Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charlie Meyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847697503
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und theoretisch, die nach drei Jahren mit dem Erwerb des Matrosenbriefes endet.«

      »Also fährst du momentan als der dritte vom Gesetz vorgeschriebene Nautiker mit, arbeitest aber als verantwortliche Servicekraft, womit dein Herr und Meister, Gott, zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Wirklich geschickt.« Alice feixte. Mittlerweile bogen sie in die Hafeneinfahrt ein. An der Backbordseite tuckerten sie an den hohen Getreidesilos der ehemaligen Kampffmeier-Wesermühlen und den Waggons der Hafenbahn vorbei, steuerbord an ein paar Hausbooten, die mehr oder minder verrottet aussahen.

      »Wir sind gleich da. Schnapp dir Eimer und Schwamm und fang mit den Tischen an, ich mache mich über den Salon her.« Inga stemmte sich in die Höhe. Zehn Kilo zu viel, dachte sie genervt. Vielleicht sollte sie doch die abendliche Tafel Schokolade weglassen und wieder, wie früher, joggen gehen.

      »Okay, ich danke für deine Mitarbeit. Du weißt schon wer wird es wohlwollend zur Kenntnis nehmen.« Alice erhob sich ebenfalls und sprang leichtfüßig den Niedergang ins Unterdeck hinunter. In der Küche stellte sie einen Eimer in die Spüle und suchte vergeblich nach einem Wasserhahn, wie sie ihn kannte. Es gab nur einen langen Schlauch mit einer Düse, die über dem Becken baumelte, und sich mit Druck auf einem seitlich angebrachten Hebel Wasser abringen ließ. Während das Wasser in den Eimer spritzte, blickte sich Alice prüfend um. Die Küche war zweckmäßig eingerichtet mit dem überdimensionalen Gasherd, der großen, grauen Geschirrspülmaschine, mit Mikrowelle und Spüle an den Seiten und einer geräumigen Arbeitsinsel in der Mitte. Ein rutschfestes Noppenlinoleum undefinierbarer Farbe bedeckte den Fußboden, und die schwarzen Schlieren um einzelne Noppen zeugten davon, wie schwer es zu reinigen war.

      Vor der Küche gab es noch einen kleinen Salon der Holzklasse, der laut Inga nur bei Charterfahrten und dann auch nur als Garderobe dem Publikum zugänglich gemacht wurde. Ansonsten diente er der Besatzung als Pausenraum, in dem sie zusammenhockte, rauchte, kalten Kaffee trank und sich gegenseitig ihr Leid klagten. Unterbezahlt – überarbeitet – frustriert. Hinter einem Vorhang in der Bugspitze lagerten, zu einer wackligen Pyramide aufgestapelt, Leergutkisten, das vorgeschriebene Kontingent an Rettungskissen und sonstiges Gerümpel.

      Alice stellte das Wasser ab und begab sich schnurstracks aufs Oberdeck, das mit Ausnahme des Steuerhauses im vorderen Teil des Schiffes die gesamte Fläche einnahm. Ein paar Gläser standen noch auf den Tischen herum. Sie winkte Chris zu, der in der Tür zum Steuerhaus stand und ihr trübselig entgegenblickte, während der kleine Eddie hinter den halb geschlossenen Sonnenjalousien durch das rückwärtige Fenster nicht zu sehen war. Alice stellte den Eimer auf einem Tisch ab und beugte sich wie zufällig über die Reling. Erst Steuerbord, dann Backbord. Nein, wer von hier oben über die Stangen geschubst wurde, stürzte eine Etage tiefer unweigerlich an den breiten Salonfenstern vorbei. Irgend jemand musste den Fall des Rattenfängers bemerkt haben, wenn auch nur als stürzenden Schatten aus den Augenwinkeln. Höchstwahrscheinlich hätten die Chartergäste sogar den Platsch gehört, mit dem die Leiche in der Weser landete. Über die Reling achtern konnte er ebenfalls nicht gefallen sein, weil er sonst auf dem kleinen Deck mit dem Rettungsboot gelandet wäre.

      Das Oberdeck kam also für den Mord nicht infrage, es sei denn Chris und Eddie hatten den Mord gemeinschaftlich verübt, was natürlich ebenfalls eine Variante war, wenn auch keine sehr wahrscheinliche.

      Unter den kritischen Blicken von Chris’ blassen Augen und seinen skeptisch zusammengezogenen weißblonden Brauen begann sie mit Hochdruck, die langen Holztische vom Rest der Gläser zu befreien und mit der rauen Seite des Schwamms abzuschrubben. Keine zehn Minuten später hängte sie sich den Eimer über den Unterarm, fasste mit jeder Hand einen Schwung Bierseidel am Henkel, stiefelte vorsichtig die steile Eisentreppe hinunter und öffnete mit dem Ellenbogen die Glastür zum Achterdeck. Sie blieb einen Moment stehen, um sich vorzustellen, wie es hier im Dunkeln aussah. Durch das Glas der Tür musste auf begrenztem Raum Licht aus dem Gang gefallen sein. In einer Ecke, gleich neben der Reling, lag eine dicke Taurolle, deren übereinanderliegende Schlingen verrutscht waren. Ein schlampiger Nautiker oder hatte jemand auf dem Tau gesessen?

      Hinter ihr öffnete sich die Glastür. Chris überragte sie um einen knappen Kopf und guckte trübsinnig auf sie hinunter. »Wenn du ein Tablett nimmst, geht’s schneller mit dem Abräumen. So musst du mehrmals laufen.«

      »Was? O ja, sicher, das nächste Mal. Sag mal Chris, diese Taurolle, liegt die immer in dieser Ecke?« Warum, fragte sie sich plötzlich, hatte Chris eigentlich nicht einen Teil der Gläser mit nach unten gebracht. Ihr beim Abräumen geholfen, anstatt blöde Ratschläge zu erteilen?

      Er kratzte sich am Kopf und dachte nach. »Glaube schon. Das da ist das Tau von einem Hochseefrachter. Das nehmen wir als Deko für Charterfahrten und so. Warum?«

      »Ach ich frag nur so, weil nach dem neuen Gesetz im Inneren des Schiffes ja Rauchverbot herrscht, und hier draußen könnte man sich einfach bequem auf die Taurolle hocken und eine qualmen.«

      Der zweite Nautiker der Libelle fuhr sich mit der Hand durch den grauen Stoppelhaarschnitt. »Wenn keine Gäste an Bord sind, darfst du qualmen, wo du willst, Mädchen. Und jetzt muss ich das Schiff anbinden gehen.«

      Alice verspürte einen deftigen Klaps auf dem Po, dann drehte sich Chris auf den Hacken um und die Tür fiel hinter ihm zu. Ihr hingegen stand der Mund offen. Du meine Güte, was strahlte sie denn für Signale aus? Und Mädchen? Der Kerl und sie waren etwa gleichaltrig. Na ja, wie der Herr so’s Gescherr, dachte sie, und sah Jansen vor sich, wie er im Büro um sie herumspazierte. Dies hier war nur einen Schritt weiter.

      Zum zweiten Mal an diesem Tag knallten sie gegen einen Anleger. Diesmal gegen den Ponton im Hafen, der den Schiffen als Anleger diente und arg ins Schwanken geriet. Nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, schnappte sich Alice ein Tablett von der Theke und holte die restlichen Gläser vom Freideck. Drei Biertulpen hatte Eddies schwungvolles Anlegemanöver vom Tisch gefegt. Die Scherben lagen auf dem halben Deck verstreut. Als sie sich mit dem vollen Tablett vorsichtig die enge Eisentreppe hinuntertastete, saugte Inga gerade den Gang vor den Toiletten ab.

      »Du, sag mal«, brüllte Alice gegen den Staubsauger an. »Hat der Rattenfänger eigentlich geraucht?«

      Inga dachte angestrengt nach. »In meiner Gegenwart jedenfalls nicht«, sagte sie nach einer Weile achselzuckend und saugte um Alices Füße herum.

      Alice spülte gerade Gläser, als sich Eddie hinter die Theke schob. In der nächsten Sekunde fühlte sie sich aufs Heftigste umarmt, und der ganze kleine, bierbäuchige Eddie mit allem, was er hatte, drückte sich gegen ihren Rücken, während seine Hände vorn auf Wanderschaft gingen.

      »Hey«, protestierte Alice wütend. »Dir geht’s wohl zu gut.« Sie schlug über die Schulter mit dem Geschirrtuch zu und hörte einen empörten Schmerzensschrei. Die Hände ließen sie los. Sie fuhr herum, aber Eddie war bereits in die Ecke zur Kaffeemaschine geflüchtet und hielt sich das Auge, während er panisch: »Ist es noch drin? Ist es noch drin?«, rief und mit dem anderen Auge auf dem Boden umher spähte, als erwarte er, seinen herausgeschnippten Augapfel unter die Theke rollen zu sehen.

      Och nee, dachte Alice erschrocken, ein gebrochener Finger, herausgeschnippte Augen, meine Anwesenheit tut dem Schiff nicht gut. »Hände weg und sehen lassen!«, kommandierte sie streng, und Eddie gehorchte. Der Streifen einer blutunterlaufenen Hornhaut mit Pupille und allem Drum und Dran blinzelte durch ein halb geschlossenes Augenlid.

      »Alles bestens«, stellte Alice erleichtert fest. »Das Auge ist noch drin, aber wenn du so etwas bei mir noch mal versuchst, ist bald ein Teil von dir ab, den du schmerzlicher vermissen würdest als das Auge.«

      »Was?«, fragte Eddie verständnislos.

      »Ich sagte, ich kastrier dich beim nächsten Versuch. Das kannst du auch deinem Kumpel Chris ausrichten.«

      »Ach so.« Eddie presste sich erneut die Hand aufs Auge und schlurfte von dannen. Der Kranz weißer Haare stand empört von seiner tomatenroten Platte ab.

      Später, als sie ihre Sachen aus der Kabine holte, hörte sie, wie Eddie zu Chris in der Küche sagte: »Sie sieht ja ganz schnuckelig aus, aber wenn man sie nicht mal anfassen darf ...«

      »Wahrscheinlich