Fällt dir nicht auf Liv, dass alles, wozu du dir eine Meinung machst, in Sprache geschieht? Deine Ansichten darüber, was Sinn ergibt, deine Bekenntnisse, deine Urteile, deine Befürchtungen, dein Glaube, dein Wissen, dein Wollen? Ist es dir nicht eine Offenbarung, dass alles, was du zu tun und zu ändern gedenkst, sich in der Sprache vollzieht? Alle deine Pläne und Hoffnungen, dein politischer oder sozialer Kampf, dein Engagement für das Klima und die Natur? Dein Wachrütteln-Wollen, deine Erziehung der Kinder und der Mitmenschen? Du denkst, es ist evolutionäre Zufälligkeit, nicht anders als der Brunftschrei des Affen und der Warnschrei der Amsel, nur raffinierter und differenzierter? Aber wie wir Menschen über alles sprechen und über alles nachdenken, macht aus unserem Sein ein Gottsein im Wort, das dem Sprechen ohne das Sprechen über das Sprechen fehlt. Wir sind in der Sprache frei von den Dingen, ob wir das wollen oder nicht. Das freie Gespräch ist eine andere Dimension. Ein Leben lang benutzen wir die Sprache und quasseln in Politik und Wirtschaft und Recht und Kultur und ignorieren das göttliche Gut.
Je mehr jemand in seinem Reden das Sagen hat, desto mehr lässt sich erkennen, wie entsetzlich es ist, dass wir in der Sprache Gott sind. Es ist schlicht grauenhaft. In der unendlichen Fiktion der Sprache ist nicht nur alles möglich, es kann auch schlechthin alles, was gesagt wird, geglaubt oder nicht geglaubt werden. Das heißt, es kann alles behauptet werden. Wir leben so sehr von der Sprache, dass auch noch so hanebüchene Behauptungen so wirksam sein können wie Fakten. Das Wie-Gott-eigene-Bild von allem und also die eigene Meinung sagt uns meist mehr als die Tatsachen. Deshalb lässt sich die Macht der Meinungen auch von Fakten nur schwer korrigieren. Weil wir in den Worten Gott sind, ist die Plage der Rechthaberei so monströs und genügt es, wenn Behauptungen geglaubt werden, egal, ob sie wahr sind oder nicht. Durch die Einbildungskraft der Sprache brauchen überdies Lügen nur arrogant genug gesagt zu werden, um nicht nur Andere zu überzeugen, sondern auch den die Lüge Aussprechenden. Deshalb sind Fake News so mächtige Alternativen. In der Sprache hat alles eine eigene Realität. Jede auch noch so unmögliche und märchenhafte Erzählung ist auf sprachliche Weise wirklich, selbst wenn das Erzählte nicht geglaubt wird. Und umgekehrt bleiben nicht nur die Geschichten, sondern auch die persönliche und die politische Geschichte darauf angewiesen, dass das, was geschehen ist und geschehen wird, geglaubt wird. Auch Filme und Fotos werden nicht verhindern, dass Passiertes nicht geglaubt wird, wenn das Erzählen es anders behauptet. Und noch nicht einmal bei dem, was wir mit eigenen Augen sehen, ist sicher, dass wir glauben, was geschieht, und nicht ein anders Berichten oder gar das eigene Gedächtnis es löscht und verändert. Kein einziger gesprochener oder geschriebener Satz ist davor gefeit, nicht geglaubt zu werden. Ebenso kann, was in der Zukunft geschehen wird, nur geglaubt werden. Selbst wenn mathematisch gewiss ist, was geschehen wird, ist es möglich, dies nicht zu glauben.
Wie ist es nur möglich, dass wir die Göttlichkeit der Sprache übersehen? Wo doch alles im menschlichen Leben unter der Herrschaft der Sprache geschieht. Nicht nur alles, was geglaubt werden kann, sind Worte, und nicht nur religiöse Bücher wie Bibel, Thora und Koran, nein, auch sämtliche Gesetze des Rechts und der Politik sind Sätze. Auch die mathematischen und physikalischen Gesetze sind wie alle Lehren in allen Fächern als Sätze erfasst. Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat ist ein auf eine Formel gebrachter Satz. Und der Mensch quasselt sein Leben lang. Wenn uns überdies irgendetwas am Humor liegt, und es gibt viele, die Ironie und Witz für das Wertvollste überhaupt halten, wenn uns also irgendetwas an der Heiterkeit Humor liegt, so haben wir es von der Sprache. Des Menschen Witz ist Sprachwitz, schon bei der Zweijährigen und bis zum Greis. Und das die Sprache habende Tier namens Mensch quasselt Tag und Nacht, und alle Politik, absolut alle, handelt durch Sprache. Es wird überall gequasselt, ohne Pause, insbesondere bei den Nachrichtensendern, deren Sprechen ist Reden über alles, was geschieht und getan werden soll. Es ist meist kein Quatsch, doch die Ignoranz davon, was es heißt, über alles sprechen zu können, begründet die Not, dass dieses Reden hier Quasseln genannt werden will, weil es blindes Reden ist mit oft verheerender Wirkung.
Aber, will man meinen, die Sprache ist doch nicht das Wichtigste in unserem Leben. Alles Nichtsprachliche, das Sinnliche, die Natur, das Erleben des Lebens und das Tun des Lebens sind doch viel wahrer als die Sprache! Wo bleibt denn alles Nonverbale, die 99 Prozent des Menschen, die nicht Sprache sind? Nein, sage ich, es ist eben für uns zu 100 Prozent umgekehrt. Es spricht alles für uns. Überhaupt alles spricht zu uns. Alles sagt uns etwas. Nicht nur selbstredend das gesamte psychische Erleben teilt sich uns sprachlich mit, auch alles rein Physische spricht und spricht. Auch alles Sprachlose spricht zu uns. Und alles, was uns nichts sagt, sagt uns das Nichtssagende, und auch das Schweigen und die Stummheit sind Modi der Sprache. Wenn ich sage: Dieses Bild sagt mir nichts, oder Dieser Augenblick sagt mehr als tausend Bücher ist das Sprache pur. Auch alles Körperliche spricht, jede Geste ist Sprache. Wer sagt, dass für ihn das intensivste Erleben erst da ist, wo die Sprache aufhört, bei dem spricht die Intensität als Intensität. Wer sagt, die Musik spreche für ihn viel mehr als jede Sprache, für den spricht die Musik als Musik. Wer sagt, in der Meditation geschehe genau das Auflösen der Sprache und das Auflösen des Denkens in eine sprachlose Gegenwart, für den spricht die Meditation als Gegenwart. Denn für uns Menschen spricht alles und alles kommt zur Sprache. Wer sagt, sein Klettern ist pures Klettern ohne Sprache, sein Schwimmen Schwimmen ohne Sprache, sein Essen Essen ohne Sprache, sein Küssen Küssen ohne Sprache, bei dem spricht das Klettern als Klettern und das Schwimmen als Schwimmen und das Essen als Essen und das Küssen als Küssen als Sprache im Raum des Verstummens, der in der Sprache der tiefste ist. Und wer sagt, unendlich viel wahrer als die Sprache sei der Schmerz und das Leiden und die Folter und das Morden, bei dem spricht der Schmerz als Schmerz und die Folter als Folter und das Leiden als Leiden und das Morden als Morden im Raum der Empfindungen und der Handlungen bis ins Wirklichste einer Wirklichkeit, die uns auch sprachlos Sprache ist. Und wer mit den Händen spricht, dem sprechen die Hände, und wer mit Zeichen und Gesten spricht, dem Sprechen die Zeichen und Gesten. Und wer mit den Augen spricht, dem sprechen die Augen. Denn im Menschen spricht alles. Und je stummer uns eine Musik oder ein Bild oder ein Film oder ein Verbrechen oder eine Schönheit oder eine Grässlichkeit machen, desto dichter sprechen diese Dinge. Denn alles spricht für den Menschen. Aber für das Verhalten des Menschen spricht gar nichts.
2. Kapitel
IN DER NACH DER Dominatrübung uns nur umso entspannter geschenkten Heiterkeit kaufte ich ein Buch über das Glück der einer Frau dienenden Liebe und da Liv die ihr daraus vorgelesenen Stellen gut fand, schrieb ich ihr gleich ein paar Zeilen: Das Bemerkenswerteste an Destroying the Taboo ist mir, dass der Cunnilingus zur Basis