Merlin. Tara Albers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara Albers
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738067835
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bleibet dabei:

      Die Gedanken sind frei.

      (Altes Volksgut)

      In jeder Situation, in der wir sind – mag sie auch noch so aussichtslos erscheinen – haben wir unsere Gefühle, Träume, unsere Ahnungen und die Energien, die ihr Menschen Gedanken nennt. Sie gehören nur uns und wir können uns durch sie mit allem verbinden, was wir uns vorstellen können und mit allem Guten, was wir uns ersehnen.

      Wir brauchen nicht erst in ein Gefängnis gesteckt zu werden, um das herauszufinden. Jeden Morgen beim Aufwachen und in jedem Moment während des Tages und während der Nacht können wir unsere eigenen Bilder und Träume erschaffen. Wir können immer an die Verwirklichung dessen glauben, was wir uns wünschen. Unsere äußere Welt gestaltet sich um die Bilder, Gefühle und Gedanken herum, die wir in unserer Innenwelt sehen. Ich sah in mir Bilder meiner zukünftigen Welt voller Glück entstehen. Und ich hielt meine Aufmerksamkeit immer auf die Freiheit gerichtet, die ich einmal erleben wollte.

      An einem warmen Sommertag hatten sich meine inneren Bilder so weit verdichtet, dass sie klar umrissen vor mir standen. Der Zeitpunkt war gekommen, an dem etwas passieren musste, das mich auf meine mir vorbestimmten neuen Wege führen und mein Leben zum Guten verändern würde.

      Während ich an diesem Nachmittag gerade wieder damit beschäftigt war, zu bildern, kam ein Mensch mit seinem Kopf ganz nah an die Gittertür meines Käfigs heran. Eine Hand umfasste vorsichtig einen Gitterstab und ein Finger wurde in meine Richtung gestreckt. Ich fauchte sofort, denn ich wollte nicht wieder so fest gepackt werden. Ich schaute in die Augen, die mich durch die Gittertür hindurch ruhig ansahen. Es waren schöne Augen! Ich spürte deutlich das Schlagen meines Herzens.

      Als der Mensch zu sprechen begann, wusste ich: Das ist ein guter Mensch. Er sagte: „Nein, das ist auch nicht mein Karli.“ Karli? Ich verstand nicht, was dort gesprochen wurde. Dann ging der Mensch wieder weg. Ich war erleichtert darüber, dass ich nicht wieder so fest gepackt worden war aber ich war auch traurig, denn diese Augen hatten mich so lieb angesehen.

      Am nächsten Tag, nach dem Essen und Scharren in der Sandkiste, hörte ich wieder Stimmen. Und ich erinnerte mich gleich daran: Das war dieselbe Stimme, die ich schon gestern gehört hatte. Ich war ganz sicher. Mein Herz schlug schneller, ich war sehr aufgeregt. Plötzlich sah ich die schönen Augen wieder vor den Gitterstäben meiner Box. Sie sahen ruhig herein, und ich schaute in diese Augen. Der Mensch streckte dann, wie schon gestern, einen Finger zu mir herein aber ich fauchte, denn ich wollte nicht wieder so fest gepackt werden. Dann ging der Mensch fort. Ich war traurig.

      Am Morgen darauf geschah dasselbe. Ich hörte dieselbe Stimme, und dieselben Augen sahen zu mir herein. Dieses Mal sagte der Mensch meinen Namen, laut und deutlich: Merlin. Ja, das ist mein

      Name! Die Gittertür wurde aufgemacht und die zwei starken Hände des Katzenbetreuers packten mich. Ich bekam einen Piekser und wurde dann in einen schönen runden Korb gesetzt. Der Korb wurde mit einer Tür zugemacht.

      Die guten Augen sahen mich an und die Stimme sagte wieder: Merlin. Ich fühlte mich sofort in diesem Korb geborgen. Er roch irgendwie nach „Zuhause“. Ich hatte nur ein klitzekleines bisschen Angst, fast gar nicht. Nun wurde der Korb mit mir aus dem Haus heraus getragen und in ein Auto gestellt. Das kannte ich schon: Auto fahren. Jetzt geht es vielleicht zurück zu meiner Mutter, kam mir in den Sinn... oder in die Welt, die ich aus meinen Träumen so gut kannte. Mein Herz pochte.

      Während der Autofahrt war ich ganz still. Ich gab keinen Ton von mir. Es könnte besser sein, wenn mich niemand bemerkte und womöglich wieder zurück in den engen Käfig im Tierheim brachte. Dorthin wollte ich niemals wieder zurück. Nach kurzer Zeit hielt das Auto an, und der Korb mit mir wurde herausgehoben. Oh! Es roch hier so gut nach Bäumen, nach Gras, nach Gutem und zur Begrüßung machte es ganz freundlich „Miau“. Galt das „Miau“ mir? Wartete hier schon eine Katzenfreundin auf mich?

      Zunächst ging es in das Haus. Dort angekommen, stellte – ich nenne sie ab jetzt ganz einfach „mein Frauchen“ – den Korb ab und sie öffnete weit die Tür des Korbes. Nun sah ich seit langem die Welt wieder ohne Gitterstäbe. Ich blieb ruhig sitzen und schaute heraus. Ich war dankbar, glücklich, froh, sehr neugierig und auch vorsichtig. Was gab es alles zu sehen! Eine große, freie Welt lag vor mir.

      Als mein Frauchen, die immer zu mir her geschaut hatte, sich einmal umdrehte und irgendwo anders hin ging, wagte ich es und streckte meinen Kopf aus dem Korb, und dann, ganz leise, schlich ich heraus. Wohin? Zuerst einmal lief ich an der Wand entlang und setzte mich unter einen Schrank. Als mein Frauchen zurückkam, sah sie, dass der Korb leer war. Nun rief sie mich: „Merlin, Merlin.“ Aber eines musste ich mal von Anfang an klarstellen: Ich komme ganz sicher nicht beim ersten Rufen! Da fällt mir ein: Genau dies hatte mich ja überhaupt in die Lage gebracht, meine Mutter zu verlieren – hm, wenn ich es recht bedenke, vielleicht sollte ich doch besser damit anfangen, darauf zu hören, wenn mich jemand ruft?

      Aber noch wollte ich hier unter dem Schrank sitzen bleiben. Ich fand es sehr spannend zu sehen, was nun passieren würde. Zuerst sah ich Füße hin und her laufen. Dann blieben die Füße stehen. Kurz darauf wurde das Gesicht von meinem Frauchen sichtbar und ihre Augen blinzelten mich an und forderten mich auf, hervor zu kommen.

      Da lief ich schnell weg, immer an der Wand entlang, bis ich unter einem anderen Schrank in der hintersten Ecke einen Platz fand, der sich angenehm und sicher anfühlte. Dort wollte ich so lange bleiben bis mich etwas anderes interessieren würde.

      Eine gewisse Vorsicht ist bei uns Katzen angebracht. Wir haben feine Sinne, die vieles wahrnehmen können, was Menschen nicht sehen, riechen und hören. An die vielen neuen Eindrücke und daran, dass ich nun laufen und mich frei bewegen konnte, gewöhnte ich mich sofort. Es war ja mein natürlicher Zustand, herum zu laufen. Dieser war nur für die Zeit, die ich in dem Käfig verbringen musste, unterbrochen gewesen. Manchmal gewöhnen sich Tiere und Menschen so sehr an einen einschränkenden Zustand in ihrem Leben und an enge Grenzen, dass sie viel zu schnell glauben, es gäbe nur diese enge, kleine Welt. Die Weite und Freiheit ist jedoch immer da solange wir sie in unserem Herzen fühlen und in unseren Träumen sehen. Darum habe ich mich auch in der Zeit, als ich gezwungen war, in einem engen Käfig zu leben, jeden Tag daran erinnert. Ich weiß, dass es der Sinn und Zweck meines Lebens ist, frei zu sein und überall hingehen zu können, wohin ich will.

      Mein Frauchen kannte das Versteck, in dem ich nun saß. Sie sprach mit mir und sagte: „Merlin, es ist kalt dort. Komm lieber in die Nähe der Heizung, sonst frierst du. Hier ist ein weicher Platz für dich, an dem du dich ausruhen kannst.“ Aber ich musste erst ganz in Ruhe die Lage der Dinge überprüfen. Ich würde hervor kommen, wann ich es wollte und wenn es mir sicher genug erscheinen würde. Frauchen verstand das. Sie stellte mir eine Kiste mit „Sand“ vor mein Versteck, auch ein Schälchen mit Wasser und einen Teller mit lecker riechendem Essen. Doch allen Verlockungen widerstand ich. Erst in der Nacht, als mein Frauchen die Lichter ausgemacht hatte und es mucksmäuschenstill war, kam ich unter dem Schrank hervor. Ich ging in die Kiste mit dem sandähnlichen Scharr-Material, dann trank und aß ich etwas und legte mich auf den weichen Platz zum Schlafen. Ich fühlte Geborgenheit und Frieden und wusste: Alles ist gut. Die ganze Nacht über blieb es ruhig.

      Am Morgen hörte ich, wie Frauchen kam, da lief ich wieder unter den Schrank. Dort blieb ich den ganzen Tag über liegen. Ich roch, horchte und versuchte, mir alles einzuprägen und zu erstehen was um mich herum geschah.

      Alltag und Kooperation

      Je länger ich bei Frauchen in der Wohnung lebe, desto überzeugter bin ich, dass ich es außerordentlich gut getroffen habe und dass mir keinerlei Gefahr droht. Ja, ich kann ganz sicher sein, dass mich hier keine Hand so fest packen wird. Deshalb werde ich jeden Tag mutiger und erkunde nach und nach die verschiedenen Ecken und Winkel in meinem neuen Zuhause.

      Ich schaue mir meine neue Welt sehr genau an, denn was ich verstehen will, muss ich gründlich studieren. Heute Morgen zum Beispiel beobachte ich das Geschehen in der Waschmaschine: Ich sehe durch das Fenster, wie das Wasser einläuft und wie die Wäsche gedreht wird. Ich kann mit Zufriedenheit sagen: