Wieder stimmten sie zu, und diesmal klang es überzeugender.
Aber ich war noch nicht fertig. Sie mussten auch der von mir vorgeschlagenen Verhandlungsstrategie zustimmen inklusive dem zentralen Argument zur Abschreckung: der Drohung mit einem Schuldenschnitt bei den SMP-Anleihen und der Einrichtung eines parallelen Zahlungssystems, das uns Zeit kaufen würde, falls die Banken geschlossen werden sollten. Ich ging auch diese Punkte durch, und sie stimmten ebenfalls zu.
Dann kam mein letzter, dringlichster Punkt. »Wir werden nur dann eine anständige Vereinbarung bekommen, wenn wir uns einig sind, dass wir gegenüber der Troika nicht bluffen. Sind wir da einer Meinung?«
Dragasakis fragte, was ich meine. War das eine echte Frage oder taktische Amnesie? Egal, ich freute mich, dass ich den entscheidenden Punkt noch einmal wiederholen konnte, den Punkt, auf den ich seit unserer allerersten Begegnung Wert legte: »Es ist kein Bluff, eine Absichtserklärung abzugeben, wenn man die Absicht hat, sich daran zu halten, unabhängig davon, was die andere Seite tut.«
Alexis begriff: »Wir haben es verstanden. Du willst damit sagen, dass wir nicht unterschreiben, selbst wenn sie uns mit dem Grexit drohen. Richtig?«
Ich bestätigte, dass das genau mein Punkt sei: Es hatte keinen Sinn, in harte Verhandlungen mit den mächtigsten Kreditgebern der Welt zu gehen, wenn wir nicht eine tragfähige Vereinbarung innerhalb des Euro wollten, nichts taten, was eine solche Vereinbarung gefährden konnte, aber auch immer ganz klar vor Augen hatten, dass wir uns für den Grexit entscheiden würden, wenn wir nur die Wahl zwischen Unterwerfung unter eine verlängerte Bestrafung mit dem Schuldgefängnis und dem Grexit haben sollten.
»Sind wir uns in diesem Punkt einig?«, wiederholte ich meine Frage noch einmal.
»Das versteht sich von selbst«, erwiderte Alexis. Pappas stimmte enthusiastisch zu, Dragasakis sagte demonstrativ nichts, lächelte nur freundlich und müde. Wir hatten praktisch einen Pakt geschlossen.
Nun musste ich eine Entscheidung treffen.
Ja oder nein?
Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Vor mir lag ein Angebot, das ich ablehnen konnte. Die Risiken, wenn ich es annahm, waren klar und gewaltig. Ich mochte Alexis und wollte an ihn glauben, aber die Ereignisse des Jahres 2012 und, aktueller, seine beiläufige Missachtung unserer Steinschiff-Vereinbarung, mich in die Formulierung von Syrizas Programm von Thessaloniki einzubinden, hatten mir mehr als ausreichend Grund für Skepsis geliefert. Und wie Danae nach meiner Rückkehr nach Austin sagte: Sie konnten mich ausnutzen, weil ich entbehrlich war. »Wenn du einen anständigen Deal aushandelst, werden sie den Erfolg für sich reklamieren. Wenn nicht, werden sie dir die Schuld geben.«
Ich war ein Outsider, sowohl im Verhältnis zu Syriza wie gegenüber dem Establishment, und damit ein ideales Ziel für die Geschosse und Pfeile der Troika, des heimischen Establishments, der Anhänger und Parteimitglieder von Syriza. Sie würden mich treffen statt Alexis und seinen engsten Kreis. Es machte mir nichts aus, die Zielscheibe zu spielen, Finanzminister tun das in der Regel für ihre Ministerpräsidenten und Kabinette. Es wäre die Sache wert, aber nur so lange, wie unser Pakt galt und allen klar war, dass dieser Kampf sich nur lohnte, wenn wir bereit waren, ihn bis zum Letzten auszufechten. Ich war dazu bereit. Waren sie es auch? Ich hatte nicht genug Anhaltspunkte, um diese Frage zu beantworten.
Gleichzeitig stand ich vor einem moralischen Dilemma. Hatte ich das Recht, Alexis’ Angebot abzulehnen? Der künftige Ministerpräsident bot mir eine Gelegenheit, meinen Worten Taten folgen zu lassen: die Verhandlungsstrategie und das Reformprogramm umzusetzen, für die ich von der Seitenlinie aus immer plädiert hatte, seit Griechenland in diesem speziellen Gefängnis steckte. Sokrates hat gesagt, ein gutes Leben heiße, dass man auf dem Sterbebett nichts zu bereuen habe. Wie würde ich mich später, im Alter, fühlen, wenn ich an den Augenblick zurückdachte, in dem ich diese Gelegenheit ausgeschlagen hatte?
Wenn ich nur mit Danae darüber sprechen könnte, dachte ich. Aber da uns Tausende Kilometer trennten und nachdem wir so lange in Alexis’ Wohnung beraten hatten, musste nun eine Entscheidung fallen. Und so traf ich eine Entscheidung. Aber bevor ich zusagte, hatte ich eine letzte Bedingung: dass ich ins Parlament gewählt wurde. Ich war nicht bereit, ein weiterer Finanzminister ohne Abgeordnetenmandat zu werden wie Stournaras und sein Nachfolger.11
»Aber Yanis, du hast noch nie bei einer Wahl kandidiert«, wandte Alexis ein. »Du hast nicht die Infrastruktur vor Ort, du lebst in Texas, und die Wahl wird bald stattfinden!«
Pappas schaltete sich mit einem Kompromissvorschlag ein: Ich könnte auf der Liste für einen der Parlamentssitze stehen, die der Parteiführer verteilt.12 Alexis schlug dann vor, mir weit unten auf der Liste einen »Ehrenplatz« zu geben. Damit würde ich keinen Parlamentssitz erringen, aber es wäre ein Signal, wie hoch ich bei Syriza geschätzt war.
Ich blieb hart. »Das reicht nicht. Entweder bekomme ich ein Direktmandat von den Wählern, ohne Einmischung der Führung, oder ich bin raus.« Es war keine Frage der Ehre. »Wenn ich Wolfgang Schäuble in der Eurogruppe gegenübertreten soll, einem erfahrenen Politiker, der seit Jahrzehnten die Unterstützung seines Volks besitzt, dann brauche ich Tausende von Wählerstimmen, die mich unterstützen. Ansonsten würde mir die nötige Legitimität fehlen.«
»Aber was passiert, wenn du nicht gewählt wirst?«, beharrte Alexis.
»Dann hat das Volk gesagt, dass es nicht von mir in der Eurogruppe vertreten werden will. Ganz einfach! Die Vorstellung, dass Technokraten im Namen der unwissenden Massen Wirtschaftsverträge aushandeln, ist aus meiner Sicht abstoßend und gehört in den Papierkorb.«
»In welchem Wahlkreis willst du antreten?«, fragte Dragasakis.
»Ich habe mein ganzes Leben im Großraum Athen gewählt, deshalb soll es der Großraum Athen sein.« Mir schien das auf der Hand zu liegen.
»Der Großraum Athen ist brutal, Yanis«, erwiderte Alexis. »Bist du sicher?«
»Ich bin sicher.«
Die meisten Wahlkreise in Griechenland wählen jeweils mehr als ein Mitglied des Parlaments. Der Großraum Athen ist der größte Wahlkreis im Land, mit mehr als 1,5 Millionen registrierten Wählern, die 44 Prozent der dreihundert Abgeordneten wählen. Ich war mir absolut bewusst, dass es auch der Wahlkreis von Pappas und Dragasakis war.13
Pappas, der merkte, dass es mir ernst war, versicherte: »Er wird problemlos gewählt werden.« Damit beendete er die Diskussion, aber nicht mein Unbehagen.
Dass sie mich nicht als Mitglied von Syriza wollten, war einleuchtend. Beunruhigender war es, wenn sie meine Wahl ins Parlament ablehnten, weil es sehr dafür sprach, dass mein Nutzen für Alexis sich umgekehrt proportional zu meiner eigenen politischen Legitimität verhielt. Aber es konnte genauso gut sein, dass Alexis einfach besorgt war, ich könnte bei den Wählern nicht gut genug ankommen. Dieser Gedanke plus der Pakt, den wir soeben geschlossen hatten, machte es unmöglich, das Angebot abzulehnen, obwohl ich in einem Meer aus Zweifeln schwamm.
Auf dem Weg zur Tür sagte Alexis nachdenklich zu mir: »Du wirst ein Team zusammenstellen müssen für den Fall, dass sie uns aus der Eurozone werfen. Fang bald damit an.«
»Das mache ich, Alexis«, erwiderte ich. Das war die Geburtsstunde dessen, was als Plan X bekannt wurde – der nur aktiviert werden sollte, wenn und nachdem Berlin und die EZB ihren Plan Z aktivierten, um Griechenland über die Grexit-Klippe zu stoßen.14 »Aber eines sollst du wissen, Alexis«, fügte ich noch hinzu. »Der beste und einzige Weg, uns langfristig in der Eurozone zu behaupten, ist, unsere Gläubiger mit Zeichen der Mäßigung zu überschütten und ihnen gleichzeitig zu signalisieren, dass wir unerschütterlich entschlossen sind, unsere Abschreckungsstrategie