Da erinnerte sich Ayla, dass ihr Vater seinen jüngeren Bruder, der im Dorf geblieben war, einmal als einen bezeichnet hatte, der das moderne Leben nicht kannte, weil er nie weit gereist war.
«Rechnunglar icin»
Integrieren im Fachhandel
Ich ging in ein Computergeschäft. Kaum trat ich über die Türschwelle, kam mir ein junger, stämmiger Verkäufer entgegen und begrüsste mich überschwänglich. Schon als ich auf sein Namensschild mit dem türkischen Namen darauf sah, fragte er, ob ich ein Türke sei. Ich sagte, dass ich Türkisch könne. Der Geschäftsleiter würde es sehr schätzen, wenn man den Kunden in seiner Muttersprache bediene, sagte er und fragte höflich, ob er mit mir Türkisch sprechen dürfe. Selbstverständlich, sagte ich. Er legte die Handfläche auf einen Computer, streichelte den Apparat: «Bu Compüter süper. Aber biraz teuer. Siz Grafikkarte ve Videoschnitt und sozeugs yaparsaniz, isch nöd mega guet.»
Ich sagte ihm, dass ich nur die Textverarbeitung bedienen könne, dass ich schon deshalb nicht einen teuren Apparat zu kaufen brauche, worauf der Verkäufer mir vorschlug, dass ich doch «Migros-Clubschule de Kurs bsueche» könne. Darauf sprach er wie ein Lehrer, betonte jedes Wort: «Compi lernen isch hützutag ein Muss, weil wir in Compiziit yasiyoruz.» Ich bestätigte seine Diagnose nur mit einem Kopfnicken.
Er drehte noch eine Runde durch die Regale, summte etwas vor sich hin und blieb bei einem anderen Computer stehen. Er nahm ein Gerät in die Hand, stellte es auf den Tisch, schaltete es ein, sprach weiter. Er bot mir sogar einen Kaffee an, den ich aber dankend ablehnte. Den Kunden Kaffee anzubieten, das habe er im Geschäft eingeführt, bemerkte er mit nicht wenig Stolz. Ich sagte, dass das gut für die Kundenbindung sei. Er kam auf den Computer zurück:
«Şu yeni Compüterler billig, aber mega çok sey var druf. Zum Bispil: Skype var, telefon gratis yapiyorsun Türkiye ile. Microsoft Frontpage ile Internetseiteni umändere yapiyorsun. Microsoft Powerpoint ile zum Bispil bir Vortragi an die Wand gösteriyorsun. Microsoft Outlook ile emaillerini abrufe yapiyorsun. Microsoft Excel isch mega super Rechnunglar icin.»
Ich fand Gefallen an seinem helvetischen Türkisch und sagte meinem Landsmann, ich stamme ursprünglich aus einem Dorf, sei auch deshalb in dieser Techniksprache nicht besonders gut. Diese Begriffe auf Deutsch zu hören sei für mich wie Kreuzworträtsel in einer mir unbekannten Sprache zu lösen. Ob er mir denn erklären könne, was «Frontpage» auf Türkisch heisse. Ich doppelte nach, dass ich wirklich am Kauf interessiert sei, und anstatt von einem anderen würde ich mich lieber bei einem freundlichen Landsmann, wie er einer sei, beraten lassen.
Zuerst bedankte er sich für das entgegengebrachte Vertrauen. Dann stöhnte er laut, kratzte sich einen kurzen Moment an der Schläfe. Moment mal, rief er plötzlich aus, er rufe einen türkischen Arkadas an, der baska Filiale de Geschäftsführer sei. Er holte sein iPhone aus der Hosentasche, wählte die Nummer. Hier gebe ich sein kurzes Telefongespräch eins zu eins wieder:
«Hoi Murat, da isch Burak. Weisch, bizim huära Filialleiter mit den Chunde Muttersprache rede istiyor. Simdi bir Landsmann da, voll nöd integriert! Stell dir das vor, hey Mann! Er verstoht keis Wort Dütsch! Frontpage nedir diyor auf Türkisch. Wie chan ich ihm das erkläre? Säg mir wie?!»
Was der Kollege ihm darauf drei Minuten lang am Telefon erzählt hat, weiss ich nicht. Mir sagte der Verkäufer, dass sein Landsmann gesagt habe, in der ganzen Schweiz könne überhaupt niemand dieses Wort auf Türkisch sagen. Ich könne den Compi kaufen, und er werde mir die türkische Übersetzung des Wortes irgendwann per E-Mail schicken.
DönerBox yiyecegiz
Die Wette am Gymnasium
Ich las an einer Kantonsschule aus meinen Texten. Unter den dreissig Schülern war einer mit türkisch klingendem Namen. Über diesen einzigen Namen war ich so erfreut, als hätte mir jemand an diesem Vormittag einen Goldtaler geschenkt.
Unter meinen Texten war einer über eine Begegnung mit einem jungen Computerverkäufer: Ich war in einem Computergeschäft, und der türkischstämmige Verkäufer wollte mich auf Türkisch beraten, wie es ihm sein Chef empfohlen hatte. Von allen Wörtern in seinem Türkisch waren aber mehr als die Hälfte deutsch.
Der Kantonsschüler mit dem türkischen Namen hörte sehr aufmerksam zu, und bei diesem Text über den Verkäufer lachte er viel, schüttelte den Kopf und rief mehrmals laut: «So eine Hors-Sol-Gurke!» Gemeint war nicht ich, sondern der Computerverkäufer.
Nach der Veranstaltung kam er sofort zu mir, stellte sich als Nazim vor. Ich nahm an, dass seine Eltern Bewunderer des weltbekannten Dichters Nazim Hikmet waren. Seine Mutter sei eine georgisch-stämmige Türkin, berichtete er, sein Vater zu drei Viertel Kurde. Ich fragte den jungen Nazim, was er sei.
«Ich bin … hä? … was bin ich?», sagte er stockend.
Der junge Nazim sagte, er habe alle Gedichte des Dichters Nazim gelesen, und behauptete, dass er besser Türkisch könne als der Verkäufer in meinem Text. Ich erwiderte, dass ich ihm erst glauben würde, wenn wir das überprüft hätten.
Wir sassen in der Mensa, zusammen mit seiner Freundin Jacqueline und zwei weiteren Kollegen, und schlossen eine Wette ab: Wenn Nazim in seinem Türkisch weniger deutsche Worte verwende als der Verkäufer im Text, also weniger als fünfzig Prozent, würde ich ihn und seine drei Begleiter bei Ferhad zu einer DönerBox einladen. Wenn ich die Wette gewinnen würde, müsse Nazim für mich einen zweiseitigen deutschen Text auf die Grammatikfehler prüfen.
Die Aufgabe Nazims war sehr einfach, was auch er so empfand. Er sollte seiner Mutter am Telefon erzählen, was er heute in der Schule erlebt hatte. Als er sein Telefon aus dem Rucksack holte, jubelten seine Freunde Nazim zu wie Fans einer Fussballmanschaft. Jacqueline würde den Bericht von Nazim mit ihrem iPhone aufnehmen, zur Überprüfung.
Nazim trank einen Schluck aus seiner Flasche, hustete zwei Mal, rief die Mutter an, nachdem er die Kollegen ermahnt hatte, sie dürften nicht lachen, sonst gerate er durcheinander, und sie alle würden die Wette verlieren.
«Anne, bugün bizim Schuleye bir Autor geldi. Buchlarindan ve Textlerinden vorlese yapti. Dötte isch öppis u luschtigs debii. Bir Verchäufer, so en depp! O Autor var ya. Compüter kaufe yapacak. De Depp onu berate yapiyor Türkce. Cok cok dütsch Wörter katiyor. Mischlet wie Ayran! (Da lachten er und seine Freunde laut.) Ve FrontPage nedir Türkce bilmiyor. FrontPage isch FrontPage! Egal ob Türkisch oder Chinesisch. Biz bir Wette yapiyoruz. Wenn i gewinne, DönerBox yiyecegiz arkadaslarim ile. Denn chume ii nit znacht.»
Jacqueline transkribierte die Aufzeichnung geschwind auf ein Papier, und wir zählten die Wörter. Tatsächlich waren von den fünfundsiebzig Wörtern siebenunddreissig auf Deutsch und siebenunddreissig auf Türkisch gesagt worden. Der Stichentscheid fiel dem Begriff DönerBox zu. Da die Gymnasiasten sich auch nach langer Diskussion nicht einig waren, welcher Sprache dieses Wort zuzuordnen war, endete unser Duell unentschieden. Ferhads DönerBox aber schmeckte ihnen hervorragend.
Wohnung zu vermieten
Von Schweizer Tugenden
So stand es im Inserat: «Wohnung zu vermieten an Schweizer, Nichtraucher, ruhiger Mensch, arbeitstätig, Einzelperson, keine Haustiere, keine Kinder, der Parkplatz vor dem Zweifamilienhaus kann separat gemietet werden, gedeckter Velostand neben dem Haus, Gartenmitbenutzung nur mittwochs.»
Da das Inserat sehr gut gestaltet war, vermutete ich die Handschrift einer Person mit hervorragenden Grafikkenntnissen dahinter. Beispielsweise war das Wort «Schweizer» fett und in grösserer Schrift gedruckt, Velostand kleiner und kursiv und Gartenmitbenutzung in hellgrüner Farbe.
Dieser Anschlag in einem Einkaufszentrum, den ich im Vorbeigehen zufällig sah, machte mich an jenem Samstagmorgen neugierig, sodass ich mich auf der Stelle entschied, mit dem Inserenten Kontakt aufzunehmen, obwohl ich keine Wohnung suchte. Noch bevor ich meine Einkäufe ausgepackt hatte, schrieb ich zu Hause dem Inserenten eine Mail, dass ich als