Laura Schieritz zeigt als Nachwuchs-Politikerin und Sprecherin der Jungen Liberalen, wie ein einziges, nicht tot zu kriegendes mediales Narrativ den medialen Blick auf die FDP verfälscht und verengt: Die FDP sei eine ›One-Man-Show‹, heißt es immer wieder – und so bleibe in der journalistischen Berichterstattung der innerparteiliche Diskurs weitgehend ausgeblendet; die Stimmenvielfalt, die gerade für eine liberale Partei prägend sei.
Kommunikationsexperte (und FDP-Mitglied) Hasso Mansfeld überlegt darauf aufbauend, wie die Liberalen sich (noch) besser verkaufen könnten. Eine Gefahr sei dabei die Verlockung des Zeitgeists, die Anbiederung an vermeintliche Mehrheitsmeinungen – auch im Journalismus. Liberale sollten vielmehr die Stärke haben, zu prominenten Themen auch unbequeme Antworten beizusteuern – und dabei vor allem auch den Wert der offenen Debatte zu verteidigen.
Doch betrachtet sich die FDP wirklich zu Recht als die parteipolitische Heimat des Liberalismus? Peter Unfried, Chefreporter der taz, hegt da Zweifel. Er bietet eine Argumentation an, wonach die Grünen der neue Hort des Liberalismus werden könnten – wenn der Liberalismus dabei vor dem Hintergrund des Klimawandels neu gedacht wird.
Doch so einfach mögen auch die Unionsparteien den Liberalismus nicht preisgeben: Antonia Haufler, Bundesgeschäftsführerin der Jungen Union, skizziert, wie die »einzig verbliebene Volkspartei« in der Ära Merkel um innerparteiliche Liberalität gerungen habe – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Sie sieht in mangelnder Liberalität nicht nur eine Gefahr für die Union, sondern für die politische Debatte insgesamt. Daher ihr Appell, auch die Union müsse (wieder) dem Liberalismus eine Heimat bieten.
Juli Zeh, als Schriftstellerin wie als Verfassungsrichterin in Brandenburg eine wache Beobachterin der gesellschaftlichen Entwicklung, konstatiert in einem kurzen Gespräch mit den Herausgebern, liberale und soziale Positionen zu verbinden, sei ein »Projekt des Linksliberalismus oder Sozialliberalismus, der auch nicht unbedingt traditionell in der SPD zu Hause ist«. Um eine Analyse der sozialdemokratischen Politik anzustellen, sei es sinnvoller, die Frage zu stellen, inwieweit »eine wachsende identitätspolitische Ausprägung die klassische sozialdemokratische Politik, ergo die Beantwortung der sozialen Frage« behindere.
Dieser Überlegung dürfte Sahra Wagenknecht weitgehend folgen. In ihrem Beitrag kritisiert die langjährige wie prominente Exponentin der Linken einen ›linksliberalen‹ Zeitgeist, der weder links noch liberal sei. Ihre Kritik zielt durchaus auch auf die eigene Partei: Braucht die Linke mehr Liberalität? Einer elitären Diskursverengung jedenfalls erteilt die Autorin eine entschiedene Absage. Dass diese Sichtweise unbequem ist, zeigt die öffentliche Resonanz – die bis zu Ausschlussversuchen aus der Partei reicht. Letzteres ein Mittel, das auch in anderen Parteien an Popularität gewinnt, wie die Fälle Thilo Sarrazin, Hans-Georg Maaßen und Boris Palmer illustrieren. Ein Zeichen für schwindende innerparteiliche Liberalität?
Im Schlussakkord zieht Stephan Russ-Mohl eine sehr persönliche Bilanz. Er hat sein berufliches Leben im Grenzbereich zwischen Journalismus und Medienforschung verbracht, sich als einer der ersten deutschen Medienforscher mit Qualitätssicherung im Journalismus und Redaktionsmanagement befasst, und konnte auch mehrfach als Institutionengründer zur Journalismusforschung, -förderung und -ausbildung beitragen. Liberalität beschreibt er dabei als eine Voraussetzung, um Qualität im Journalismus voranbringen zu können. Er stellt fest: Ohne die autobiografische Erfahrung, dass andere ihm gegenüber immer wieder auch Liberalität praktizierten und ihm trotz weltanschaulicher Differenzen vertrauten, wäre sein Lebensweg ganz anders verlaufen. Zerreißproben anzusprechen und auszuhalten, erwies sich dabei als wertvoll.
An diese Erfahrung knüpft der vorliegende Band an.
Ulrike Ackermann
Liberalismus unter Druck – die identitäre Herausforderung
Rechts- und linkspopulistische Bewegungen und Parteien in ganz Europa und den USA stellen die liberalen Demokratien und ihre Institutionen auf eine harte Probe. Sie spielen gerne mit Katastrophen- und Untergangszenarien und werben für radikale Lösungen. Im Kern sind die Populisten antiliberal und antipluralistisch. Sie beanspruchen stattdessen, allein den wahren und vermeintlich einheitlichen Volkswillen zu verkörpern und wollen ihn kompromisslos vollstrecken.
Daran hat auch die Corona-Krise nichts geändert. Schaut man sich die Zusammensetzung der Demonstrationen gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen und Freiheitsbeschränkungen an, findet man auch dort illustre Querfronten zwischen links und rechts. Diese politischen Ränder eint ein ausgeprägt antiwestliches Ressentiment: Die Skepsis gegenüber der Globalisierung, durchsetzt von Antikapitalismus, Europaskepsis, Putin-Verehrung, dem Wunsch nach starker Führung und einer harten Hand, das Misstrauen gegenüber der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie und stattdessen der Wunsch nach direkter Volksherrschaft und die Lust an der Revolte. Sie kritisieren den Individualismus und feiern das Kollektiv. Es handelt sich dabei auch um einen Aufstand gegen die globalisierte Moderne und die von ihr bescherte grenzenlose, konfliktreiche Unübersichtlichkeit der Welt. Die Revolte richtet sich gegen das kosmopolitischurbane, global vernetzte sogenannte ›Establishment‹.
Umgekehrt kann man in den europäischen Hauptstädten und amerikanischen Metropolen beobachten, wie die Funktionseliten und die politische Klasse ihre Bodenhaftung eingebüßt haben. Deshalb sind es eben nicht nur populistische Ressentiments, Skepsis gegenüber Einwanderung und Fremdenfeindlichkeit, die die europäischen Gesellschaften und ihre gewachsenen sozialen Ordnungen erschüttern. Es sind ganz neue und reale Probleme, nicht etwa nur diffuse Ängste der Bevölkerung, neue Verwerfungen und soziale Spaltungen, die unsere bisher liberalen und offenen Gesellschaften samt ihrer demokratischen Institutionen und das politische Gefüge im Kern berühren. Die alte politische Klasse hat auf diese neuen Herausforderungen bisher keine überzeugenden Antworten gefunden. Die Kluft zwischen den alten, staatstragenden Volksparteien und der Bevölkerung ist im Laufe der letzten Jahre immer größer geworden.
Die großen gesellschaftlichen Debatten werden heute nicht aus der politischen Mitte heraus geführt, sondern entzünden sich von den Rändern her und münden fast umgehend in Polarisierungen. Obwohl das ideologische Rechts-Links-Schema überwunden schien, greift es immer noch.
Ins Zentrum der erneuten Rechts-Links-Konfrontation sind nun vor allem der Streit über das Selbstverständnis der Nation, ihre Grenzen, ihren Zusammenhalt, gesellschaftliche Minderheiten und der Umgang mit ihnen gerückt. Die Polarisierungen in diesen Debatten sind flankiert von einem wachsenden Moralisierungsdruck. Denkverbote und ideologische Scheuklappen machen eine argumentative und rationale Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Krisen und Herausforderungen immer schwieriger.
Die Selbstzweifel an der Erfolgsgeschichte unserer Zivilisation, bis hin zum westlichen Selbsthass, werden immer lauter. Sie sind nicht nur rechten und linken Rändern eigen, sondern zunehmend in Universitäten, Redaktionsstuben und Kulturinstitutionen beheimatet, wie der Streit über Rassismus und Kolonialismus zeigt. Und dies in einer Situation, in der die über Jahrhunderte mühsam errungenen westlichen Freiheiten und Lebensweisen weltweit unter immer stärkeren Druck geraten sind.
Bereits seit einigen Jahren tobt dieser Kulturkampf, der immer aberwitzigere Züge annimmt. Kinderbücher werden umgeschrieben, weil das Wort ›Negerkönig‹ anstößig ist. Die Diskurspolizei ist auch an den Universitäten unterwegs. Alte Filme werden aus dem Verkehr gezogen, weil sie aus heutiger Sicht rassistisch sind. Statuen vom Sockel geholt. Berühmte Bilder werden abgehängt, weil sie sexistisch seien. Es sind Eingriffe zugunsten eines vermeintlich gerechten, politisch korrekten Regimes, das es jeder Ethnie, jedem Geschlecht und jeder Religion recht machen will. Der Wunsch nach Eindeutigkeit und Einheitlichkeit, nach Reinheit und Säuberung hat sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern ausgebreitet. Verletzte Gefühle einer Gruppe wiegen plötzlich schwerer als die Prinzipien und Ausübung der Kunst-, Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Obwohl doch gerade sie Antrieb und Resultat eines jahrhundertelangen Kampfes waren und als hohe Güter unsere Lebensweise auszeichnen.
Inzwischen steht auch schon der Aufklärer Immanuel Kant