Poesía Visual im Spanischunterricht. Dr. Victoria del Valle Luque. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Victoria del Valle Luque
Издательство: Bookwire
Серия: Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300700
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u. a. Clausen 1984; Eco 1972; Weiss 1984). Selbstverständlich verfügt Sprache bereits in ihrer grafischen Darstellung über einen ikonischen Charakter (womit sich beispielsweise die Typografie befasst). Auch birgt das Bild symbolische Zeichen (Farben, Formen etc.), die dementsprechend symbolisch entschlüsselt werden müssen. Eine strikte Beschränkung ikonischer Zeichen auf das Medium Bild und symbolischer Zeichen auf Schrift ist nicht zweifelsfrei möglich. Die Grenzen werden als fließend definiert (vgl. Eco 1972, 216 f.).

      1.5 Typen von poemas visuales

      Morales Prado (2004, 11 ff.) schlägt neun tipos de poesía experimental vor, die von Maria Ángeles Hermosilla (2013, 27 ff.) übernommen und im Hinblick auf das Visuelle, “la imagen en el experimentalismo español actual” (ebd., 23), respektive die Poesía Visual auf vier Grundtypen reduziert werden. Hermosilla beschränkt sich mit ihrer Typologie auf die letzten dreißig Jahre (vgl. ebd., 27). In Anlehnung daran werden nachfolgend vier Typen von poemas visuales beschrieben und anhand von Beispielen veranschaulicht.

      An zwei Stellen habe ich die Typologie von Hermosilla modifiziert: Erstens bezeichne ich den Typ „poema concreto“ (ebd., 31) als poema concreto-visual (nach Fernández Serrato 1995b). Dadurch wird einerseits die Visualität im Begriff unterstrichen und andererseits Missverständnissen ausgewichen. Zweitens habe ich den Typ „poema objeto y otras modalidades experimentales“ (ebd., 37), der neben Objektgedichten andere experimentelle Formen (wie beispielsweise el happening, la poesía acción, la videopoesía etc.) zusammenfasst, auf das poema objeto beschränkt. Aufgrund der unscharfen Beziehung zur Poesía Visual bleiben die erwähnten weiteren experimentellen Formen im Folgenden ausgespart.

      Die einzelnen Typen sind als Tendenzen zu verstehen und daher nicht klar voneinander abzugrenzen. Mischformen sind die Regel.

      1.5.1 Poema letrista

      Bezugnehmend auf die dadaistische, von Isidore Idou gegründete Bewegung lettrisme (frz. von lettre) hat diese Gedichtform den autonomen, isolierten Buchstaben zum Gegenstand (vgl. van den Berg/Fähnders 2009, 191). Lettrismus wird von Idou beschrieben als „el arte que acepta la materia de las letras reducidas y convertidas simplemente en ellas mismas para vaciarlas en un molde de obras coherentes“ (zit. in Millán/García Sánchez 2005 [1975], 21; Hervorhebung v. d. Verf.). Der Buchstabe hat neben seiner phonetischen auch eine grafisch-visuelle Seite, die vornehmlich im poema visual letrista zum Ausdruck kommt. Die grafische Dimension der letras ist hier insofern ausschlaggebend, als weder die phonetische Entsprechung der Buchstaben übermittelt, noch eine lineare Textkonstruktion verfolgt wird. Der Buchstabe wird somit nicht nur isoliert, sondern visuell selbstverwirklicht und von seiner schriftsymbolischen Funktion befreit. Dabei können die verwendeten Buchstaben durch weitere Bildelemente (wie etwa Piktogramme, Fotos, Zeichnungen etc.) ergänzt werden (vgl. van den Berg/Fähnders 2009, 191). Auch wenn der befreite Buchstabe Gegenstand des Gedichtes ist, so können – oft unbewusst - schriftsymbolische Funktionen (wie z. B. Anordnung im Alphabet, Klein- oder Großschreibung, bestimmte kulturell konnotierte Buchstaben, etc.) oder phonetische Aspekte (Laute, Lautfolgen etc.) vom Leser nicht völlig ausgeblendet werden, was oft zu kontroversen Interpretationen führt (vgl. Morales Prado 2004, 12).

      Ein Beispiel für ein poema visual letrista ist das folgende Gedicht von Julián Alonso (1994) (Abbildung 4).

      Abbildung 4.

      Uves migratorias (1994), Julián Alonso, in: López Gradolí 2007, 35.

      Der Buchstabe V wird einundzwanzigmal pyramidenartig so platziert, dass die dreieckige pfeilartige Form des Buchstabens sich in der geometrischen Gruppierung widerspiegelt. Das Gedicht hebt daher insbesondere die grafische Form des Buchstabens V hervor. Daneben bestätigt der Titel22 Uves migratorias die Annahme, dass es sich um die Darstellung eines Vogelschwarms handelt. Die phonetische Nähe von uves zu aves lässt zudem das Sprachspiel uves migratorias anstatt aves migratorias zu und vervollständigt auf raffinierte Weise die grafische Darstellung eines Zugvogelschwarms, bestehend aus uves.

      1.5.2 Poema concreto-visual

      In diesem Typus werden Wörter und Begriffe aus einem Bedeutungszusammenhang befreit und visuell in Szene gesetzt – „[la] palabra se independiza de la frase“ (Hermosilla 2013, 31) – und mit Blick auf ihre Bedeutung beziehungsweise ihre Bedeutungen grafisch-visuell gestaltet oder mit Bildelementen versetzt. Die grafischen und bildlichen Zusätze stehen semantisch in direktem Zusammenhang mit dem Begriff. Das poema concreto-visual trägt nur in seltenen Fällen einen Titel, der von dem im Gedicht dargestellten und thematisierten Wort abweicht. Hauptbestandteil und Gegenstand ist das Graphem eines Wortes. Die Bezeichnung lehnt sich an die Konkrete Poesie an.

      Das folgende Gedicht (Abbildung 5) veranschaulicht beispielhaft die beschriebene Charakteristik.

      Abbildung 5.

      Obsesión (2003), Maite Díaz Fernández, in: Diputación Badajoz 2003, o.S.

      Das Wort obsesión ist in verschiedenen Größen unzählige Male übereinander abgedruckt, sodass es teilweise unlesbar und nur als schwarze Drucktinte erscheint. Die Verbindung zwischen dem visuell dargestellten Wort (signifiant) und dessen Bedeutung (signifié) wird im Gedicht deutlich. Die Besessenheit (obsesión) des lyrischen Ichs kommt durch die grafische Darstellung des Wortes, das wie verbissen und fanatisch unendlich oft über- und aufeinander getippt (oder gestempelt) wurde, zum Ausdruck.

      1.5.3 Poema semiótico

      Weniger solche Zeichen des Alphabets als solche, die aus ikonischen Elementen bestehen, sind die Hauptbestandteile der poesía semiótica. Jedes ikonische Zeichen – Zeichnungen, Gemälde, Fotografien, Piktogramme (wie etwa Verkehrszeichen) – kann zur Vermittlung der poetischen Botschaft verwendet werden. Die Bezeichnung semiótica, so Morales Prado, weise bewusst auf Semiologie und Semiotik und soll die visuell stark verschlüsselte Botschaft im poema zum Ausdruck bringen (vgl. Morales Prado 2004, 13). Die bildlichen Elemente müssen als Zeichen gelesen werden. Meist sind diese unkonventionell zusammengestellt, was im Titel oftmals aufgegriffen und symbolschriftlich erklärt wird. Der Titel spielt bei diesen Gedichten eine zentrale Rolle. Allerdings sind poemas semióticos nicht zwingend mit einem Titel versehen. Hauptbestandteile und Gegenstand von poemas semióticos sind ikonische Zeichen.

      Anhand des Gedichts Sentimiento de culpa (Abbildung 6) lässt sich das poema semiótico beispielhaft veranschaulichen.

      Abbildung 6.

      Sentimiento de culpa (2007), Claudia Quade Frau, in: Diputación Badajoz 2007, 10.

      Auf einem schwarzen Hintergrund mit abgerundeten Ecken ist in einem weißen Viereck, einem Verkehrsschild zum Verwechseln ähnlich, eine Tanksäule abgebildet, die das Zapfventil (aufgrund der Ähnlichkeit umgangssprachlich auch Zapfpistole genannt) wie eine Pistole gegen sich richtet. Wenn die Zapfsäule als Illustration einer menschlichen Figur gedeutet wird, hält sie das Zapfventil (die Pistole) in Kopfhöhe gegen die Schläfe. Es entsteht der Eindruck, die Zapfsäule wolle Suizid begehen. Im Titel ist das Motiv benannt, das die Zapfsäule zum Suizid bewegt: Schuldgefühle. Möglich ist, dass dieses Gedicht aus Sicht des Kraftstoffspenders (der Tanksäule) die weltweiten politischen Konflikte um den Ölmarkt thematisiert.

      1.5.4 Poema objeto

      Im Gegensatz zu den drei oben vorgestellten Typen, die sich auf Papier zweidimensional präsentieren, werden im poema objeto Objekte, meist dekontextualisierte Alltagsgegenstände, kombiniert mit anderen plastischen Stoffen poetisch und