Er stellte sich vor, wie er die Wäsche zurück stapelte, auf die Uhr sah. Halbsieben.
"Was ist mit dir?" fragt Helga, die eben nach Hause kommt. "Du wolltest bereits gefahren sein."
"Nichts. Ich lege die Wäsche zurück." Sie steht verblüfft. Er faltet die Mitteleuropakarte zusammen, nimmt den Pass aus der Glasschale. Das Geld und die Fahrkarte steckt er in seine Umhängetasche, zieht seine Turnschuhe an, winkt Helga, die stirnrunzelnd in der Küchentür steht und sagt: "Stelle bitte zwei Flaschen Bier kalt." Da er nicht weiß, ob das Polizeirevier bereits um sieben oder erst um halb acht schließt, fährt er eine Station mit der Straßenbahn. Noch immer steht die Wärme zwischen den Häusern. Im Warteraum sitzen zwei oder drei Leute. Er geht vorüber, klopft an die Tür mit dem zynisch-verharmlosenden E-Schild. Da niemand antwortet, drückt er die Klinke und tritt ein. Der junge Leutnant ist eben dabei, Pässe, Personalausweise und Zettel auf seinem Schreibtisch zu ordnen. Er hebt nur kurz den Blick und sagt lustlos: "Stecken Sie Pass oder Personalausweis von außen durch den Türschlitz und setzen Sie sich bitte in den Warteraum."
"Danke", sagt Jonas ihn unterbrechend, "ich bin gekommen, um meinen Ausweis zu holen."
"Den Personalausweis erhalten Sie im Revier einsnullsieben, in der Hämmerleinstraße", sagt der Leutnant nüchtern, als trüge er keine Verantwortung an diesem jämmerlichen Reiserevier. Stutzt dann, sieht hoch und fragt: "Waren Sie nicht vorhin erst hier?"oder "Wieso heute?"
"Na, wie das Schicksal so spielt", antwortet er, oder: "Weil es zeitiger nicht ging." Er greift in seine Tasche und reicht seinen Pass über den Tisch. Der Leutnant nimmt ihn mit kaum verhohlener Langeweile, gähnt, blättert, blickt, beim Visumstempel angelangt, fragend auf: "Stimmt etwas nicht, Herr Nöltes?"
"Genaugenommen, stimmt Vieles nicht", antwortet er mehrdeutig. Der Polizist blättert, diesmal sichtlich verstört, wiederum im Pass. "Stimmt das Datum nicht?" Blickt neben sich auf den Hundekalender. "Heute haben wir den acht - zehnten Ju - lei." Er spricht das Datum gedehnt, als müsste er es auswendig lernen, und vergleicht es mehrmals mit dem Visum. "Muss der Pass verlängert werden?" Er wird ungeduldig. "Ist eine Seite beschädigt oder herausgerissen? Steht ein unpassender Grenzübergang im Visum? Sie müssen schon sagen, was Sie wollen." Ich habe ihn aus seiner überlegenen Ruhe aufgestört, denkt Jonas, wenigstens das.
"Bitte", sagt er und legt Spannungspausen ein, "ich verzichte. - Nach eingehender Prüfung der gegebenen Umstände habe ich mich entschieden, - Ihrer großzügigen Geste, mich, jedoch ohne meine Frau, zu meiner Tante reisen zu lassen, nicht stattzugeben."
"Ach, so. - Na, schön", sagt der Polizist mit leiser Drohung, "das war’s dann, Herr Nöltes", streicht kurz mit einem Kugelschreiber das Visum, stempelt einen fetten Text darüber und reicht Pass und Ausweis über den Tisch. "Jeder weitere Antrag von Ihnen erübrigt sich künftig. Auf Wiedersehen."
Man müsste die Kraft dazu aufbringen, ihnen den lausigen Knochen zurückzuwerfen. Man müsste ... Ich müsste ... Jonas nahm die Kaffeetasse und nippte daran. Der Kaffee schmeckte lauwarm und abgestanden. Mit der freien Hand schob er ... die Bleistiftspitze auf der Karte weiter: zurück auf der E 11, Nancy ... Stuttgart ... München ... Salzburg ... Wien; zurück auf der E 5, Regensburg ...
(Veröffentlicht in 'East Side Stories', Holzheimer Verlag Hamburg, 2006)
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