Sivers an den Polizeiinspektor Lastbom
Schicken Sie den Idioten, der bei Horn zugesehen hat, wie unter seiner Nase eine hochverräterische Karikatur anonym verbreitet werden konnte, in den Arrest oder meinetwegen an die russische Grenze. Noch so ein Versagen, und Sie dürfen ihm Gesellschaft leisten. Wie bringen Sie das wohl Ihrer lebenslustigen Frau bei?
Sivers an Graf Armfelt
Die Schlange hat wieder ihr Haupt erhoben. Dank des Einsatzes meiner braven Polizeidiener wurden bei der Mittagstafel des jungen Grafen Horn beleidigende Karikaturen sichergestellt. Exzellenz ersparen mir sicherlich die Details dieses Machwerks. Die Reaktion der versammelten Gäste – ich darf sie nach ihrem ersten Geheimtreffen die Solnaer Gruppe nennen – war äußerst degoutant und unpatriotisch. Es handelt sich um Baron Bjelke, Graf Horn, Ehrenwärd, Major Hartmannsdorf. Aus Lilljehorn werde ich nicht schlau. Seine Anwesenheit macht ihn verdächtig, andererseits war er selbst Opfer des Spotts. Wir werden uns auch um ihn zu kümmern haben. Neben Hartmannsdorf ist er der Einzige der Solnaer Gruppe mit Soldaten unter Waffen. Ich empfehle dringend, ihn mit seiner Truppe nicht in der Nähe seiner Majestät einzusetzen.
Übrigens: Graf Anckarström verspätete sich und begehrte lautstark Einlass. Die Lakaien wollten ihn wegen seiner abgetragenen Kleidung und der Haarmähne, die er offen trug, nicht einlassen. Schließlich musste Horn eingreifen und die Situation retten. Als die Gesellschaft sich schon verabschiedet hatte, zog er sich mit Horn in ein Nebenzimmer zurück. Über den Inhalt des Gesprächs liegen keine Informationen vor.
Ich darf resümieren: Meine Behörde ist über alle Schritte der Verdächtigen informiert, ohne ihnen voraus zu sein. Aus Liebe zu unserem Landesherrn bitte ich Exzellenz, die Auftritte Seiner Majestät in der Öffentlichkeit abzusagen. Auch ein incognito schützt ihn nicht.
Mamsell an Sivers
Die Soiree findet in zwei Tagen bei mir in der Johannesgatan 23 statt. Ich habe zahlreiche Zusagen aus den höchsten Kreisen. Ist der Unteroffizier Rosenschütz schon aus dem Kerker freigekommen? Wie gesagt, er muss erscheinen. Sie werden staunen, wie treffsicher sich mir Fortuna enthüllt.
12
In der großen Stadt mit den großen Menschen durfte man sich keine Fehler gestatten. Aber der Geist des Büffels sprach immer noch, die Geister der Ahnen wiesen den Weg. Wie hätten sie und Mojo hier sonst überleben können? Ihre Füße mussten sie in Leder stecken, die Erde war nicht mehr zu spüren. Trotzdem war ihr beständig kalt. In den Nächten entzündeten die Menschen Feuer an den Hauswänden, doch nichts verbrannte, und die Wegweiser am Himmel zogen sich zurück. Menschen lebten in Kammern, was sie fahl und bleich machte wie das Gras in der Trockenzeit. Manche von ihnen kniffen ihr in die Wange: »Die Farbe geht doch nicht ab, du bist echt«, sagten sie dann und drückten ihr eine kleine Metallscheibe in die Hand. Zuerst hatte sie die Scheiben weggeworfen, doch Mamsell belehrte sie, dass man damit tauschen konnte. Mamsell war gut, der Geist der Mutter musste sie geschickt haben. Sie glaubte an den Geist und die Gesichter, die er ihr schickte. Die großen weißen Menschen besuchten oft hohe Häuser mit spitzen Dächern und Türmen, in denen sie zu ihrem großen Geist sangen, aber sie erwarteten keine Gesichter von ihm.
Heute durfte sie Mojo treffen, er diente dem Herrn der Fremden in dem gemauerten Würfel oberhalb der Stadt. Mamsell hatte sie gebeten, den Auftrag diesmal nicht abzulehnen. Doch warum auch? Der Geist des Büffels war ja in letzter Zeit still geblieben und hatte ihr keine Dolche gezeigt, wie an dem Abend, als die Zofe der Mamsell schluchzend vom Ort der Toten zurückgekehrt war.
Sie vermied heute trotz allem Straßen ohne Lichter. Mamsell fürchtete, dort würden Männer ihr Böses tun. Auch Gassenjungen verbargen sich in den finsteren Winkeln der engen Straßen. Hierher, wo die Menschen bunte, prächtige Stoffe trugen, wagten sie sich nicht vor. Um mit Mojo sprechen zu können, musste sie ihre Schritte beschleunigen. Er brauchte das, denn er diente dem mächtigen Herrn der Fremden. In dem großen Würfel sprach niemand mit ihm, sie redeten nur neben ihm. Was sie nicht wussten – er verstand alles, worüber sie sprachen. Denn Mamsell unterwies ihn in der Sprache dieser Menschen, wenn er heimlich aus dem großen Haus schlüpfte.
Mojo würde nach dem siebenten Schlag der Glocke aus einem Seiteneingang des Schlosses kommen und den breiten Slottsbacken rasch überqueren. Niemand würde Verdacht schöpfen, weil sein Herr oft sehr spät dinierte und man den Dienern vorher eine Rast gönnte. Das Treffen sollte in der Österlånggatan stattfinden, wo er leicht in einer der zahllosen Nebenstraßen untertauchen konnte. Adotja barg ihr Gesicht unter einer mit Fell gesäumten Kapuze vor der Kälte und den Gaffern. Bis jetzt war der Weg von ihrem Haus in der Johannesgatan in den Stadtteil zwischen den Brücken ohne Zwischenfall verlaufen. Das graue Schloss am grauen Meer wachte über die sich unter dünnen Rauchfäden duckende Stadt. Sie umrundete die Masse der wuchtigen Mauern und bog hinter der Storkyrkan in den Slottsbacken ein. Der letzte Schlag der Glocken war schon verklungen. Im dunstigen Licht der Laternen versuchte sie die zahlreichen Eingänge im Auge zu behalten. Aus einem musste gleich Mojo treten.
Die Göre verhielt sich zielstrebiger, als er annahm. Schon seit einiger Zeit schwärte in ihm der Verdacht, die stadtbekannte Prophetin, die über allem Verdacht erhabene Mamsell, stehe in Sivers Diensten. Was schadete es also, den Spitzel zu bespitzeln, ihn in seinem Revier zu stellen. Nach dem Erfolg am Friedhof – nun, man konnte über die Methoden streiten, bessere Leute als die beiden Schläger waren eben nicht zu kriegen – hatte er es den eitlen Gecken gezeigt. Den Revolutionären der Salons und der feinen Bälle. Dass die Göre am Humlegården den Lockungen der Marionettenbuden, der kandierten Früchte und der aus heißem Fett herausgebratenen Teigtaschen widerstanden und den direkten Weg über die Norrmalmbrücke zum Schloss genommen hatte, war ein klares Indiz: Sie hatte einen Auftrag. Jetzt stand sie gut sichtbar am Slottsbacken, wie auf einem Tablett – zum Schuss freigegeben.
Die fernen Portale und Fenster des grauen Würfels versanken im Nebel, grau wie das Element, aus dem er hervorkroch. Wo war Mojo? Vielleicht hatte er sie unter ihrer Kapuze nicht erkannt? Sie steckte ihre kleinen Fäuste tiefer in die Taschen. Sie fror erbärmlich. Als sie ihren Arm wieder herauszog, um die Kapuze ganz zurückzuschieben, fühlte sie eine warme Umklammerung um ihren Arm, fühlte sie die Hand. Es war Mojo, es ist Mojo. Er grinst unverschämt, einer, der seiner älteren Schwester Schrecken einjagt, weil er es darf, weil er im blauen Gewand des mächtigen Herrn steckt und goldenen Schmuck trägt, weil er nun sie behüten kann. Sofort fallen sie in die Sprache ihres Dorfes. Es ist ein gegenseitiges Beschnüffeln. Hin und zurück laufen die vertrauten Worte, so wie der Hund den Herrn freudig erkennt, von ihm wegspringt, um ihn dann umso freudiger zu begrüßen. Auf diese Weise wurde nichts gesagt und dann doch wieder alles. Am Ende schob Mojo ihr ein zweimal gefaltetes Blatt zu. »Der Auftrag«, flüsterte er und lachte wieder unverschämt.
Adotja wollte ihm schon einen Klaps verabreichen, aber etwas passte nicht, gehörte nicht zum Bild mit Schloss, Nebel, grauem Vorplatz und Bruder. Ein brauner Mantel, nichts Ungewöhnliches, ein Hut, tief heruntergezogen, warum hätte sie auch aufschrecken sollen. Aber der schwere Mantelzipfel fliegt nur dann auf, wenn wer einen hastigen Schritt tut, einen Schritt, um zuzupacken. Der Saum des Mantels ist scharlachrot, die Farbe passt entschieden nicht hierher.
Er stand näher bei ihnen, als er es erhoffen konnte. Vielleicht hätte er sogar einige Wortfetzen verstanden – aber das verfluchte Kauderwelsch der Wilden. Auch die zweite Gestalt hatte ein Gesicht wie Ebenholz. Das Treffen der beiden war kein Zufall. Ob das alles von Sivers ausging? Wer zog hier welche Fäden? Jetzt noch ein entschiedener Zugriff, und er konnte den Brief in seine Gewalt bringen. Wer würde ihn jetzt noch scheel ansehen, ihn, den Geizhals, den Landmenschen? Aber irgendetwas musste schiefgegangen sein. Als er den letzten Schritt tat, fuhren die beiden herum und starrten ihm direkt ins Gesicht. Die weißen Augäpfel traten ihnen vor Angst fast aus dem Schädel. Das Mädchen handelt völlig unverständlich. Langsam und gut sichtbar hebt sie das Blatt Papier, es nur mit zwei Fingern haltend, hoch über ihren Kopf und steckt es dann ebenso ruhig in eine Manteltasche. Dann duckt sie sich wie eine