DIE LSD-KRIEGE. Gerald Roman Radler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerald Roman Radler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592853
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einem Skelett und seine Knochen unter der Kleidung rieben trocken aneinander. Seine Gelenke knackten bei jeder Bewegung. Ich lachte hysterisch und vom Garten her stimmte Crisly in mein Gelächter ein. Wieso wusste er, was hier im Haus vor sich ging? Wir atmeten tief durch und gingen in den sonnigen Garten. Ich war sehr nachdenklich geworden und Mike betrachtete mich eingehend von der Seite. Tommy saß dumpf brütend im Schatten auf der Hollywoodschaukel und wippte langsam hin und her.

      Dann plötzlich wurde unsere Idylle brutal gestört. Schlagartig veränderte sich unser Trip. Ein außerirdischer Eindringling drückte die Klinke der Gartentüre nieder. Er gab seltsame Laute von sich. Ich versuchte das Stammeln und Quaken, wenigstens optisch zu entziffern. Doch ich trat auf der Stelle und ein Prickeln und Brausen stieg meinen Rücken hoch. Wieder hatte ich den metallischen Geschmack im Mund und zog die Wangen ein. Mein Gesicht wurde heiß und ich war desorientiert. Dann wurde ich aus der Flut von Eindrücken, die über mich hereinzubrechen drohte, herausgerissen. Ich erwachte verwundert wie aus einem langen Schlaf. Ein Mädchen gestikulierte wild und lachte hoch und hemmungslos. Ich erschrak aufs Neue und das Grauen stand uns Vieren ins Gesicht geschrieben. Tommy hutschte so heftig, dass sich die Schaukel tänzelnd zum Terrassenrand bewegte. Mike bewahrte halbwegs die Form, da er die Fremde aus der anderen Welt von irgendwo her kannte. Er erklärte mir, sie sei die Tochter des Nachbarn, die sich offensichtlich freute, jemanden im Garten anzutreffen. Sie suchte einfach die Gesellschaft von ein paar interessanten Jungs, da sie wohl behütet war und keine Gelegenheit hatte einen Kontakt zu Hippies zu pflegen. Wir sollten uns natürlich verhalten, sie würde keinen Verdacht schöpfen. Wir würden sie jedoch so rasch wie möglich abwimmeln, entschied Tommy. Crisly meinte, er hätte keine Lust hier Smalltalk zu führen und dann fragte er, ob das Mädchen Bescheid wüsste von unseren Aktivitäten. Mike verneinte. Sie sei ein völlig normaler, unkomplizierter Teenager, der sich von vier ausgeflippten Burschen im Nebengarten angezogen fühlte und Vaters Abwesenheit nutzte, um ein wenig zu flirten, erklärte er stockend. Wir mussten schon einen seltsamen Eindruck bei ihr hinterlassen haben. Wir standen, wie Verschwörer im engen Kreis und tuschelten. Als unsere Beratung abgeschlossen war, gingen wir wie Schauspieler mit Lampenfieber auf das Wesen zu.

      Renate war der Name des kleinen, lustigen, etwas pummeligen Mädchens mit den rotlackierten Fingernägeln. Wir hatten keine Augen für ihre großzügig dargebotenen Reize. Die Wölbung ihrer Brust und die weiblichen Hüften machten keinerlei Eindruck auf uns. Die bemalten Fingernägel erschreckten mich. Die Finger sahen wie blutige Stumpen aus und wirkten auf meine bunt durcheinander gewürfelte Psyche wenig verlockend. Ihre verführerisch roten Lippen waren verschmierte, schlecht fixiert Flecken. Die Stellen, die sich wie Abziehbilder abzulösen begannen, flatterten im Brodem ihrer ausgesprochenen Worte. Ich starrte sie mit wachsendem Unverständnis an.

      Mike bot ihr einen Platz auf der Terrasse an. Sie plapperte unerträglich monoton über die Begebenheiten ihres Lebens, seit Mikes letztem Gartenbesuch. Ich verstand nur, dass sie sich befruchten lassen wollte und auf der Suche nach einem Samenspender war, der ihr den einzigen Wunsch – nämlich den der Nachkommenschaft – von Herzen gern erfüllte. Was sie wirklich sagte, verstand ich natürlich nicht. Aber jedes Mal, wenn ich sie anlachte, fauchte sie, leckte die Lippen und stöhnte wollüstig, während sie die Oberschenkel öffnete und wand. Vielleicht war ihr Auftauchen in einer anderen Situation höchst willkommen, heute aber völlig unpassend. Die anfängliche Höflichkeit war verflogen. Tommy, der nur eine freundlich grinsende Maske aufrecht zu halten versuchte, sprang plötzlich auf und lief sozusagen im Sturzflug – mit vornüber geneigtem, gekrümmtem Oberkörper – die Stufen hinab in die Wiese, wo er stolperte und der Länge nach hinfiel. Ich fing hysterisch zu lachen an. Meine Stimme war extrem laut und hoch. Das Mädchen zuckte zurück, als hätte ich es geschlagen. Ihr Verhalten wurde mit einem neuerlichen Lachanfall quittiert. Sie duckte sich tatsächlich, wie unter einer Flut von Ohrfeigen. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Meine Beine zuckten wild und ich zitterte am ganzen Körper. Tommy lachte ins Gras, seine Hände krampften sich in das Erdreich. Crisly konnte auch nicht mehr an sich halten und schlug sich und mir abwechselnd bei jeder Geste und jedem Wort, dass Renate von sich gab auf den Oberschenkel. Allmählich wurde sie so verunsichert, dass sie fast zu weinen anfing. Sie sah von einem zum anderen. Mike, mit seinem verzerrten, dunkelroten Gesicht machte auf mich einen irren Eindruck. Ständig zuckten seine Mundwinkel, weil er sein Lachen unterdrückte und es immer wieder schaffte, für ein paar Sekunden eine todernste Mine aufzusetzen. Sofort aber verlor er mit einem kurzen hohen »Ti-hi-hi« die Kontrolle über seine Sprache. Er baute sich vor Renate auf und erzählte zwischen seinem »Ti-hi-hi« und dem schizophrenen Zucken seiner Gesichtsmuskulatur, wir hätten etwas getrunken und seien nicht mehr wirklich in der Lage eine Unterhaltung zu führen. Nach dieser Eröffnung ließ er sich rücklings in die Hollywoodschaukel plumpsen, die endlich vom Rand der Terrasse rutschte und mit Mike von der Anhöhe in ein Rosenbeet fiel. Mike lag am Rücken und starrte reglos in den Himmel.

      »Exodus«, sagte Tommy, der seinen Kopf in Renates Richtung wandte und die Augen aufriss.

      »Er ruhe in Fischers Fritze«, sagte ich, von Lachkrämpfen gepeinigt. Crisly neigte sich zu Renate vor. Sein Gesicht war sehr nahe an ihrem Haar. Die Nickelbrille war auf seine Stupsnase gerutscht.

      »Jetzt ist er tot«, flüsterte er. Renate schrie auf.

      »Fuck«, rief Mike und richtete sich auf. Dornen hatten ihre Spuren auf seiner Stirne und seinen Händen hinterlassen. Er hielt eine abgebrochene, rote Rose in Renates Richtung.

      Renate offenbarte eine traurige, verwirrte Physiognomie. Ihre Augen schienen die Wangen hinab zu rutschen, dann lief sie gehetzt zum Gartentor. Das Tor klemmte. Gebannt starrte ich ihr nach. Sie rüttelte an der Schnalle, dann schwang die Türe lautlos auf. Sie schluchzte noch einmal auf, dann war sie verschwunden. Einerseits war es gut, dass Mike einen Teil der Wahrheit gesagt hatte, andererseits bezweifle ich, dass sie ihm Glauben geschenkt hatte und sich ihren Reim auf unseren Zustand machte. Wir rochen ganz sicher nicht nach Alkohol.

      Schnell vergaßen wir die Episode und erheiterten uns über den Einbruch dieses Fremden Wesens. Ich nannte Renate ab jetzt immer so, wenn sie im Gespräch war: das fremde Wesen.

      Tommy, Mike und auch Richard hatten bald nach unserer Reise ein Verhältnis mit ihr. Vielleicht kompensierten Mike und Tommy mit ihrer Affäre zu Renate die Ereignisse am Wilhelminenberg. Richard machte sich ohnedies an jede verfügbare Frau heran. Er wollte Punkte sammeln, damit er nichts bereuen musste, wenn er einmal alt und impotent sein sollte, verkündete er stets im Brustton der Überzeugung.

      Momentan saß der Schock durch Renates Eindringen in unser Schlaraffenland tief. Irgendwie waren die paradiesischen Zustände brutal unterbrochen worden. Wir entschieden also schweren Herzens, unsere Zelte abzubrechen.

      Einstimmig beschlossen wir zu Fuß, in die Brunnengasse zu gehen. In ein Taxi zu steigen, oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, schien in unserem gegenwärtigen Status unmöglich. Es war sehr heiß und wir fanden uns mitten auf der Straße diskutierend wieder. Ich starrte fasziniert in ein weiches, diffuses, rotes Licht. Wir standen an einer schwach frequentierten Kreuzung, genau unter einer Ampel. Es war alles genauso, wie vor einigen Stunden, als Renate in den Garten kam. Wir hielten ein Konzil ab, wie die vier Musketiere. Wir überlegten, wohin wir eigentlich gehen sollten. Die Ampel sprang auf Grün und als ein Schwall von Autos mit tosendem Brausen auf uns zu raste, sprangen wir geistesgegenwärtig auf den Bürgersteig. Wir setzten unsere lange Wanderung in die Stadt etwas umsichtiger fort.

      Endlich schlug uns die vertraute Marktatmosphäre entgegen. Wir stiegen in den Lift, fuhren in den fünften Stock und betraten die Wohnung von Mikes Eltern. Ich war froh, endlich wieder in der Sicherheit einer abgeschiedenen Wohnung zu sein. Ich besichtigte die sauberen und schlicht eingerichteten Zimmer voller kindlicher Neugier. Ich fühlte mich wie der Entdecker neuer Welten.

      »Geh jetzt ins Schlafzimmer, du wirst staunen!« forderte mich Mike auf.

      Ich öffnete die Türe zum Schlafzimmer. Ich sah zum ersten Mal eine Stadtwohnung unter der Einwirkung von LSD. Ich starrte auf die dunkelblauen Tapeten. Riesige Muster drehten sich, kamen auf mich zu und wanden sich schraubenartig in die Wand zurück. Trichter bildeten sich in synthetischen Farben und schluckten als Wurmlöcher alles, was in ihre Nähe kam. Mir wurde ganz