1.3 Die Untersuchung des mehrsprachigen Gehirns
Kees de Bot (übersetzt von Simone Lackerbauer)
Im 18. und 19. Jahrhundert haben Hirnforscher mit der Beschreibung unterschiedlicher Fälle begonnen, bei denen Schäden in bestimmten Gehirnarealen zu sehr spezifischen Sprachdefiziten führen können. Wie bereits in Einheit 1.2 erwähnt, waren die frühen anatomisch-klinischen Beobachtungen insofern bahnbrechend, da sie die speziellen Regionen für Sprachproduktion (Broca-Areal) und Verständnis (Wernicke-Areal) sichtbar machten. Leider war es den Forschern aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Verfahren nur auf dem Autopsie-Tisch möglich, die Stellen der Gehirnläsionen zu untersuchen, d. h. erst nach dem Tod der Patienten und Patientinnen. Erst in den frühen 1970er Jahren sind bildgebende Verfahren entwickelt worden, die es Forschern ermöglichen, bestimmte Gehirnareale mit ihren Funktionen in Verbindung zu setzen, indem sie Bilder vom lebendigen Gehirn machen. Dabei wird zwischen struktureller und funktioneller Bildgebung unterschieden.
Lernziele
In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie
die Unterschiede zwischen den verschiedenen bildgebenden Verfahren erklären können;
die grundlegenden Unterschiede zwischen der Verarbeitung der L1 und der L2 in Bezug auf die Struktur und die elektrische Aktivität des Gehirns aufzeigen können.
1.3.1 Die Untersuchung anatomischer Unterschiede mittels struktureller Bildgebung
Die ersten Neuroimaging-Studien verwendeten Verfahren der strukturellen Bildgebungstrukturelle Bildgebung, um die anatomische Struktur des Gehirns zu untersuchen und so mögliche strukturelle Abweichungen aufgrund von Tumoren zu diagnostizieren. Die ComputertomographieComputertomographie (CT) (CT) oder die computerisierte axiale Tomographie (CAT) werden zu diesem Zweck immer noch häufig verwendet: Sie stellen eine recht schnelle und (meist) nichtinvasive Möglichkeit dar, scheibenweise oder in manchen Fällen dreidimensionale Bilder des Gehirns zu produzieren. Mithilfe dieser Technik werden die konventionellen Röntgenbilder aus vielen verschiedenen Perspektiven kombiniert und zu Querschnittsansichten des Gehirns (oder des Körpers) zusammengefügt. Jedes Querschnittsbild steht für eine Scheibe und es kann digital eine Scheibe des Gehirns wie eine Scheibe Brot abgeschnitten werden, um hineinzusehen und die Struktur zu untersuchen (vergleiche Abbildung 1.4).
Abbildung 1.4:
CT-Scan (Kurowski, Blumstein & Alexander 1996: 7)
Der Proband, der gescannt werden soll, muss sich dafür auf einen horizontal fahrenden Tisch legen. Der liegende Körper wird daraufhin durch einen Detektorring geführt, der wie ein riesengroßer Donut aussieht. In diesem rotierenden Ring befindet sich auf der einen Seite eine Röntgenröhre und auf der anderen Seite ein Detektor. Während der Ring sich um den Kopf des Probanden beziehungsweise der Probandin bewegt, durchdringen die Röntgenstrahlen den Kopf des Probanden beziehungsweise der Probandin und erstellen dabei Bilder. Scans mittels eines Computertomographen funktionieren genauso wie konventionelle Röntgenmaschinen. Die meisten Menschen sind mit Röntgenbildern des Körpers vertraut, auf denen die Organe in Grautönen und die Knochen in mehr oder weniger opakem Weiß dargestellt sind. Das liegt daran, dass die verschiedenen Gewebearten die Röntgenstrahlen unterschiedlich stark absorbieren. Knochen absorbieren ziemlich viele Röntgenstrahlen, wohingegen Gewebe mit geringer Dichte, beispielsweise Organe, weniger Strahlung in sich aufnehmen, da eine große Menge der Strahlung diese Art von Gewebe einfach durchdringt. Auf Röntgen- und CT-Scans wird Gewebe mit hoher Dichte weiß dargestellt, Gewebe mit geringer Dichte in Grautönen und Luft ist schwarz. Gesundes Gehirngewebe sieht auf einem CT-Scan grau aus, wohingegen ein Gehirntumor oder eine stark erhöhte Blutmenge aufgrund einer Gehirnblutung normalerweise als weißes Areal auf dem CT-Scan auftaucht. Gehirnläsionen und Schlaganfälle führen hingegen zur Abnahme oder sogar zum Verlust von Gewebe. Deshalb erscheinen sie auf einem CT-Scan dunkler als gesundes Gehirngewebe.
Ein ähnliches, aber detaillierteres anatomisches Bild können wir mithilfe der Aufnahmen aus der Magnetresonanztomographie (MRT oder auch MRI) erhalten. Ein Magnetresonanztomograph ähnelt dem Computertomographen insoweit, als dass auch er aus einer horizontalen Röhre besteht, in der der Patient oder die Patientin still liegt, während das Bild angefertigt wird. Anders als bei CT-Scans ist die Röhre des MRI-Scanners oft ziemlich eng; das kann für Menschen unbehaglich werden, die unter Klaustrophobie leiden. M#RI-Scanner verwenden keine Röntgenstrahlen, sondern stattdessen Magnetismus, um ein dreidimensionales Bild vom lebenden Gehirn zu erstellen. Der Ring des MRI-Scanners beherbergt einen sehr starken Magneten. Deshalb dürfen sich Personen nicht in der Nähe der Maschine aufhalten, wenn sie metallische Objekte bei sich tragen oder sich metallische Objekte in ihrem Körper befinden.
Der Magnet des Magnetresonanztomographen ist in der Lage, ein sehr starkes und stabiles magnetisches Feld von 0,5 bis 2,0 Tesla zu erzeugen (zum Vergleich: Das magnetische Feld der Erde hat nur ungefähr 50 Mikrotesla). Im Gehirn befinden sich Atome, die sich an dem magnetischen Feld ausrichten. Der Magnetresonanztomograph zielt mit Impulsen von Radiowellen auf das Gehirn und sorgt dafür, dass die Atome zeitweise durcheinandergeraten. Während sich die Atome neu ausrichten, geben sie Radiowellen ab, die aufgegriffen werden können, um daraus ein anatomisches Querschnittsbild zu erstellen.
Eine typische MRI-Untersuchung ist für Patienten und Patientinnen weniger angenehm als ein CT-Scan. Dem Patienten oder der Patientin werden nicht nur alle metallischen Objekte entfernt, die er oder sie bei sich trägt. Er oder sie wird zusätzlich den eher lästigen und lauten Geräuschen während einer MRI-Untersuchung ausgesetzt, während er oder sie eine Stunde oder länger möglichst regungslos liegen muss. Trotzdem ziehen die meisten Neurologen und Neurologinnen die Magnetresonanztomographie der Computertomographie vor: Die Kontrastierung ist bei CT-Scans eingeschränkt und die Patienten und Patientinnen sind während eines CT-Scans einer größeren Strahlungsmenge ausgesetzt. Magnetresonanztomographie wird als die beste Methode dafür bezeichnet, wie in ein Gehirn oder einen Körper hineingesehen werden kann, ohne ihn aufschneiden zu müssen, denn die Magnetresonanztomographie kann zusätzlich den Unterschied zwischen grauer und weißer Substanz sichtbar machen. Graue Substanz besteht hauptsächlich aus Zellkörpern und wird größtenteils mit der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen assoziiert. Weiße Substanz besteht hauptsächlich aus Nervenfasern (Axone). Sie sind von weißem Myelin bedeckt, das der Isolierung dient. Weiße Substanz ist deshalb hauptsächlich dafür zuständig, Signale von einer Gehirnregion in eine andere zu übertragen.
In der Sprachforschung wird die strukturelle Bildgebung dazu verwendet, Gehirnstrukturen und Regionen zu lokalisieren, die Sprachfunktionen unterstützen. In einer typischen Studie werden unter Verwendung der strukturellen Bildgebung die Gehirnstrukturen (graue oder weiße Substanz) von unterschiedlichen Personengruppen verglichen, um herauszufinden, ob die jeweilige Gehirnstruktur mit Sprachfähigkeiten in Zusammenhang gebracht werden kann (Richardson & Price 2009). Mechelli, Grinion, Noppeney, O’Doherty, Ashburner, Frackowiak & Price (2004) untersuchten die Gehirne von mehrsprachigen Personen in einer voxel-basierten Morphologie-Studie. Sie haben eine Gruppe einsprachiger Probanden und Probandinnen mit einer Gruppe früher bilingualer Personen (Beginn des L2-Erwerbs mit weniger als fünf Jahren) und einer Gruppe später bilingualer Personen (Beginn des L2-Erwerbs zwischen zehn und 15 Jahren) verglichen. Ein zusätzliches Kriterium war, dass die erste Vergleichsgruppe die Sprache regelmäßig seit dem Erlernen verwendeten, wohingegen die späten Lerner die Sprache nur während der letzten fünf Jahre regelmäßig verwendet haben. In dem Forschungsbericht werden keine Informationen zur Art oder Häufigkeit der Verwendung oder zu den möglichen Auswirkungen von Unterschieden zwischen der L1 und der L2 erörtert. Doch die Ergebnisse dieser ersten Studie zeigen eine höhere Dichte der grauen Substanz im inferioren Parietalkortex bei den bilingualen im Vergleich zu den monolingualen Personen. Dieser Effekt ist bei den frühen