Der Tod zwischen den Inseln. George Tenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Tenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750279308
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von denen sie sich noch einen genaueren Überblick verschafften Sie ließen die Löwinnen und die Reste des Kalbes nicht aus den Augen. Sie haben die Tüpfelhyänen gesehen, die in ihrem typischen Passgang angelaufen kamen, dann aber in angemessenem Abstand sitzen blieben, sich noch nicht näher an die geschlagene Beute heranwagten. Auch sie hatten Hunger. Nach einer Zeit waren die Löwinnen satt und konnten den Knochen des Gnukalbes nichts mehr abgewinnen. Warum? Es bestand fast nur noch aus Haut und Knochen. Die beiden Löwinnen zogen sich langsam zu einer Buschgruppe zurück. Doch kaum sind die Raubkatzen weg gewesen, schon stürzten sich die Geier alle wie auf einen Schlag auf die Beute. Vom Gnukalb war nichts mehr zu sehen,

      nur noch ein wogender, zischender Berg von Geierflügeln und deren Hälsen. Immer mehr Geier von weit her flogen mitten hinein und versuchten, noch ein Stückchen Fleisch oder wenigstens Haut oder Knochen zu ergattern. Doch in diesem Augenblick, nur wenige Sekunden später, hatten auch die Hyänen den Schauplatz erreicht und sprangen ebenfalls mitten auf die Geier, die heftig erschrocken aufflatterten und sich wieder im Kreis um die Beute versammeln. Eine der Hyänen kroch in den Brustkorb des Opfers und zog einen langen Faden Bindegewebe heraus. Die Geier rückten wieder näher. Das Schauspiel ist grausam, aber bleibt fesselnd ... Warum erzähle ich Ihnen, was sie sicher alle noch gut in Erinnerung haben? Weil kein Bild der Welt besser verdeutlichen kann, was hier in Afrika täglich tausendfach zu beobachten ist. Das Fressen und gefressen werden …«

      »Es ist bei den Menschen doch nicht anders«, warf die Kriegsberichterstatterin Rhonda Irene Morken ein.

      »Korrekt«, sagte Juma Chandu. »Es ist bei den Menschen nicht anders. Vielleicht oftmals nicht ganz so blutig. Aber meist auch tödlich, im übertragenen Sinne ... Wenn sie jetzt kommen wollen, wir werden etwa nur fünfzehn Minuten mit den Allrads unterwegs sein. Ich freue mich, ihnen diese kleine Überraschung zeigen zu können.«

      Nach einigen Minuten Fahrt schon, als sie auf einen der Hügel zufuhren, konnten die Safarigäste Herden von Zebras und Gnus sehen, die in der fortgeschritten Nachmittagssonne ästen. Wenig später erreichten sie das armselig anmutende Dorf der Massai.

      Der Kral mit seinen etwa 20 Hütten war mit einem Wall aus dornigen Ästen vor Wildtieren geschützt. Nachts werden die Viehherden in den Kral getrieben. Was die Tiere hinterlassen, sind Tretminen, die man sorgsam im Auge behalten sollte. Vergisst man das, tritt man ständig in irgendwelche Haufen.

      Als die Geländewagen am Eingang des Krals hielten, kamen die Massai zusammengelaufen. Die jungen Massaifrauen in ihren langen, eng ansitzenden roten Kleidern, dem Halsschmuck, der teils perlenartig in vielen Windungen um ihre Hälse gewunden war. Mit langen Ohrgehängen, und dem Kopfschmuck, Stirnbänder mit einem einer Speerspitze nachempfundenen Bild, sahen sie wundervoll aus. Sie stimmten unvermittelt ihre traditionellen Lieder an.

      Die baumlangen Krieger, in ihren verschieden, ebenfalls rotgemusterten Umhängen, sprangen im Takt zu den althergebrachten Tänzen in die Höhe. Jeder versuchte, den anderen zu übertrumpfen.

      Etwas abseits hatten sich die Kinder hingekauert, und verfolgten das bunte Treiben mit großem Interesse. In einigen Jahren würden sie genauso aussehen, wie die Erwachsenen jetzt.

      Während die Mitglieder der Gruppe sich einzeln oder zu zweit die Enkajis der Familien zeigen ließen, verwickelten Juma Chandu und Hector Limas einen der Massai-Männer in ein Gespräch.

      »Du bist sehr hochgesprungen«, sagte Chandu anerkennend.

      »Am höchsten«, sagte der Massai stolz.

      »Ich bin Juma Chandu. Wie heißt du?«

      »Ich kenne deinen Namen, Bwana. Du bist der Boss, der Safari-Reisen veranstaltet, und uns die Besucher und das Geld bringt. Ich heiße Taabu Zarahn.«

      »Erzähle meinem Begleiter, wie es dir und deiner Familie geht. Ich werde es in seine Sprache übersetzen. Du hast doch Familie?«

      »Der große Engai hat mir zwei Frauen geschenkt«, sagte Taabu Zarahn. »Und für jede von ihnen habe ich 23 Rinder und zwei Stiere Brautpreis gezahlt. Jede hat eine eigene Enkaji.«

      Juma Chandu übersetzte es in Englisch.

      Taabu Zarahn sagte: »Dein Begleiter ist ein Engländer, Bwana? Also werde ich mit ihm in seiner Sprache sprechen.«

      »Du sprichst Englisch?«

      »Nahezu jeder der Männer spricht ein paar Worte Englisch«, sagte Taabu Zarahn. »Einer mehr, die meisten weniger.«

      »Und wie sprichst du? Mehr oder weniger?«, provozierte Juma Chandu, um den Massai zum Weitersprechen zu bewegen.

      »Ich denke, dass es reichen wird, mich mit dem Engländer zu unterhalten«, sagte Taabu Zarahn.

      »Mein Name ist Hector Limas. Ich komme aus London und freue mich, einen Mann zu finden, der meine Sprache so gut spricht wie du.«

      »London … die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs«, sagte der Massai. »Ich möchte sie kennenlernen, irgendwann einmal, den Tower und die Tower Bridge, den Trafalgar Square … Die Stadt ist eines der wichtigsten Kultur und Handelszentren der Welt, und stellt mit der City of London überdies den weltweit bedeutendsten Finanzplatz dar.«

      »Woher weißt du das?«, fragte Limas.

      »Ich habe ein großes Buch. Darin steht das alles geschrieben.«

      Limas schaute Juma Chandu bedeutungsvoll an.

      »Du bist mit dem zufrieden, was du hier vorfindest?«, fragte Juma Chandu.

      »Sieht man von den Slums in den Großstädten ab, ist Kenia eine wohlhabende Region Afrikas. Ich habe noch zweiundfünfzig Rinder von ehemals siebzig, also bin ich nicht arm«, sagte der Massai. »Unsere Häuser aus Kuhdung sind einfach, aber durchaus zweckmäßig. Unsere Ansprüche sind damit gut bedient. Nur unsere Lage hier am Serengeti und den anderen Parks schränkt uns allerdings in der Viehzucht ein. Doch wir kompensieren das, indem wir solche Veranstaltungen für Gäste machen.«

      »Glaubst du, jemals nach London zu kommen, wenn du hierbleibst?«, fragte Juma Chandu.

      »In Afrika sehen die Safarigäste die Vergessenen dieser Welt«, antwortete Taabu Zarahn.

      »Wie kommst du darauf? Solange wir herkommen, ist niemand vergessen«, warf Hector Limas ein.

      »Es versuchen immer mehr Menschen unserer afrikanischen Völker nach Europa zu kommen. Sie glauben, dass ihr helfen werdet, wenn ihr das Elend vor eurer Tür seht.«

      »Wie helfen?«

      Taabu Zarahn hob die Schulter.

      »Es ist eine absurd harte Welt«, sagte Limas.

      Juma Chandu verfolgte interessiert das Gespräch.

      »Aber manche Teile der Welt sind härter als andere«, beharrte Taabu Zarahn. Er wandte sich an Juma Chandu und sagte: »Sie werden nach Nairobi in Ihr Haus gehen, Bwana, ihre weißen Begleiter werden nach Europa oder Amerika zurückfliegen, und die Menschen in Afrika werden sterben. Hier starben die Menschen bisher immer einen unsichtbaren Tod.«

      »Was erwartest du? Dass die Besucher unseres Landes dabei zusehen?«, fragte Juma Chandu.

      »Jetzt, wo viele schwarze Menschen versuchen, über das große Wasser zu kommen, ertrinken sie zu Hunderten. Und die Weißen sehen ihre Leichen in dem großen Wasser schwimmen, das man Mittelmeer nennt. Genau das wollen die Menschen hier, wenn wir den Reichtum der Erde nicht anders verteilen können. Achtzig Prozent der Energie der Welt werden von zwanzig Prozent der Menschen auf der Erde verbraucht. Ist das gerecht?«

      »Woher weißt du das?«, fragte Limas.

      »Ich habe es im Daily Mirror gelesen, den ein Besucher mir überlassen hat. Und da gab es Bilder zu sehen, die das belegen.«

      »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Glaubst du, jemals nach London zu kommen, wenn du hierbleibst?«, fragte Juma Chandu.

      Taabu Zarahn hob die Schulter. »Ich würde allzu gern die große Stadt an der Themse anschauen«, sagte er. »Aber