Himmel und Hölle. Alexandre Dumas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexandre Dumas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511971
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den dreihundert Francs hinzu bekommen, die er als Kinderlehrer und Vorsänger in der Kirche von der Gemeinde erhielt, diese Hoffnung aber aufgeben müssen, was für ihn eine umso schmerzlichere Enttäuschung war, da sich seine Familie durch einen Sohn vermehrt hatte. Diesen Sohn empfahl er ganz besonders dem Apostel Petrus und nannte ihn nach demselben Peter, wie auch er selbst, der Schulmeister, hieß. Um den Einen von dem Andern zu unterscheiden, nannte man das Kind den kleinen Peter.

      Um das Unglück voll zu machen, erkrankte bald nach der Geburt des kleinen Peters der Vater und starb, so dass die Witwe mit ihren beiden Kindern auf die Pension von hundert Francs, welche ihr die Gemeinde gab, und auf ihre Händearbeit angewiesen war.

      Dies geschah etwa um das Jahr 1810. Die kleine Marie stand im fünfzehnten Jahre und konnte also den unersetzlichen Verlust ermessen, den sie erlitten hatte. Wie bei allen wichtigen Begebenheiten verschmolzen sich auch bei diesem Trauerfalle die beiden Familie in eine einzige, und Madelaine wie Ehrlich übernahmen ihren Teil von dem Schmerze der Nachbarin, damit er dieser minder schwer werde.

      Obgleich nun Ehrlich mit der kleinen Marie weinte, fand er doch so wunderbar tröstende Worte für das Mädchen und für die Frau, dass sie beide, die neben einander weinten, die in Tränen schwimmenden Augen aufschlugen und hinsahen, ob denn wirklich Ehrlich, der Geistesarme, also gesprochen habe.

      In Folge dieser Stimme, die von oben herab zu kommen schien, verlor ihr Schmerz, wenn er auch nicht ganz schwand, viel von seiner Bitterkeit und nach einem halben Jahre hatten bereits die Herzen wie die Anzüge, ohne gerade die Trauerfarbe ganz verloren zu haben, doch nicht mehr das schauerlich Düstere.

      Es gibt eine himmlische Barmherzigkeit für die Armen. In dem Augenblicke, da das Unglück uns trifft, glaubt man nicht nur dasselbe nicht ertragen zu können, man hält es auch überhaupt für unerträglich. Man überschaut die Hilfsmittel, die geblieben sind, zählt sie zusammen, schaudert und fragt sich, wie weit sie reichen werden. Das Leben scheint zu uns möglichen Bedingungen gebracht zu sein; man tritt schaudernd in das neue Dasein ein, das sich immer enger und enger zusammenziehen und uns endlich ersticken zu müssen scheint. Aber ein Tag nach dem andern vergeht, ein Monat folgt dem andern; aus der Armut selbst scheinen wohltätige Gedanken aufzusteigen und man blickt so oft nach dem Himmel hinauf, dass man endlich Gott selbst zu sehen glaubt. Dann gleicht der Arme, so verzweiflungsvoll er auch sein mag, dem Verurteilten, den man zum Blutgerüste führt und der einem König auf seinem Wege begegnet. Er erkennt, dass er nun nicht mehr sterben wird.

      Nachdem Ehrlich so gut er es vermocht und ohne zu ahnen, wie sehr es ihm gelungen, Mutter und Tochter getröstet hatte, sah er ein, dass er ihnen beistehen müsse. Da ihn selbst Vater Kleine für ein Wesen ganz besonderer Art hielt, durfte Ehrlich frei und ungehindert über seine Zeit verfügen. Er konnte sie also auch im Dienste der Witwe verwenden. Zuerst brachte er die kleine Marie auf den Gedanken, nicht bloß die Milch der schwarzen Kuh, sondern auch die der Kühe des Gutes Longpré in die Stadt zu schaffen und da zu verkaufen. Die Besitzerin, eine junge Witwe mit einem Kinde von fünf oder sechs Monaten, die sich um alle solche Einzelheiten ihrer Wirtschaft nicht bekümmern konnte, wollte der kleinen Marie von jeder Maß Milch, die sie verkaufe, ein Viertel als Lohn überlassen. Da aber Marie, selbst mit Ehrliche Hilfe, die Milch nicht in die Stadt auf einmal tragen konnte, Vater Kleine den Esel auf dem Felde brauchte und auch der Ameise glich, die nicht borgte, so fing Ehrlich an einen kleinen Wagen zu bauen, zu dem er die alten Räder zweier Karren nahm und spannte den großen Bernhard daran, der sich gern fügte und in Begleitung der beiden Kinder seine flüssige Ladung nach der Stadt zog. Dort ging Marie in die Häuser der angesehensten Leute, bot ihre Dienste an und sagte, sie werde alle Tage so viel Milch bringen als sie bedürften, wenn sie dies selbe gut fänden. Marie war nun zum Entzücken schön und sprach ganz besonders lieblich; die Trauerkleidung machte sie interessant und so regte sie gleich bei dem ersten Versuche die Milch vollständig ab.

      Da sie von der Gutsbesitzerin acht Maß erhalten hatte, die Maß acht Sous kostete und ihr ein Viertel für ihre Mühe zufiel, so erhielt sie sechzehn Sous. Außerdem lieferte die schwarze Kuh zwei Maß, deren Ertrag Marien und deren Mutter ganz angehörte; sie brachte also zweimal sechzehn Sous mit nach Hause, monatlich etwa acht und vierzig Francs.

      Das gab mit den hundert Francs, welche die Gemeinde der Frau Marie zahlte, sicher eine Summe von mehr als sechs hundert Francs des Jahres, das Doppelte also wenigstens von dem, was der Schulmeister bei Lebzeiten verdient hatte.

      Alle Morgen um sechs Uhr brachen Marie, Ehrlich, Bernhard mit dem kleinen Wagen von Haramont auf und gelangten nach etwa dreiviertel Stunde in die Stadt. Marie ging da zu allen ihren Abnehmern, während Ehrlich und Bernhard vor jedem Hause warteten, der Hund den Knaben ansah, gleich als wollte er fragen, ob er mit ihm zufrieden sei und Ehrlich dem Hunde freundlich zulächelte.

      Mariechen maß die Milch so zierlich ab, empfing das Geld dafür mit so freundlich dankbarem Lächeln; der große Hund und der arme blödsinnige Knabe, die an der Tür auf sie warteten — denn für blödsinnig galt er auch in der Stadt — hatten etwas so Originelles, dass der kleine Wagen viermal so groß hätte sein und viermal soviel Milch enthalten können, Marie würde keinen Tropfen wieder mit nach Hause gebracht haben.

      Auf dem Rückwege stellte Marie die Krüge so zusammen, dass ein Plätzchen für sie selbst frei wurde; dahin setzte sie sich auf dem Wägelchen und Bernhard zog sie ohne Anstrengung, während der blöde Ehrlich nebenher ging.

      Um neun Uhr waren die Kinder gewöhnlich wieder zu Hause und Marie hatte also fast den ganzen Tag noch frei, um mit ihrer Mutter nähen oder ihren kleinen Bruder warten zu können.

      Wenn die Ernte der Buchnüsse kam, jener Hilfe, welche Gott selbst den Armen im Walde gibt, wie er sonst den Israelisten in der Wüste Manna gab, war Ehrlich wiederum Marien behilflich bei der Einsammlung; aber er ließ sie keineswegs die Buchnüsse kniend einzeln auslesen, wie es die Andern thaten, er las sie auch selbst nicht so auf, sondern spannte Bernhard an den Wagen, nahm auf diesem einen Besen und einen Wedel mit und fuhr in den tiefsten Wald hinein.

      Hier suchte er sich einen schönen fruchtbeladenen Baum aus, stieg gewandt, fast so rasch wie ein Eichhörnchen hinauf, schüttelte die Äste, damit die Nüsse herunterfielen, stieg dann wieder hinunter, kehrte sie mit seinem Besen zusammen und binnen einer halben Stunde hatte er die Hülsen, Blätter und Holzstückchen mit dem Wedel entfernt und die gereinigten Nüsse auf den Wagen geladen.

      In dem ersten Jahre, in welchem Ehrlich in solcher Weise die Buchnüsse einsammelte, verkaufte Frau Marie für hundert und fünfzig Francs Nussöl, so dass in diesem Jahre die Einnahmen der Familie auf siebenhundert und fünfzig Francs stiegen, höher als selbst die des Vaters Kleine, obwohl dieser damals zehn Morgen Feld besaß, die er durch den Dünger von dem Grauen, dem Faulen und der Schwarzen, welcher letztere ihm für die Arbeit Ehrliche für die Frau Marie überlassen wurde, sehr ergiebig gemacht hatte.

      Ehrlich hatte aber auch an noch etwas anderes gedacht. Er wollte dem Häuschen, in welchem mit ihm der Segen des Herrn eingezogen zu sein schien, einen Bienenstock verschaffen und zwar seit er in einem hohlen Baume eine arbeitsame Familie dieser Tierchen entdeckt hatte. Er flocht einen Bienenkorb und wartete bis die Bienen im Walde schwärmten.

      Er folgte ihnen dann zu dem Baume, an welchem sie sich anhingen und da er sie schon längst kannte und mit ihnen sprach wie mit den andern Tieren, so scheute er sich nicht, als die rechte Zeit gekommen war, seine Brust zu entblößen, weil er gar nicht daran dachte, dass ihm eine Biene etwas zu Leide tun könnte, nahm einige mit der Königin in sein offenes Hemd, ging so, während die andern ihm folgten und um ihn herflogen, durch das ganze Dorf, das sich gar sehr verwunderte, und gelangte zu dem neuen Bienenkorbe, in den sich die Königin sogleich mit allen ihren Untertanen begab wie in einen ihrer würdigen Palast.

      Schon im nächsten Jahre hatte Frau Marie den schönsten Honig im ganzen Dorfe.

      Am meisten wunderte man sich darüber — denn der Mensch wundert sich eben über Alles, was er nicht begreift, — dass sobald Ehrlich im Garten erschien, der ganze Schwarm Bienen zu ihm flog, sich auf seinen Hals und sein Gesicht setzte und an den Blumen sog, die er in der Hand hielt und der Königin brachte wie ein Verehrer einer Majestät.

      Die