Polizeibeamte sind auch nur Menschen, oder?. Dirk Bodenstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk Bodenstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783748587576
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braucht, weil man gar nicht müde und ausgelaugt ist, dann bewirken sie, dass man sich in eine Art tasmanischen Teufel verwandelt, der wie ein überdrehter Kreisel nur noch hin und her titscht, wirres Zeug mit maschinengewehrartiger Geschwindigkeit von sich gibt, keine Sekunde lang auf seinem Hintern sitzen kann und darunter leidet, dass er gerade keinen Marathon laufen, ein Haus bauen und gleichzeitig mit einem Teelöffel einen Baggersee ausschöpfen kann.

      Der Niederschlag kam dann am Abend, als die Wirkung nachließ und mein Körper registrierte, dass er innerhalb von acht Stunden so viele Kalorien verbraucht hatte, wie sonst nur an drei Tagen. Meine erwachsenen Kollegen müssen sich köstlich auf meine Kosten amüsiert haben und ich hatte zwei Tage lang einen Kater, der sich gewaschen hatte. Damals habe ich mir geschworen, nie wieder verschreibungspflichtige Medikamente zu nehmen, es sei denn, ein Arzt besteht darauf.

      ***

      Als viel schlimmer stellte sich aber die Absicht meines Bärenführers heraus, mich zu einem richtigen Mann machen zu wollen. Ein RICHTIGER Mann war seiner Meinung nach auch schon mal in einem Puff gewesen, und da es sowas auch schon damals sogar im Schwarzwald gab, nahm er mich mit. Er kannte alle Damen, machte mich mit ihnen bekannt und wir saßen alle gemeinsam an der Bar und tranken was. Ich allerdings nur Cola, da ich ja keinen Alkohol trank. Es wurde trotzdem ein sehr lustiger Abend, an dem ich zwei Dinge lernte:

      Erstens: Die Tanzstunde macht sich spätestens dann bezahlt, wenn relativ junge Frauen es sonst nur mit älteren, dickbäuchigen Ehemännern zu tun haben, denen der Sinn eigentlich nach etwas völlig anderem steht.

      Zweitens: Junge Prostituierte sehnten sich nach einem Beschützer, der aufgrund seiner Dienstmarke tatsächlich berechtigt war, eine Waffe zu tragen, ansonsten auch noch ein anständiger Kerl zu sein schien und bei dem die Gefahr gering war, dass er sie schlagen würde. Ich bekam jede Menge Jobangebote, die ich schweren Herzens ablehnen musste. Aber ich muss zugeben ... die Versuchung war sehr, sehr groß!

      Ich lernte auch noch eine dritte Sache, die allerdings erst am nächsten Morgen: Lass niemals dein Jackett mit deinem Dienstausweis darin auf einem Barhocker liegen, wenn du mit Prostituierten tanzt.

      Dann ist er nämlich weg!

      Zunächst retten konnte ich mich mit einer kleinen Notlüge. Da zwei Tage nach dem unseligen Ereignis im Puff in einem Feld in der Nähe ein Starfighter-Kampfjet abstürzte und wir das Feld nach Einzelteilen absuchten, hatte ich den Ausweis wohl in diesem Feld verloren. Wie praktisch.

      Allerdings kam ich durch die Verlustmeldung sehr schnell zu einer traurigen bundesweiten Berühmtheit - zumindest unter allen Polizeibeamten. Zu einer Zeit, als es noch keine computergestützten Fahndungssysteme gab, in denen mein Ausweis lediglich als eine Nummer aufgetaucht wäre und nur im Fall, dass er gefunden würde, die Zuordnung zu mir erfolgte, sah es damals ganz anders aus. Wöchentlich wurde ein Blättchen veröffentlicht, das sich »Bundeskriminalblatt« nannte und in dem interessante Sachverhalte und Informationen, sowie Fahndungen nach Personen und Sachen dargestellt wurde. Da ging es um flüchtige Bankräuber, wertvollen Schmuck, aber eben leider auch gestohlene Polizeidienstausweise. Dieses Blättchen war so etwas wie die HÖRZU für Polizisten. Da damals das Internet bei der Polizei noch kein Thema war, wurde es sehr aufmerksam gelesen.

      In der Folge erreichten mich viele Anrufe meiner Lehrgangskollegen, die sich hämisch erkundigten, was ich denn da angestellt hätte. Wahrscheinlich war es aber nur der Neid über meine überraschende Berühmtheit. Zum Glück gab es zu dieser Zeit noch keine Handys - ich glaube, ich hätte meines weggeworfen.

      Ach ja, eh ich es vergesse, meine Geldbörse wurde wiedergefunden, allerdings war es keine »Geld«-Börse mehr, sondern nur noch eine »Dienstausweis«-Börse. Damals hatten die Diebe noch richtig Bammel vor Polizisten und gaben solche Sache eben wieder zurück, indem sie alles, was nicht Bargeld war, einfach irgendwo in den Rinnstein warfen.

      ***

      Aber auch Kriminalfälle und deren Aufklärung bargen oft eine gewisse unfreiwillige Komik. Ich erinnere mich immer wieder gerne an den Fall des Sexualstraftäters mit einer ganz besonderen und sehr sonderbaren Neigung.

      Uns erreichte der Anruf einer älteren Dame, die am Telefon schilderte, dass ein Kollege von uns sie aufgesucht und sich dann ziemlich seltsam verhalten habe. Das sei so weit gegangen, dass sie sich für ihn habe nackt ausziehen müssen. Für uns war der Fall von Anfang an klar:

      Das war natürlich KEIN Kollege gewesen, sondern jemand, der die Gutgläubigkeit einer alten Dame zur Befriedigung seiner seltsamen Triebe ausgenutzt hatte. Also entschloss sich mein Bärenführer, zusammen mit mir das Opfer aufzusuchen.

      Vor der Wohnungstür im dritten Obergeschoss des Mietshauses angekommen läutete ich und auf die ängstlich von drinnen gestellte Frage »Ja, hallo, wer ist da?«, antwortete ich pflichtgemäß mit »Ja, hallo, hier ist die Polizei, Sie hatten bei uns angerufen«.

      Dabei hielt ich den Dienstausweis hoch, so dass er durch den Türspion zu sehen war. Sofort danach wurde die Tür geöffnet und wir sahen uns einer etwa achtzigjährigen Frau in einer Kittelschürze gegenüber. Sie blickte von meinem Bärenführer zu mir, wieder zu ihm, wieder zu mir - und dann passierte es:

      »Na also, da ist er ja. Den haben Sie aber schnell geschnappt.« Dabei sah sie meinen Bärenführer an und deutete auf mich.

      Sind Sie schon mal einer Straftat bezichtigt worden, die Sie nicht begangen haben? An sich schon schlimm genug, aber dann auch noch so eine!

      Man kann sicherlich verstehen, dass ich so baff war, dass ich zu keiner Reaktion fähig war. Mein Kollege fing laut an zu lachen und wollte sich nicht mehr einkriegen. Die sicherlich nette alte Dame - im Moment mochte ich sie allerdings gerade weniger - kramte in ihrer Kittelschürze, brachte eine Brille aus dem Mittelalter mit Gläsern wie Colaflaschenböden hervor und setzte sie auf. »Ach nee, der isses nicht. Aber der hat fast so ausgesehen, auf jeden Fall hat er auch einen Vollbart gehabt.«

      Drinnen im Wohnzimmer nahm ich ihr Angebot für einen Kaffee dankend an, obwohl die Tasse ziemlich klapperte, als ich die Untertasse in der Hand hielt. Aber irgendwann geht auch der größte Schock mal vorbei und ich konnte mich dem Sachverhalt widmen.

      Was war passiert? Etwas umständlich schilderte die alte Dame, was der angebliche Polizist von ihr gewollt hatte. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht ab und zu vor Lachen zu platzen. Gleichzeitig standen mir aber auch die Tränen des Mitleids in den Augen, dass eine arme alte Frau so schamlos missbraucht worden war.

      Er hatte ihr erzählt, es läge eine Anzeige der Nachbarn vor, dass sie immer nackt in der Wohnung herumlaufe und sie würden sich dadurch belästigt fühlen. Sie habe sich gerechtfertigt, dass sie erstens nicht nackt in der Wohnung herumlaufe und zweitens man das doch gar nicht sehen könne, da ja die Gardinen vor dem kleinen Balkon vor dem Wohnzimmer immer zugezogen seien. Das wiederum wollte der angebliche Kriminalbeamte live überprüfen - »für seinen Bericht, sicher ist sicher, das verstehen Sie bestimmt«.

      Er sei auf den Balkon gegangen, habe sie aufgefordert, die Gardinen zu- und sich selbst dann nackt auszuziehen. Fünf Minuten lang habe sie hin und her gehen müssen, mal näher an die Gardine heran und dann wieder weiter weg. Dann sei er plötzlich ins Zimmer gestürzt, an ihr vorbeigelaufen und mit den Worten »Alles klar, man kann wirklich nichts sehen, ich kläre das mit Ihren Nachbarn« eilig aus der Wohnung gerannt.

      DAS sei ihr dann aber endlich komisch vorgekommen und deshalb habe sie bei uns angerufen. Ich fasse es bis heute nicht, dass ihr nichts Anderes komisch vorgekommen war. Und bis heute regt mich kaum eine Straftat so auf, wie das Ausnutzen der Gutgläubigkeit und Hilflosigkeit älterer Mitmenschen. Sie zählen neben Kindern zu den schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft und sollten einen besonderen Schutz genießen.

      ***

      Überhaupt trieben die Ermittlungen zu sexuell motivierten Straftaten oft die buntesten Blüten, obwohl grundsätzlich wirklich nichts Lustiges daran ist. Eine ebenfalls erzählenswerte Geschichte handelt von der Vergewaltigung einer Bäuerin im Feld. Damit hier kein falscher Gedanke aufkommt: Daran ist nun wirklich überhaupt nichts lustig. Das änderte sich aber, als wir einen Tatverdächtigen hatten.