In Santa Cruz gibt es zwei Flughäfen. Der internationale heißt Viru Viru, nach einer für die Region typischen Blume. Der kleinere Flughafen, El Trompillo, liegt fast in der Stadtmitte und wird nur von kleinen Maschinen angeflogen. Neben dem hauptsächlich privaten Flugverkehr hat hier das bolivianische Militär eine Basis. Auch die USA benutzten den Flughafen für militärische Einsätze und hatten hier Helikopter, die auch von der DEA (amerikanische Antidrogen-Spezialeinheit) für geheime Einsätze benutzt wurden. Das änderte sich jedoch schlagartig, als Evo Morales an die Macht kam. Er schloss die Basen der DEA und deren Agenten mussten das Land verlassen.
Um siebzehn Uhr wurde das Flugzeug als vermisst gemeldet und eine Suchaktion eingeleitet. Da es rasch dunkel wurde, musste sie jedoch bald abgebrochen werden. Am folgenden Tag flog eine private Maschine erfolglos die gesamte Strecke ab. Die Zeit verstrich ohne ein Zeichen der vermissten Piper. Falls sie abgestürzt war, musste man sich beeilen. Sollte es Verletzte geben, mussten sie schnell geborgen werden.
Um die Suchaktion zu beschleunigen, unterstützte am frühen Mittag die FAB (Fuerza Area Boliviana), die Bolivianische Luftwaffe, die Suche. Die zusätzlichen Maschinen flogen auch die Umgebung der Flugstrecke ab. Mittlerweile waren etliche Privatpiloten ebenfalls unterwegs, meistens Freunde der vermissten Piloten.
Das Militär befragte die Bewohner entlang der Flugstrecke, ob sie irgendwo Rauch oder ungewöhnliche Ereignisse wahrgenommen hätten. Aber alle Bemühungen blieben erfolglos, das Flugzeug schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Um schnellstens informiert zu werden, warteten die Angehörigen weiterhin direkt am Flughafen. Es wurde ein Pressezentrum eingerichtet und die Familien psychologisch betreut. Die Suchaktion und die dahinterstehenden Schicksale wurden zum wichtigsten Medienereignis des Landes. Keine Stunde verging, ohne dass eine Maschine abflog oder zurückkam. Die Familien wollten nicht an den Tod glauben und unternahmen alles, um ihre Angehörigen zu finden.
Die Tageszeitung in Santa Cruz El Deber von Mittwoch, dem 24. März 1999, meldete, dass es noch keine Spur vom seit Montag vermissten Flugzeug gäbe. Es ist nicht so, dass sich in Bolivien noch nie ein solches Unglück ereignet hätte oder dass jedes Mal ein solcher Aufwand betrieben würde. Bolivien ist ein großes Land mit schlechten öffentlichen Verkehrswegen. Die Straßen sind öfter durch Unwetter, Streiks oder schlechten Zustand blockiert. Daher gibt es viel privaten Flugverkehr. Großgrundbesitzer, Ingenieure, Unternehmer und Händler reisen oft in gemieteten Kleinflugzeugen.
Eine spezielle Brisanz in diesem Fall war es, dass der Kopilot, Juan Lorenzo Cortez, ein Bruder von Milton Cortez war. Milton Cortez ist ein in Mexiko und den USA relativ erfolgreicher Schauspieler. Obwohl es in Bolivien viele gute Künstler gibt, bringen es nur wenige zu Bekanntheit im Ausland. Hat aber einer außerhalb der Landesgrenzen Erfolg, wird er oder sie schnell zu einem Nationalhelden.
Drei lange Tage warteten die Angehörigen vergebens auf Neuigkeiten. Wegen der Presse wurden nicht nur die Familien in den emotionalen Strudel gezogen, sondern die ganze Stadt. Tag und Nacht flimmerten die Bilder der Suchaktion über die Bildschirme.
An diesem Mittwoch sah ich mir abends die Nachrichten an. Durch die Presse war ich informiert und hoffte, wie alle, dass das Flugzeug bald gefunden würde. Während der Nachrichten kam mir auf einmal die Idee, mich auf ein Foto der Vermissten aus der Tageszeitung zu konzentrieren, um anhand der Aura zu sehen, ob sie noch am Leben waren.
Ich arbeite fast ausschließlich mit der Aura von Personen, Objekten und Projekten. Die Aura ist ein Lichtkörper in und um den physischen Körper. Jeder Mensch und jedes Tier, alle Pflanzen und Mineralien, jedes Projekt hat seine persönliche Aura. Die Aura besteht aus Farben und Bildern. Die Farben geben mir Einblick in den Zustand, die Gesundheit und in mögliche Absichten der Person. Die Bilder laufen wie Filme ab und können Ereignisse aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft sein.
Jeder Mensch trägt immer eine Aura um sich. Stirbt er, verschwindet sie. Die Aura einer Person kann ich am Körper, auf Fotos oder anhand eines geschriebenen Namens erkennen. Es spielt keine Rolle, wie alt ein Foto ist, es dient mir lediglich als Brücke zum Menschen.
Das Gleiche gilt für geschriebene Namen. Hier könnte man einwenden, dass viele Personen den gleichen Namen tragen. Maria Gutierrez ebenso wie Hans Müller. Aber die fragende Person denkt immer an einen bestimmten Hans Müller. So wird sie zur ersten und der Name der Person zur zweiten Brücke, bis ich zum gewünschten Hans Müller komme. Das verhindert Verwechslungen. Bin ich mir nicht sicher, frage ich das eine oder andere über die Person, von der ich die Aura vor mir habe. Ich sehe beispielsweise etwas über die Partnerschaft. Bejaht der Kunde, bin ich sicher, die richtige Person zu sehen. Stimmt das von mir Gesehene nicht überein mit der gesuchten Person, dann habe ich die falsche Aura vor mir und suche weiter oder bitte um eine Fotografie.
Ich war erstaunt, als ich über dem Foto der Vermissten eine Aura sah! War es möglich, dass die Passagiere noch lebten? Irrten sie irgendwo umher und fanden nicht zurück? Die Fragen flogen durch meinen Kopf, wie die Vögel über die weiten Felder von Boliviens Hochland. Ich entschloss mich, das Gesehene ruhen zu lassen, um später vielleicht weitere Schritte in Betracht zu ziehen.
An diesem Abend waren meine damalige Freundin und ich zum Essen eingeladen, und ich vergaß darüber, dass ich den Fall analysieren wollte. Ohne mich weiter um das Flugzeug zu kümmern, gingen wir schlafen.
In der Nähe meiner Wohnung gab es ein kleines Fotokopiergeschäft. Dort ließ ich immer die Kopien für meine Arbeiten machen. Einer der Angestellten war ein aufgeschlossener junger Mann und sehr interessiert an meiner Arbeit. Wir entwickelten über die Jahre eine Art Freundschaft und hatten stets angenehme Unterhaltungen.
Am Donnerstag, dem 25. März, ging ich morgens in das Geschäft, um Papiere zu kopieren. Juan Jose – so hieß der junge Mann – trat sofort auf mich zu und sagte, dass seine Freundin die Cousine eines der vermissten Piloten sei. Dann fragte er mich, ob ich etwas von der Maschine wisse. Ich erzählte ihm, dass ich mich am Abend zuvor mit dem Fall auseinandergesetzt hätte. Gespannt hörte er zu, als ich sagte, dass auf dem Foto eine Aura zu sehen war. Ich versicherte ihm, dass es möglich sei, die Passagiere und das Flugzeug zu lokalisieren. Da er keine Fotos bei sich hatte, verblieben wir so, dass seine Freundin mit mir in Verbindung treten könne. Über den Fall nachdenkend, ging ich langsam nach Hause.
Tagsüber hatte ich mehrere Klienten, und nach dem Abendessen mit meiner damaligen Freundin tranken wir gegen dreiundzwanzig Uhr ein Glas Wein und plauderten über den vergangenen Tag. Unsere Wohnung war sehr geräumig, auch unsere Arbeitsräume befanden sich hier. Ich hatte ein Beratungszimmer und meine Freundin, als Model und Modedesignerin, ein Studio, wo sie mit ihren Schneidern arbeitete. Wir stellten uns auf einen ruhigen Fernsehabend ein, am kommenden Tag lag viel Arbeit vor uns. Daher wollten wir zu Hause bleiben und nicht, wie in Santa Cruz üblich, essen oder tanzen gehen.
Ich hatte inzwischen durch meine häufigen Fernsehauftritte und Veröffentlichungen in der Presse immer sehr viele Kunden. Dazu kam die Mund-zu-Mund-Propaganda zufriedener Kunden, die ebenfalls immer wieder für neuen Zustrom sorgte.
Die bolivianische Kultur ist noch immer stark mit ihren Wurzeln verbunden. Der größte Teil der Einwohner ist indigenen Ursprungs, mit eigenen Göttern und Ritualen. Der Katholizismus ist zwar Staatsreligion, die Einheimischen betreiben aber insgeheim oft ihre eigene, stark in der Mystik verwurzelte Religion. Die Kunst des Hellsehens ist ein Bestandteil dieses Glaubens. Das wirkt sich auch auf die weiße Minderheit aus, die ebenso an Medialität glaubt, und es ist fast normal, dass sich die Geschäftsleute die Zukunft lesen lassen. Kauft man ein Haus oder ein Auto, lässt man von einem Schamanen, der bei den bolivianischen Aymaraindianern »Yatiris« genannt wird, ein Schutzritual machen.
Meine Arbeit hier in Südamerika war viel spannender als in Europa. Durch die weit verbreitete Skepsis der Mitteleuropäer ist es oft schwierig, Vertrauen zu gewinnen. In Ländern wie Bolivien oder Peru sind die Probleme der Menschen existenzieller und daher integrierter in den familiären und