung zu, dass es selbst dem Zaren Peter I. einleuchtete, der Königswürde Friedrichs den Zuspruch nicht zu versagen. Die Verhandlungen zwischen Wien und Berlin zogen sich allerdings hin, und der vorsichtige Kaiser wollte und konnte seine Zustimmung auch nur zu dem König in Preußen geben, schon im Hinblick auf den Widerspruch Polens. Allein, weder die französische Sprache, noch das Latein ließen solche feinen Unterscheidungen zu. Bei den Franzosen hieß Friedrich I., König in Preußen, einfach Roi de Prusse und in Latein schlicht Rex Borussia. Für diese Gabe vom Tisch des Heiligen mischen Reiches Deutscher Nation musste Friedrich versprechen, dem Kaiser bei Bedarf 8 Tsd. Mann ins Feld zu stellen und dieses Heer auch zu unterhalten. So wurde denn zu guter Letzt am 16. November 1700 der Kronvertrag geschlossen. Am 24. November traf die Nachricht in Berlin ein; sie löste einen Freudentaumel und hektische Betriebsamkeit aus. Der Kurfürst hatte Eile. Für die Vorbereitungen der Krönung selbst blieb wenig Zeit, da sich Friedrich schon im Januar 1701 zu krönen gedachte, in Preußen, da nichts Besseres in Frage kam. Es handelt sich bei dem späteren Krönungsort Königsberg um eine von Berlin immerhin 600 Kilometer entfernt liegende Stadt. Vermutlich waren Friedrich während des Sommers 1700 genug positive Nachrichten aus Wien zugespielt worden, dass er beizeiten an die förmliche äußere Ausstattung des großen Tages gehen konnte. Dekorationen wurden entworfen, verworfen, ein weiterer Orden gestiftet, der preußische Adlerorden, in schwarz und in rot; Friedrich Wilhelm, Enkel des Großen Kurfürsten und 1688, wie wir sahen, 12 Jahre alt, wurde sein erster Ritter. Kleider und Roben, aller Glanz und Flitter wurden erdacht und hergestellt, was sicherlich nicht in wenigen Wochen zu machen gewesen ist. In diesem Dezember herrschte, so teilen verschiedene Augenzeugen mit, in Europa eine klirrende Kälte. Aber es half nichts, man musste aufbrechen; am 19. Dezember 1700 setzte sich der Heerwurm von Berlin aus in Marsch. 30 Tsd. Relaispferde für sage und schreibe 1800 Wagen mussten an der Strecke bereitgehalten werden. Der Hof, Kammerherren und Zofen, Bedienstete aller Art, Eskorten und Köche, Unterhaltungskünstler, Geschenke und Bagage brauchten einen solchen Aufwand eines ständig rollenden Hofes.

      Unter diesen Umständen waren jedoch überhaupt nur kurze Tagesreisen möglich, die Nachmittage und Abende in Städten und Dörfern wurden mit dröhnender Lustbarkeit verbracht. Von der mühsamen Fahrt in schlecht gefederten und ungeheizten Kutschen auf vereisten und holprigen Straßen werden sich die durchgefrorenen Damen und Herren des Hofstaates bei den Relais zuallererst aufgewärmt haben, vielleicht vermittels warmer Bäder. Und der künftige König besaß weder die Natur noch den Charakter des Großen Kurfürsten, der jedem Wetter getrotzt hatte, was freilich seiner Gesundheit wenig förderlich gewesen. Das eiskalte Wetter hielt die Reise hindurch an, Schnee gab es reichlich, mancherorts wurden die Straßen mit Tüchern belegt, um die schweren Wagen fortzubringen. Zwischendurch musste auch noch Weihnachten, mehr oder minder festlich, mehr festlich und teuer, nehmen wir an, begangen werden. Endlich traf der Heerwurm am 29. Dezember in Königsberg ein. Hier konnte das Lager im Stadtschloss dauerhafter aufgeschlagen und alle Vorbereitungen für den Festtag getroffen werden. Und der Krönungstag rückte näher und näher, schließlich war es soweit, ein König sollte sichtbar vor den Augen der Welt, sagen wir, eines kleinen, eines sehr kleinen Teils der geschichtlichen Welt, gemacht werden. Im Audienzsaal des Königsberger Schlosses, dem Geburtshaus Friedrichs, versammelten sich am 18. Januar 1701 die Mitglieder der fürstlichen Familie, die Gesandten befreundeter Höfe, Abgesandte des Adels der Landschaft, der Königsberger Bürgerschaft und eine Menge nicht mit Namen genannter Leute. Die Nacht über hatte das Wetter verrückt gespielt, abwechselnd mit Hagel und Schnee aufgewartet, aber am Krönungstag ging strahlend die Sonne auf, Zeichen der Gunst des großen Verbündeten der Hohenzollern. Gemessenen Schrittes, bei feierlicher Andacht der Umstehenden setzte sich der Kurfürst Friedrich III. selbst eine Krone auf das Haupt, eine symbolisch bedeutsame Handlung der Selbstkrönung, alles selbst gemacht, sozusagen. Normalerweise wurde ein König oder Kaiser von einem hohen, am besten dem höchsten Geistlichen gekrönt und zum Herrscher gesalbt. Anders hier, als sich einer selbst krönte. Die patriotische Geschichtsschreibung erklärt diese ungewöhnliche Art damit, dass die Reihenfolge umgekehrt werden sollte, erst die weltliche, dann die geistliche Macht in Preußen. Wir hingegen nehmen nüchterner Weise an, dass verschiedene Umstände diese Krönung veranlasst haben. Denn: Wer hätte diesen König denn krönen sollen? Ein Geistlicher? Welcher Konfession? Übrigens hatte sich der ungestüme Karl XII. aus dem Norden ganz ähnlich selbst gekrönt; schlechte Beispiele verderben eben auch gute Sitten unter Fürstendächern, hat es sie wirklich einmal gegeben. Beispielsweise könnte Danckelmann seinem ehemaligen Schüler zusammen mit dem Reifezeugnis die Krone auf die Perücke gedrückt haben, eine Krone, die sich jener kindlich-spielerisch nach großen Vorbildern selbst gemalt und dem Hofjuwelier zur Realisierung übergeben haben mag, hätte der Erzieher nur die Kompetenz eines Papstes besessen. Auf einem Kupferstich aus dem Jahre 1703 ist die Krone, auf einem Samtkissen liegend, abgebildet; sie hat Ähnlichkeit mit der Reichskrone, wird oben durch Reichsapfel und Kreuz abgeschlossen; Friedericus I. R. Boruss; diese Art bildnerischen Schaffens wird durch ein Blatt vom Einzug des Krönungszuges in Berlin ergänzt. Zwischen Schlossportal und Spreekolonnaden reiten viele Reiter, weiter hinten in Richtung Marstall wird offenbar mit Kanonen geschossen, und es kommen dem Betrachter sonderbare Erinnerungen, was diesen Platz des deutschen Reichs betrifft.

      Und der neue König? Eine Attrappe? Eine Perücke? Ach, dieses schöne Zeitalter ging zu Ende, auch wenn es noch manch eine Perücke geben sollte, dreihundert etwa für