Johann Nestroy
Der Talisman
Posse mit Gesang in drei Akten
Musik von Adolf Müller
Nachwort von Maria Piok
Anmerkungen von Jürgen Hein
Reclam
1960, 1993, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960021-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014112-0
Der Talisman
[5]Personen
TITUS FEUERFUCHS, ein vazierender Barbiergeselle | |
FRAU VON CYPRESSENBURG, Witwe | |
EMMA, ihre Tochter | |
CONSTANTIA, ihre Kammerfrau, ebenfalls Witwe | |
FLORA BAUMSCHEER, Gärtnerin, ebenfalls Witwe | im Dienste der Frau von Cypressenburg |
PLUTZERKERN, Gärtnergehilfe | |
MONSIEUR MARQUIS, Friseur | |
SPUND, ein Bierversilberer | |
CHRISTOPH | Bauernbursche |
HANS | |
SEPPEL | |
HANNERL, Bauernmädchen | |
EIN GARTENKNECHT | |
GEORG | Bediente der Frau von Cypressenburg |
KONRAD | |
HERR VON PLATT | |
NOTARIUS FALK | |
SALOME POCKERL, Gänsehüterin | |
HERREN, DAMEN, BAUERNBURSCHE, BAUERMÄDCHEN, BEDIENTE, GÄRTNER |
Die Handlung spielt auf dem Gute der Frau von Cypressenburg, nahe bei einer großen Stadt.
Erstaufführung auf dem Theater an der Wien am 16. Dezember 1840.
[7]Erster Akt
Die Bühne stellt einen Dorfplatz vor. In der Mitte gegen den Hintergrund ein Brunnen mit zwei sich gegenüberstehenden Steinsitzen, links eine Gartenmauer mit einer kleinen offen stehenden Tür, welche in den Herrschaftsgarten führt.
Erste Szene
Bauernmädchen, darunter Hannerl, treten während dem Ritornell des folgenden Chores aus dem Hintergrunde links auf; Bauernbursche, unter ihnen Christoph, Seppel und Hans.
Chor
DIE MÄDCHEN.
Au’m Nachkirtag tanzt man schon in aller Fruh,
Dort kommen die Burschen und holen uns dazu.
DIE BAUERNBURSCHE (von der Seite rechts auftretend).
Wo bleibt’s denn? Lasst keine sich sehn, das ist schön,
Au’m Tanzboden tut’s drüber und drunter schon gehn.
DIE MÄDCHEN. Wir sind schon bereit.
DIE BURSCHE. So kommt’s, es is Zeit.
ALLE. Es hat jeds sein Gegenteil, die Wahl is nit schwer,
D’ Musikanten, spielt’s auf, heut geht’s lustig her.
CHRISTOPH (zu einem Bauernmädchen). Wir zwei tanzen miteinand!
HANS (zu einer anderen). Wir zwei sein schon seit zehn Kirtäg ein Paar.
[8]HANNERL (zu einem Burschen). Ich tanz auf der Welt mit kein’ andern als mit dir.
CHRISTOPH (nach links in den Hintergrund sehend). Da schaut’s, da kommt die Salome.
HANNERL. Mit die bassgeig’nfarbnen Haar’!
CHRISTOPH. Was will denn die aufm Kirtag?
HANNERL. Eure Herzen anbrandeln, das is doch klar!
Zweite Szene
Salome. Die Vorigen.
SALOME (in ärmlich ländlichem Anzug, mit roten Haaren, kommt aus dem Hintergrunde links). Da geht’s ja gar lustig zu; wird schon aufm Tanzboden gangen, nit wahr?
CHRISTOPH (kalt). Is möglich!
SALOME. Ös werd’t’s doch nix dagegen haben, wenn ich auch mitgeh?
HANS. No ja – warum nit – hingehn kann jeds.
CHRISTOPH (mit Beziehung auf ihre Haare). Aber ’s is weg’n der Feuersg’fahr!
HANS (ebenso). ’s is der Wachter dort –
CHRISTOPH (wie oben). Und der hat ein’ starken Verdacht auf dich; du hast deine Gäns beim Stadl vorbei’trieben, der vorgestern ab’brennt is.
HANNERL. Und da glaubt man, du hast’n an’zund’n mit deiner Frisur.
SALOME. Das is recht abscheulich, was ihr immer habt’s über mich; aber freilich, ich bin die Einzige im Ort, die [9]solche Haar’ hat. Für die Schönste wollt’s mich nicht gelten lassen, drum setzt’s mich als die Wildeste herab.
DIE MÄDCHEN. Ah, das is der Müh wert, die wollt die Schönste sein!
CHRISTOPH (zu Salome). Schau halt, dass d’ ein’ Tänzer find’st.
SEPPEL (ein sehr hässlicher Bursch). Ich tanz mit ihr, was kann mir denn g’schehn?
CHRISTOPH. Was fallt dir denn ein? Ein Kerl wie du wird doch wohl eine andere kriegen?
SEPPEL. Is auch wahr, man muss sich nit wegwerfen.
HANS. Vorwärts! Brodelt’s nit so lang herum!
ALLE. Aufn Tanzboden! Juhe! Zum Tanz! (Alle rechts im Hintergrunde ab.)
Dritte Szene
Salome.
SALOME. Ich bleib halt wieder allein z’ruck! Und warum? Weil ich die rotkopfete Salome bin. Rot ist doch g’wiss a schöne Farb, die schönsten Blumen sein die Rosen, und die Rosen sein rot. Das Schönste in der Natur ist der Morgen, und der kündigt sich an durch das prächtigste Rot. Die Wolken sind doch g’wiss keine schöne Erfindung, und sogar die Wolken sein schön, wann s’ in der Abendsonn brennrot dastehn au’m Himmel; drum sag ich: Wer gegen die rote Farb was hat, der weiß nit, was schön is. Aber was nutzt mich das alles, ich hab doch kein’, der mich aufn Kirtag führt! – Ich könnt allein [10]hingehn – da spotten wieder die Madeln über mich, lachen und schnattern. Ich geh zu meine Gäns, die schnattern doch nicht aus Bosheit, wann s’ mich sehn, und wann ich ihnen ’s Futter bring, schaun s’ mir auf d’ Händ und nit aufn Kopf. (Sie geht rechts im Vordergrunde