Aus meinem Leben - 2. Teil. August Bebel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Bebel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511681
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noch gegen unsere Partei bringen würde, und forderte die Vereinsmitglieder auf, im gleichen Sinne zu handeln. Umgekehrt veröffentlichten wir im »Demokratischen Wochenblatt« eine ähnlich lautende Erklärung.

      So schien alles in schönster Harmonie zu sein. Aber Schweitzer konnte sich der neuen Ordnung nicht fügen; eine demokratische Organisation, wie sie die Barmen-Elberfelder Generalversammlung geschaffen hatte, war für ihn der politische Tod. Dieselbe legte ihm in einer Weise Fesseln an, daß die bisher geübte politische Zweideutigkeit für künftig unmöglich wurde. Außerordentlich bezeichnend für sein damaliges Verhalten ist auch, daß er das ausführliche Protokoll, das über die Elberfelder Verhandlungen erschienen war, unterschlug und verschwinden ließ, wie er das gleichfalls mit dem Protokoll der Hamburger Generalversammlung aus dem vorhergehenden Sommer getan hatte. Es sollte nichts, was ihn kompromittierte, den Vereinsmitgliedern bekannt werden und in die Oeffentlichkeit dringen.

      Da erschien wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine Proklamation in Nummer 70 des »Sozialdemokrat« vom 18. Juni, überschrieben: Wiederherstellung der Einheit der Lassalleschen Partei, und unterzeichnet von Schweitzer und Mende. Wiederholt sei hier, daß seit Anfang 1867 sich ein Teil der Mitglieder vom Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein unter dem Einfluß der Gräfin Hatzfeldt losgelöst und unter dem Namen »Lassallescher Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein« organisiert hatte, dessen Präsident Mende war. Das Organ des letzteren Vereins war die »Freie Zeitung«. Die beiden Vereine lagen sich seitdem gegenseitig in den Haaren. Jetzt hatten sich die feindlichen Brüder, soweit ihre Präsidenten und die Gräfin Hatzfeldt in Frage kamen, auf einmal gefunden und traten Hand in Hand vor ihre Anhänger.

      Der veröffentlichte Aufruf war ein ungemein phrasenreiches Schriftstück, das mit einer Verherrlichung Lassalles begann. Wieder wurde das Wort Lassalles: »Ihr sollt die Organisation aufrechterhalten, sie wird euch zum Siege führen«, zitiert. Weiter hieß es in hochtrabenden Worten:

      »Die erwählten Führer der beiden Vereine sind von dieser Erkenntnis durchdrungen; mit gehobenem Gefühl treten sie heute vor die Mitglieder der beiden Vereine und fordern sie auf, ein stolzes Werk ihnen bauen zu helfen, ... einen wahrhaft Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, mächtig über ganz Deutschland.... Unseren Vorschlag unterbreiten wir den gesamten Mitgliedschaften beider Vereine, das heißt dem souveränen Volk selbst unmittelbar zur sofortigen Entscheidung. (Auch im Original gesperrt.)

      Das alte Lassallesche Statut ist es, unter dem wir dereinst einig waren und zu dem wir zurückkehren müssen, um diesmal in einheitlicher Entwicklung, von diesem Boden aus gemeinsam voranzuschreiten....«

      Dann wurde gefordert, daß bis zum 22. ds. Mts. – der Ausruf, vom 16. datiert, erschien am 18. Juni im »Sozialdemokrat« und gelangte erst am 19. oder 20. in die Hände der meisten Mitglieder – über ihren Vorschlag abgestimmt werden solle und am 23. das Abstimmungsresultat in Berlin angelangt sein müsse.

      Des weiteren wurde erklärt, daß, wenn die Abstimmung zugunsten des Mende-Schweitzerschen Vorschlags ausfalle – in berechnender Bescheidenheit trat Schweitzer hinter den stupiden Mende zurück – , sollten am 24. Juni beide Vereine aufgelöst werden, worauf noch an demselben Tage einige Parteifreunde zusammentreten und die Wiederherstellung des ursprünglichen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins unter dem alten Lassalleschen Statut beschließen sollten. Die Präsidentenwahl sollte am 30. Juni stattfinden und am 3. Juli das Resultat verkündet werden. Bis zur Wahl des Präsidenten sollte Mende als Präsident, Tölcke als Sekretär, Bracke als Kassierer fungieren. Der Aufruf schloß:

      »Macht es möglich, Parteigenossen, daß, wenn der Todestag Lassalles wiederkehrt, wir alle, alle über seinem Grabe uns die Hände reichen und uns sagen können: Wir haben uns des Meisters würdig gezeigt.«

      Dieses Vorgehen der beiden Präsidenten war der Staatsstreich. Damit war die demokratische Organisation, welche die Elberfelder Generalversammlung dem Schweitzerschen Verein gegeben hatte, mit einem Schlage vernichtet. Schweitzer hatte die ihm angelegten Fesseln mit einem Ruck zerrissen und war wieder unumschränkter Herr und Diktator. Um den befürchteten Widerstand des in Hamburg domizilierten Vorstandes zu brechen, schickte Schweitzer seinen Vertrauensmann Tölcke nach dort, dem die Ueberredung des Vorstandes gelang. Geib telegraphierte: »Vorstand befürwortet einstimmig nach Erwägung der ihm von Tölcke vorgetragenen Gründe Wiedervereinigung. Mitgliederversammlung stimmte zu.«

      Aber nun galt es auch die zwischen Schweitzer, Fritzsche, Hasenclever und uns getroffenen Vereinbarungen aufzuheben. Zu diesem Zwecke erklärte Schweitzer in der Nummer 72 des »Sozialdemokrat« vom 22. Juni: Wir hätten diese Abmachungen gebrochen, indem wir erneut wissentlich und in böswilliger Weise einen Eingriff in die von uns gehaßte Organisation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins versuchten. Damit hätten wir die getroffenen Vereinbarungen gelöst, und nun hielten auch sie sich nicht mehr daran gebunden.

      Das begangene »Verbrechen« fiel zunächst auf mein Haupt. Ich hatte im Laufe des Juni in zwölf thüringischen Städten Versammlungen abgehalten, darunter auch in Apolda, Erfurt und Gotha. Hier hatten die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, indem sie mich dazu einluden, Versammlungen einberufen, und deren Bevollmächtigte führten darin den Vorsitz. Alle Versammlungen waren überfüllt und verliefen ausgezeichnet. In jenen Versammlungen war eine Resolution angenommen worden, dahin lautend, daß nur die sozialdemokratischen Prinzipien es seien, welche die Lage der arbeitenden Klassen verbessern könnten, und daß eine Einigung der sozialdemokratischen Arbeiterfraktionen herbeigeführt werden müsse.

      Den Schluß meiner Agitationsreise bildete eine Konferenz in Eisenach, an der außer unseren Anhängern auch Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und Mitglieder der Demokratischen Partei teilnahmen. Es sei hier erläuternd bemerkt, daß zu jener Zeit eine Anzahl bürgerlicher Demokraten in Thüringen vorhanden waren, die sämtlich auf dem Standpunkt Jacobys standen, so Professor Abbe und sein Schwiegervater Professor Snell, weiter Dr. Sy in Jena, der später der Partei sich anschloß, Rechtsanwalt Creuznacher in Eisenach usw. Ferner zählte diese Partei Anhänger in Weimar, Gotha und Altenburg. In Eisenach war in einer Resolution erklärt worden:

      »Zur gemeinsamen Arbeit für die Lösung der sozialen Frage ist es nicht nur erforderlich, daß die Spaltung unter den verschiedenen Fraktionen der Demokratischen Arbeiterpartei aufhört, sondern auch, daß die demokratischen Arbeitervereine mit der gesamten demokratischen Partei geeint seien, daß namentlich bei gemeinsamen politischen Angelegenheiten, insbesondere bei Wahlen, die demokratische Partei und die sozialdemokratischen Arbeitervereine zusammengehen.«

      Das war also das Verbrechen, das Schweitzer zu seinem Vorgehen gegen uns veranlaßte.

      Das Agitieren machte mir übrigens trotz aller Erfolge und Beifallsbezeigungen wenig Vergnügen. Am 7. Juni hatte ich meiner Frau von Ronneburg aus geschrieben: »Bei aller Liebe und Freundschaft, die einem die Leute erweisen, ist das Agitieren kein angenehmes Geschäft.« Und wie lange habe ich es nachher noch betrieben. Die Pflicht gebot es, das genügte.

      Die Rebellion im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

      Schweitzers und Mendes Staatsstreich machte in weiten Kreisen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins böses Blut. Ein Teil der intelligenteren Mitglieder sah ein, daß es kein Auskommen mehr mit Schweitzer gebe und er das Hindernis einer Einigung sei. Bracke ließ durch Vermittlung von Bremer-Magdeburg Liebknecht und mich wissen: sie wünschten eine Zusammenkunft mit uns. Auf diesen Wunsch gingen wir bereitwillig ein. Am 22. Juni abends trafen wir uns – Bracke, Bremer, Spier-Wolfenbüttel, York-Harburg, Liebknecht und ich – in einem Gasthaus dritter Güte in Magdeburg. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Bracke und Bremer waren für sofortiges Losschlagen gegen Schweitzer und Austritt aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Spier und York hatten große Bedenken. Man müsse versuchen, den Verein von »innen heraus« zu reformieren, meinten sie; worauf wir antworteten, daß gerade die Vorgänge von Barmen-Elberfeld zeigten, wie es mit einer Reformierung von innen heraus aussehe. Solange Schweitzer Präsident sei und den »Sozialdemokrat« in der Hand habe, sei es unmöglich. Schließlich wurden wir einig. Es war Mitternacht, als der prächtige Bracke sich über das in der Wirtsstube stehende Billard streckte, um auf demselben den Aufruf niederzuschreiben, für den alsdann Unterschriften für die Einberufung eines Kongresses gesammelt werden