Zum Ausgangs- und Ankerpunkt theoretischer Überlegungen avanciert diese konkrete Sprachverwendung bereits in den 1960er Jahren bei dem Sprachphilosophen John L. Austin (1911-1960), der für die Linguistik auch den Begriff der Performativität geprägt hat. Anders als Chomsky interessierte Austin sich im Besonderen für die Bedeutungsdimension von sprachlichen Äußerungen, d. h. für die Frage, was Sätze, wenn wir sie im Kontext einer konkreten Sprachverwendung äußern, bedeuten und wie sich diese Bedeutung systematisch beschreiben lässt.
Seit dem 19. Jahrhundert und den Arbeiten von Ferdinand de Saussure (1857–1813) wird die Sprachwissenschaft auch als Linguistik bezeichnet. Die Sprachwissenschaft ist eine wissenschaftliche Disziplin, die darauf abzielt, Sprache und Sprechen systematisch zu beschreiben und zu erklären. Die moderne Sprachwissenschaft (= Linguistik) geht grundlegend vom Zeichencharakter menschlicher Sprache aus (→ Ein Wort, z. B. Baum, ist ein sprachliches Zeichen, das als Stellvertreter für eine bestimmte Bedeutung, ein bestimmtes Objekt in der Welt steht). Sie untersucht, was sprachliche Zeichen sind und wie sie in einer Sprache miteinander kombiniert und geordnet (= strukturiert) werden. Dabei sind verschiedene Strukturebenen zentral; z. B. Phonetik/PhonologiePhonetik/Phonologie (→ Lautstruktur), MorphologieMorphologie (→ Wortstruktur), SyntaxSyntax (→ Satzstruktur), SemantikSemantik (→ Analyse der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken), PragmatikPragmatik (→ Analyse des Gebrauchs und der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in konkreten Äußerungssituationen) (vgl. Bußmann 2002: 640).
Die Sprachphilosophie ist ein Zweig der Philosophie und kann heute auch als eine Teildisziplin der Linguistik aufgefasst werden, historisch reicht sie jedoch sehr viel weiter zurück. Die Sprachphilosophie beschäftigt sich mit der Bedeutungsdimension von Sprache und deren Verhältnis zur Wirklichkeit. Ihr Untersuchungsbereich deckt sich damit zu großen Teilen mit dem der Semantik und Pragmatik. Genau betrachtet, waren Sprachphilosophen wie John L. Austin Wegbereiter für die Entwicklung von Semantik und Pragmatik in der modernen Sprachwissenschaft.
Vor Austin hatte sich die sprachphilosophische Tradition mit der Bedeutung von sprachlichen Äußerungen in erster Linie aus der Perspektive heraus beschäftigt, dass Äußerungen „wahrheitsfähige Gebilde“ (Hoffmann 2010: 155) darstellen. Ein Satz wie z. B. Mona sitzt auf dem Stuhl ist eine Aussage, die, wenn sie in einer bestimmten Situation geäußert wird, entweder wahr oder falsch sein kann. Ein möglicher Weg, die Bedeutung des Satzes zu fassen, ist zu sagen, dass wir die Bedeutung von Mona sitzt auf dem Stuhl verstehen, wenn wir genau wissen, in welchen Äußerungssituationen der Satz wahr ist und in welchen er falsch ist – wenn wir also die WahrheitsbedingungenWahrheitsbedingungen des Satzes kennen.
Austin bricht mit dieser Tradition, dass eine Aussage generell als etwas zu definieren ist, das entweder wahr oder falsch sein kann. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Bruch leistet sein Aufsatz „Performative und konstatierende Äußerungkonstatierende Äußerung“ (1962); eben hier expliziert Austin erstmals den Begriff performativ.
Der Ausgangspunkt in Austins Aufsatz ist die Unterscheidung von zwei verschiedenen Typen von Äußerungen: Konstatierende Äußerungen sind solche, die aus der sprachphilosophischen Tradition bereits bekannt sind – Aussagen, die, wenn man sie in einer spezifischen Situation äußert, entweder wahr oder falsch sein können:
Konstatierende Äußerung | Eine Äußerung, die etwas aussagt (= konstatiert), das in der Äußerungssituation entweder wahr oder falsch ist: Die Katze ist auf der Matratze. Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig. Mona sitzt auf dem Stuhl. Ich sitze auf dem Stuhl. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 167) |
Austins zentrale Beobachtung ist, dass sich nicht alle Äußerungen, selbst wenn sie sprachlich ähnlich oder analog gestaltet sind, unter der Definition einer konstatierenden Äußerung verorten lassen. Performative Äußerungen sind im Kontrast dazu solche, bei denen die Sprecherin mit dem Akt der Äußerung eine Handlung vollzieht. Die Äußerung beschreibt etwas und das, was sie beschreibt, wird im Zuge des Äußerungsaktes zu einer Handlung.
Performative Äußerung | Eine Äußerung, mit der die Sprecherin/der Sprecher mit dem Akt der Äußerung das in der Äußerung Beschriebene als Handlung vollzieht: Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“. Ich bitte um Entschuldigung. Ich heiße Sie willkommen. Ich rate Ihnen, das zu tun. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 163) |
Geht man auf die Suche, lassen sich noch viele weitere Beispiele finden. In der Regel treten performative Äußerungen in einer bestimmten syntaktisch-morphologischen Form auf. Das Prädikat steht in der 1. Person Singular und wird durch ein performatives Verb gebildet, das an sich eine Handlung beschreibt, die sich im Äußerungsakt realisiert: Ich gratuliere dir …; ich befehle dir …; ich bezweifle, dass …; ich betone …; ich warne euch …; ich schlussfolgere, dass …; ich fordere dich dazu auf, dass …; ich verurteile dich zu … usw. Durch die Äußerung – also nur dadurch, dass etwas gesagt wird – wird jeweils die Handlung des Gratulierens, Befehlens, Bezweifelns etc. vollzogen.
Nach Austin kann die Handlung einer performativen Äußerung gelingen oder ggf. misslingen, an sich aber weder wahr noch falsch sein. In diesem Sinne könnte man bei der Analyse der Bedeutung von performativen Äußerungen eher von GelingensbedingungenGelingensbedingungen als von Wahrheitsbedingungen sprechen.
Eines der bekanntesten Beispiele von Austin für diesen Zusammenhang ist die Taufformel (vgl. das Beispiel Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“): Soll die Äußerung und damit die Handlung gelingen, muss der Kontext ‚stimmen‘: Wir brauchen eine passende Situation, ein bis dahin noch ungetauftes Schiff muss präsent sein, die Sprecherin oder der Sprecher müssen für den Taufakt autorisiert sein etc. Aber sofern die Gelingensbedingungen erfüllt sind, wird mit dem Akt der sprachlichen Äußerung die Handlung der Taufe vollzogen.
Beispiel einer performativen Äußerung, Illustration von Austins Taufformel
Bei näherer Betrachtung ist die Unterscheidung zwischen Gelingens- und Wahrheitsbedingungen komplexer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. So diskutiert Austin in seinem Aufsatz, inwiefern auch konstatierende Äußerungen gelingen oder misslingen können. Wenn jemand zum Beispiel den Satz äußert Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig und Hans hat gar keine Kinder, dann ist es schwierig zu sagen, dass in diesem Kontext der Satz falsch ist; eher könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Aussage in dieser Äußerungssituation unpassend ist und „daneben geht“ (Austin ebd.: 168), also nicht gelingt. Im Übrigen ist die Frage berechtigt, ob nicht auch eine konstatierende Äußerung eine Form des Handelns darstellt: Die Äußerung in einer bestimmten Sprechsituation ist ja auch eine Handlung an sich – ein Äußerungsakt. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig ausspreche, dann tue ich etwas: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. Ich führe damit ebenfalls eine Handlung aus: die des Behauptens.
John R. Searle (*1932), ein ebenfalls für die Theoriebildung maßgebender Sprachphilosoph, der Austins Überlegungen aufgegriffen und weiterentwickelt hat, hat später in seinem Aufsatz „How Performatives Work“ (1989) aber noch einmal explizit darauf gedrungen, dass performative Äußerungen eine besondere Klasse von Akten bzw. Handlungen darstellen. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig äußere, dann ist das eine sprachliche Handlung, insofern ich etwas behaupte oder