Conny Bischofberger:
Eisschwimmen
Alle Rechte vorbehalten
© 2021 edition a, Wien
Cover: Valeriya Gridneva
Satz: Isabella Starowicz
Korrektorat: Maria Fatoba
Gesetzt in der Garamond
Gedruckt in Österreich
1 2 3 4 5 — 25 24 23 22 21
ISBN 978-3-99001-544-5
eISBN 978-3-99001-545-2
Conny Bischofberger
EISSCHWIMMEN
Roman
»Es sind zwei Spiegel notwendig, um ein vollständiges Bild von sich zu bekommen.«
– Patricia Highsmith
Inhalt
1
Das war wieder eine grandiose Idee von ihr gewesen, im zu Ende gehenden Sommer auf eine einsame Schäreninsel vor der schwedischen Westküste zu fliegen. Schon im Flixbus vom Flughafen Landvetter ins Stadtzentrum von Göteborg stellten sich bei Isabella erste Zweifel ein. Wie immer, wenn sie sich, überwältigt von Übermut, etwas vollkommen Verrücktes ausgedacht hatte. Fünf Länder wollte sie diesmal in zwölf Tagen bereisen. Auf und davon, als müsste sie das irrwitzige Tempo ihres Berufs auch während einer Auszeit aufrechterhalten. Von den Schären nach Südengland, von London ins Baskenland, über San Sebastián nach Biarritz und schließlich vom 800 Kilometer entfernten Porto zurück nach Wien. Ihrer Freundin Kathi war schon bei der Vorstellung schlecht geworden. »Wie kannst du dich da erholen?«, hatte sie besorgt gefragt. Die Psychologin fuhr im Sommer seit Jahrzehnten in dasselbe bewährte Hotel an der Riviera, wo sie unter einem Sonnenschirm im Liegestuhl vor sich hindöste und an den späten Nachmittagen nach dem Genuss mehrerer Cocktails shoppen ging. Einen gemeinsamen Urlaub hatten sie deshalb immer vermieden. Isabella sah Urlaub nicht als Flucht vor dem Alltag. Sie konnte mit dem viel strapazierten Begriff der Work-Life-Balance nichts anfangen. Sie machte keinen Unterschied zwischen ihrer Arbeit und dem Leben. Sie lebte durch ihre Arbeit, sie schöpfte Energie aus Bewegung, sie wollte nicht zur Ruhe oder in Balance kommen, die Unruhe faszinierte sie weitaus mehr.
Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, die sie vor ihrem Abflug interviewt hatte, wäre not amused gewesen. Es sei eine Frage des persönlichen Verantwortungsgefühls, ob man noch herumjette, als sei nichts geschehen, hatte die renommierte Wissenschafterin im Gespräch mit der Journalistin Isabella Mahler einem Millionenpublikum erklärt. Und dass die Hitze die Menschen letztlich umbringen werde, wenn nicht alle – Politik, Wirtschaft, jede und jeder Einzelne – konsequent handeln würden. Jetzt.
»Für diese Erkenntnis brauch ich keinen Klimaforscher«, spöttelte Thomas Prinz auf WhatsApp, nachdem sie ihm den Teaser für die Story zur Voransicht geschickt hatte, »in 4,9 Milliarden Jahren macht’s ein letztes Mal zisch, und die Erde ist weg.« Dazu ein Zwinker-Smiley. Ihr bester Freund machte kein Hehl daraus, ein genderverachtender Zyniker zu sein. Diese zweifelhaften, seiner Meinung nach jedoch durchaus nützlichen Charaktereigenschaften machte der Banker mit Charme und Humor wett. 28000 Klicks generierte Isabellas Ankündigung auf Twitter in 24 Stunden, in der Online-Ausgabe ihrer Tageszeitung war das Interview mit ein paar Hunderttausend Postings meistkommentiert.
Fröstelnd betrachtete Isabella das Baby, das neben ihr in der letzten Reihe auf dem Schoß seiner Mutter hin- und herwippte. Es sah vollkommen zufrieden aus. Von wegen Hitze, dachte sie und verdrängte den Gedanken an ihren ökologischen Fußabdruck. Sie öffnete den kleinen Samsonite und fischte die dünne, mitternachtsblaue Strickjacke aus dem Koffer. In Schweden war es deutlich kühler als in Österreich. Isabella blickte aus dem Fenster. Am blassroten Abendhimmel kroch hinter einer wuchtigen Wolkenformation der volle Mond hervor. 21.50 Uhr. Wenn sie Glück hatte, erreichte sie das vorletzte Schiff auf die südlichste Insel