Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik. Stefan Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Fischer
Издательство: Bookwire
Серия: Forum Exegese und Hochschuldidaktik: Verstehen von Anfang an (VvAa)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000515
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Selbstmanagement), Lösungen entwickeln (Hermeneutische Reflexion, Kreativität), Beziehung gestalten (Beziehung und Empathie, Team- und Konfliktfähigkeit), Ergebnisse erbringen (Ziel- und Ergebnisorientierung; Planung und Organisation), Einfluss nehmen (Leitung, Auftritt und Repräsentation, Kommunikation),11 die während des Theologiestudiums und des Vikariats erworben werden sollen. Obwohl es eine Intiative des Konkordats gibt, das kirchliche und das universitäre Curriculum aufeinander abzustimmen,12 streben die Kompetenzorientierungen auseinander. Als universitäres Ziel für die bibelwissenschaftlichen Fächer wird angegeben: »Die biblisch-exegetischen Fächer befassen sich mit den Texten des Alten und Neuen Testamentes in den jeweiligen Ursprungssprachen, um die in den biblischen Texten enthaltenen Konzeptionen in literarischer, religionsgeschichtlicher und theologisch-hermeneutischer Hinsicht präzise beschreiben und analysieren zu können.«13 Wenn das Beschreiben und Analysieren von Konzeptionen die zu erwerbenden Kompetenzen sind, so schließt dieses zwar die hermeneutische Reflexion und eine Ziel- und Ergebnisorientierung ein, deutet aber zugleich auf ein Auseinanderklaffen der Interessen.

      Die mit dem Bologna-Prozess verbundene Kompetenzorientierung akademischer Lehre stellt sich unter den aktuellen Bedingungen an Universitäten und Hochschulen als besonders problematisch dar. Bedingt durch den Rückgang des Angebots beruflicher, nicht-akademischer Ausbildungsstellen, einer bildungspolitisch geförderten Erhöhung der Akademikerquote jedes Jahrgangs sowie in Deutschland durch die Doppelabiturjahrgänge verzeichnen die Universitäten derzeit ein erhöhtes Aufkommen an Studierenden, durch das die Fächer mit geringen Personalkapazitäten besonders betroffen sind.14 Ein solches Fach stellt auch die Ev. Theologie und mit ihr die Lehre des Alten und des Neuen Testaments dar. Ein auf die Förderung der für die theologische Lehre genannten Kompetenzfelder ausgerichtetes Studium erscheint unter diesen Bedingungen kaum mehr möglich. Dies gilt (in Deutschland) allerdings nur für die Studiengänge, in denen sich Studierende für das Lehramt in Regelschulen und Sonderschulen qualifizieren. Die Anzahl der Theologiestudierenden, die sich auf einen Dienst im Pfarramt vorbereiten, ist seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts rückläufig. In den letzten Jahren zeichnete sich eine leichte Veränderung ab, da die Studierendenzahlen mittlerweile stabil, für den zukünftigen Bedarf der Kirchen jedoch zu gering sind.

      Die unter den beschriebenen Bedingungen schwierigen Lehr- und Lernprozesse in den Bibelwissenschaften werden von einem weiteren, maßgeblichen Aspekt bestimmt. Die in früheren Generationen durch das Sprachenstudium in humanistischen Gymnasien schon vor dem Studium vorhandene Kenntnis biblischer Ursprachen sowie die durch die Teilnahme an Kinder- und Schulgottesdiensten, Schul- und Konfirmandenunterricht sowie sonstigen gemeindlichen Angeboten, in denen Kinder und Jugendliche mit biblischen Erzählungen in Kontakt kamen und diese kennen lernten, bereits vor dem Studium erworbene Kenntnis der Texte des Alten und des Neuen Testaments sind bei vielen Studierenden kaum oder gar nicht mehr vorhanden. Dieser Verlust an Wissen über biblische Sprachen und Texte geht mit einer im Raum der Kirche verstärkt wahrnehmbaren Tendenz zur Indifferenz gegenüber den eigenen Traditionen und den mit ihnen verbundenen Bildungsgehalten einher. Die V. Studie der EKD zur Kirchenmitgliedschaft von 201415 zeigt, dass auch die in den Kirchen engagierten Menschen zunehmend weniger von den Grundlagen des Christentums wissen. Bereits die Hälfte aller in dieser Studie Befragten geben an, dass sie einer religiösen Sozialisation ihrer eigenen Kinder keine oder nur geringe Bedeutung zumessen.16 Dieser Trend lässt vermuten, dass das Wissen über die Inhalte biblischer Schriften weiter rückläufig sein wird. Gegenläufig ist zeitgleich zu beobachten, dass der Grad der Verbundenheit kirchlich engagierter Jugendlicher und junger Erwachsener zunimmt. Dies ist vor allem auf die Bindung der Einzelnen an die sich konstituierenden Klein- und Projektgruppen zurückzuführen. Es ist zu vermuten, dass aus der Gruppe dieser jungen Erwachsenen der Hauptanteil aller Theologie Studierenden entstammt. Dabei sind die Biografien weniger geradlinig und von einer Suche nach religiöser Identität bestimmt, die zum Theologiestudium und oftmals auch zur Institution Kirche führt.

      Das hohe Engagement dieser Gruppe wirkt sich, so die Erfahrung vieler an den Universitäten Lehrender, nicht auf eine breitere Kenntnis biblischer Texte und kirchlicher Auslegungstraditionen aus.17 Dies mag damit zu tun haben, dass religiöse Kommunikation zumeist auf der Ebene eines existenziell-religiösen Austausches zwischen Wahlverwandten und/oder engsten Vertrauten stattfindet.18 Die informativ-intellektuelle Dimension von Religion tritt als Teil christlicher Sozialisation hingegen zunehmend in den Hintergrund, so dass Wissen über den Inhalt und die Kontexte biblischer Schriften im Bereich kirchlich-religiösen Lebens immer seltener Gegenstand des Austausches sind. Als kirchliches Engagement wird vor allem die Übernahme von Leitungsaufgaben sowie die Mitwirkung in Gottesdiensten, in Chören oder Musikgruppen verstanden, die zu regelmäßiger oder projektbezogener Mitarbeit in der Kirchengemeinde führen. Teilnahme am kirchlichen Leben bekommt also verstärkt eine soziale Bedeutung, durch die die informativ-intellektuelle Dimension nicht gefördert bzw. weiter in den Hintergrund gerückt wird. Dieses Verständnis von Christentum und seiner Praxis bringen viele Studierende an die Universitäten und Hochschulen mit. Es kann dazu führen, dass sie Mühe haben, den Wert der informativ-intellektuellen Dimension von Religion als Voraussetzung ihrer späteren Berufspraxis zu erkennen und sich darauf einzulassen. Dabei wird eben diese Dimension für diejenigen, die sich heute für eine auf dem Theologiestudium basierende Tätigkeit qualifizieren, entscheidend werden. Diesbezüglich zeigt die V. Studie der EKD zur Kirchenmitgliedschaft, dass die Verschiebung des Religiösen in eine private Frömmigkeit dazu führt, dass sich Gläubige in zunehmendem Maße als »Akteure religiöser Kommunikation«19 verstehen, die die Qualität des Angebots kirchlichen und schulischen Handelns einschätzen. »Selbstbewusste Akteure werden zunehmend anspruchsvoll nach inhaltlich überzeugenden, persönlich zugewandten und sorgfältig inszenierten Angeboten«20 fragen. Hier weiß die Theologin/der Theologe nur dann zu überzeugen, wenn er einen sicheren Umgang mit den Gehalten der biblischen Schriften und mit den Auslegungsansätzen dieser Traditionen verfügt, um diese in qualitativ hochwertige Vermittlungsprozesse umsetzen zu können. Dies kann nur dann gelingen, wenn ein reflektierter und gefestigter Umgang mit Inhalten und Denkmustern gegeben ist.

      Dieser im Raum der Kirche erkennbare Trend geringer werdenden Wissens der Inhalte biblischer Schriften ist in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung eingebunden, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Seit den Nachkriegsjahren verlieren die für das Gemeinschaftswesen wichtigen Institutionen wie politische Parteien, Gewerkschaften und Kirchen zunehmend an Akzeptanz in der Bevölkerung, was zu hohen Rückgängen der Mitgliederzahlen führt. Nicht nur bezüglich religiöser Fragestellungen lässt sich also ein Rückzug in das Private beobachten, auch (sozial-)politisch fand und findet er statt. Diese Tendenz wurde und wird nur temporär unterbrochen. Bezogen auf eine öffentliche Wahrnehmung von Religion stellt der 11. September 2001 mit seinen Ereignissen ein entscheidendes Datum dar. Doch auch wenn Religion und die mit ihr verbundenen Ansichten und Verhaltensweisen ein mediales Thema wurde, änderte die öffentliche Auseinandersetzung mit den abrahamitischen Religionen wenig in Bezug auf das in der deutschen Gesellschaft verbreitete Wissen über die Grundlagentexte dieser drei Religionen. Die mediale Berichterstattung wendet sich weitgehend nur den Auswirkungen des religiösen Fundamentalismus zu. Die Suche nach seinen Ursachen bleibt auf aktuelle soziale Gegebenheiten der europäischen und orientalischen Kulturen beschränkt. Religiöse Botschaften werden als Mittel zur Manipulation dargestellt, mit denen Jugendliche, die in sozial schwierigen Situationen aufwuchsen, verführt werden. Religion wird in der deutschsprachigen Berichterstattung so entweder als Mittel zur Radikalisierung oder als politische Ideologie verstanden und vermittelt. Ein differenziertes Wissen über die Traditionen der abrahamitischen Religionen, ihren Ursprüngen und den Auslegungstraditionen ihrer Grundlagentexte würde sicherlich ein gesamtgesellschaftlich differenzierteres Bild entstehen lassen. Ein solcher Umgang ist gerade angesichts der gegenwärtigen Einwanderung von Flüchtlingen angebracht. Die wachsende Bedeutung des Studienfaches Religionswissenschaft könnte dieser Entwicklung Rechnung tragen, aber auch alle in den Bibelwissenschaften Lehrenden stehen hier vor einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.

      Schließlich wirken sich Trends der Medialisierung der Gesellschaft auf die universitären Lehr-/Lernprozesse auf zwei Ebenen aus: Jugendliche und junge Erwachsene lesen zunehmend weniger in Printmedien. Informationsaufnahme erfolgt vermehrt über digitale Medien, die eine Kombination von kurzen Texten sowie von Bild- und Filmsequenzen anbieten. Dies führt