BePolar. Martha Kindermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martha Kindermann
Издательство: Bookwire
Серия: BePolarTrilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748590385
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ein, bis sich die Lage beruhigt hat.

      Als meine Mitschülerinnen schwer bepackt auf die Schminktische zustürmen, kann ich in Ruhe die Überreste begutachten. Ich habe bisher wenig Zeit investiert, um mich mit Styling auseinanderzusetzen. Ich mag Jeans, meine Lederjacke, die alten Schnürstiefel und, zugegebenermaßen, Schafwollsocken. Für Kleider hab ich nichts übrig. Zu meinem Pech sind in diesem Fundus weder Jeans noch Lederjacken oder stinknormale Pullover zu finden. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf unseren weiblichen Schokoladenseiten.

      Ich entscheide mich schlussendlich für ein schlichtes graues Filzkleid mit einem schwarzen vertikalen Lederstreifen. Es hat einen recht tiefen Ausschnitt und geht mir bis kurz über das Knie. Ganz annehmbar.

      Meine Haare lasse ich von Caris zu einem Kranz flechten und ziehe anschließend ein paar Haarsträhnen ins Gesicht. Jetzt kommt der schwierige Teil: das Make-up. Zum Glück weiß Caris auch hier, was zu tun ist.

      »Zuerst die Grundierung. Mach mir einfach alles nach.«

      Zehn Minuten später bin ich mit meinem Spiegelbild ganz zufrieden und erwarte die nächsten Instruktionen.

      Dunja kommt mit einem Wäschewagen angefahren und Taranee stößt einen Freudenschrei aus.

      »Das Paradies!« Gut, damit ist alles klar. Dunjas Wagen ist bis zum Rand voll mit Schuhen. Nein, das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Er ist bis zum Rand voll mit Pumps und Highheels. Ich werde mich absolut lächerlich machen. Es sind keine Absätze unter fünf Zentimetern in Sicht und mein bisheriger Rekord lag bei drei. An diesem Abend hatte ich vier abgequetschte Zehen und zwei große Blasen an den Fersen. Warum tragen Frauen so etwas? ›Körperverletzung‹ sage ich dazu. Nur, um diesen Grünschnäbeln da draußen zu imponieren? Meine Performance wird ein Desaster!

      »Fertig werden, liebe Mädchen, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Aha, Fräulein Modedesignerin ist wieder anwesend. Dann kann die Show ja beginnen.

      »Bitte stellen Sie sich in alphabetischer Reihenfolge an der Tür auf und betreten Sie den Raum erst, wenn ich Sie aufrufe. Schenken Sie mir keine Beachtung, sondern versuchen Sie, die geifernde Meute zu begeistern. Ihrer Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.« Sie lacht und verschwindet wieder nach vorn.

      Totenstille. Nur das Quietschen von Dunjas Wagen ist in der Ferne leise zu vernehmen. Über den Bildschirm können wir das Geschehen mitverfolgen. Als Elsika Platz genommen hat, erklingt der erste Name:

      »Caris Engel, bitte.« Caris streicht ihr Kleid glatt und blickt in die Runde, auf der Suche nach ein paar aufmunternden Gesten. Doch die Mädchen sind alle so mit sich beschäftigt, dass ich die Einzige bin, die ihr die gedrückten Daumen entgegenhalten kann. Sie öffnet die Tür und betritt zielstrebig den Laufsteg. Ein Traum wird wahr. Sie trägt ein grünes Minikleid und hat die blonden Korkenzieherlocken mit einem Band aus dem Gesicht gebunden. Ihre schöne, schlanke Figur setzt sie gut in Szene und läuft anmutig über die Bretter. Für meinen Geschmack hätte sie etwas selbstbewusster auftreten können, aber sie ist eben ganz bei sich geblieben – Bravo!

      Ein kurzer Applaus beendet ihren Auftritt und Muriel macht sich bereit. Sie ist so ein zartes Persönchen, dass ich Angst habe, sie könnte jeden Moment zusammenbrechen. Den Aufprall ihres Fliegengewichtes würde man akustisch wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen.

      »Muriel Grian, würden Sie uns bitte die Ehre Ihrer Anwesenheit erweisen?« Auch wenn es in der Akademie niemals ein Pausensignal gibt, hat Eliska einen vollen Terminplan und jede Minute ihrer Zeit ist kostbar.

      Muriel schließt die Augen und ich kann ihr Herz unterhalb des Kehlkopfes pochen sehen. Sie atmet tief durch und wagt dann den Schritt ins Unbekannte. Aufgrund ihrer weißen Haut, den platinfarbenen Haaren und den stechend blauen Augen, ist sie eine Erscheinung, keine Frage. Doch das bodenlange, eisblaue Kleid mit dem großen Rückenausschnitt lässt sie noch dazu mystisch wirken. Eine Elfe schwebt wortlos über den Catwalk und wieder nach hinten in die Belanglosigkeit. Nicht der Hauch eines Geräusches ist im Klassenraum zu vernehmen. Kein Kommentar wird ihrem Steckbrief hinzugefügt. Sie hat die Anwesenden in einen tranceähnlichen Zustand versetzt. Selbst die Navrotilova ist völlig perplex. Muriel ist in der Zwischenzeit hinter den Kulissen auf einen Stuhl gesackt. Ihre Zauberkraft ist verbraucht und nun gönnt sie sich eine verdiente Pause. Ich weiß nicht, ob nach diesem Auftritt irgendeine andere von uns die Aufmerksamkeit der Jury auf sich ziehen kann.

      Lana, Sus und Ebba machen ihre Sache ohne weiteres Aufsehen. Keines der Mädchen stolpert und Madame Navrotilova scheint zufrieden. Ich bin die Nächste. Verdammt. Gleich wird sie meinen Namen aufrufen und ich werde mich vor all den Mitschülern zum Vollobst machen. Toll, jetzt sind meine Finger eingeschlafen. Lediglich Akira und Taranee stehen zappelig hinter mir. Die anderen sitzen quatschend in einer Ecke und werten ihre Performances aus.

      »Fräulein Roth, bitte!« Das bin ich. Das bin ich. Ich muss jetzt da raus. Ich sehe nett aus. Ich bin ganz ich selbst. Tam wird mich eh nicht bemerken, da eine romantische Verbindung zwischen uns nur in meiner Fantasie existiert.

      Ich hasse mich und ich hasse mein Unterbewusstsein. Es ist irrelevant, was einer der Jungs denkt. Ich muss wissen, welche Wirkung ich auf die breite Masse habe, um diese mit Eliskas Hilfe möglicherweise zu verbessern. Punkt.

      Meine zitternden Hände finden den Weg zu Türklinke und ich schaffe es ohne einen Stolperer auf den Laufsteg. Es ist still im Raum. Ich schüttele die Taubheit aus den Fingern und gehe los.

      Die gegenüberliegende Wand nähert sich und ich versuche, meinen Kopf komplett auszuschalten, um die volle Konzentration in die Beinarbeit zu legen. Die Drehung bekomme ich hin und trete den Rückweg an. Wahrscheinlich bin ich viel zu schnell, aber die Blicke auf meinem Körper sind nahezu unerträglich. So muss sich ein toter Fisch auf dem Fischmarkt fühlen. Ich weiß genau, in welche Richtung ich blicken muss, um in Tams Gesicht zu sehen. An der richtigen Stelle hebe ich leicht den Kopf, lächle vorsichtig und lasse die Wimpern langsam nach unten fallen. Ich hatte ihn, in diesem Augenblick hatte ich ihn. Was er jetzt daraus macht, liegt nicht bei mir. Oh nein, das war eine blöde Idee. Die Mädels und Eliska haben das Szenario hinter den Kulissen verfolgt. Eine öffentliche Demütigung wird in Kürze Wirklichkeit. Meine Augen beginnen zu flackern und ich ziehe das Tempo an. Nur schnell raus hier. Schlimmer kann es nicht werden.

      Die Drehung am Ende läuft glatt und ich steuere gezielt den sicheren Hafen des Hinterstübchens an. Lief doch alles ganz… Oh…, Scheiße – die Glaswand. Au!

      Der Schädel brummt und ein riesiger roter Strich ziert meine Stirn. Womit habe ich das verdient? Ist es nicht schon peinlich genug, wimpernklimpernd liebliche Blicke zu verteilen? Fehlgeleitet wende ich mich noch einmal um, mache einen Knicks und stürme zur Tür. Eine unbeschreiblich gute Leistung, Roya!

      Der Kopf im Sand

      Was für ein beschissener Tag! Genau genommen ist es mittlerweile eine Folge von beschissenen Tagen ohne Land in Sicht. Der Blick aus dem Dachfenster zeigt einen traumhaften Sommertag, der zum Baden oder Eis essen einladen sollte. Mir jedoch gehen unterhaltsame Freizeitaktivitäten gerade im wahrsten Sinne des Wortes am Arsch vorbei. Tagsüber treibe ich gar nichts, außer Trübsal blasen und in meinen Träumen verliebe ich mich in einen nicht existenten Typ ohne reelle DNA und laufe Modenschauen vor Halbstarken, die mich mit ihren Blicken ausziehen wollen. Wo ist da noch die Relation? Ich habe keinen Bock, morgens liebestoll aufzuwachen und alles durch die rosarote Brille zu sehen. Ich möchte von Trauer und Krankheit träumen und mich elend fühlen. Das ist es, was die jetzige Situation erfordert.

      Immer wieder schweife ich ab und denke an Tam, Caris, die Navrotilova, die blöde Schnepfe Taranee und die unwirklichen Begebenheiten der letzten Nächte. Die wahnwitzigen Gedanken vertreiben das Gefühl der Angst, der Trauer und der Hilflosigkeit, ohne dass ich es abstellen könnte. Ich habe das Gefühl, mein nächtliches Glück und die dortige Gemeinschaft nicht zu verdienen. Hätte ich die Wahl, würde ich keine Sekunde überlegen und die Akademie gegen gesunde Freunde aus Fleisch und Blut eintauschen. Alles ist einfach nur scheiße!

      Die Postfrau klingelt.

      Mama ruft