317
Gem. § 1138 sind die Vermutungs-, Gutglaubens- und Berichtigungsvorschriften der §§ 891 bis 899 auch in Ansehung der Forderung anwendbar. Weist der Grundbuch- bzw. Briefstand (§ 1155) also ein Hypothek aus, besteht die Forderung aber in Wahrheit überhaupt nicht oder besteht sie zwar, gehört aber nicht dem als Hypothekar Bezeichneten, so erwirbt der Redliche trotzdem die Hypothek (nicht aber die Forderung). Ist z.B. die Hypothek wirksam für ein Darlehen bestellt, dieses aber nicht ausgezahlt worden, konnte gem. §§ 1163 Abs. 1 Satz 1, 1177 noch keine Hypothek entstehen, weil der Gläubiger noch keine Darlehensrückzahlungsforderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 erworben hatte. Gleiches gilt, wenn der Darlehensrückzahlungsanspruch schon vor Bestellung der Hypothek an einen Zessionar abgetreten worden war. Entgegen dem Grundbuch- oder Briefausweis war gem. § 1163 Abs. 1 Satz 1 in Wahrheit eine Eigentümergrundschuld entstanden. Inhaber ist also der Grundeigentümer, nicht der im Grundbuch oder Brief ausgewiesene Gläubiger. Tritt der Gläubiger das Grundpfandrecht gleichwohl an einen Dritten ab, erwirbt dieser gem. §§ 1138, 892 das Grundpfandrecht, kann das Grundstück also verwerten. Keineswegs bestimmt § 1138 aber, dass der redliche Erwerber, nachdem das Darlehen zur Verfügung gestellt worden war, auch Inhaber der Forderung auf Rückerstattung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 würde. Insoweit bleibt es bei dem Grundsatz, dass der gutgläubige Erwerb von Forderungen im Allgemeinen nicht möglich ist. § 1138 fingiert nur den Erwerb der Forderung mit dem einzigen Zweck, den gutgläubigen Erwerb der Hypothek zu ermöglichen[1]. Die Hypothek bleibt trotzdem forderungslos („forderungsentkleidete Hypothek“), ist also in Wahrheit Grundschuld. Würde der redliche Erwerber Klage auf Erfüllung der Forderung erheben, würde er damit abgewiesen. Er könnte mit Erfolg nur Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück gem. § 1147 erheben. Der Akzessorietätsgrundsatz ist durchbrochen. Folgerichtig durchgehalten wird er bei § 1185 Abs. 2 für die sog. Sicherungshypothek (§ 1184, vorst. Rn. 122).
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Gem. § 1138 sind auch die §§ 891, 893 bis 899 anwendbar. Gem. § 891 wird der Bestand der Hypothekenforderung vermutet. Wer an den durch das Grundbuch oder gem. § 1155 Ausgewiesenen auf die vermeintliche oder einem anderen zustehende Forderung leistet und redlich ist, wird frei (§ 893). Der Eigentümer oder der Gläubiger können bei Mangel der Forderung Grundbuchberichtigung gem. § 894 verlangen und einen Widerspruch eintragen lassen (§ 899), wenn Forderung oder Einrede nicht oder nicht richtig eingetragen sind (nachf. Rn. 323).
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Die Eintragung des Widerspruchs wird gem. § 1139 bei Buchhypotheken erleichtert. Entgegen § 899 Abs. 2 genügt anstelle der Bewilligung des Eingetragenen ein bloßer Antrag des Eigentümers, wenn der Antrag darauf gestützt wird, die Hingabe des zugrundeliegenden Darlehens sei unterblieben und wenn der Antrag innerhalb eines Monats nach Eintragung der Hypothek gestellt wird. Bei der Buchhypothek ist der Eigentümer besonders gefährdet, weil er anders als bei der Briefhypothek nicht Darlehensauszahlung Zug um Zug gegen Briefherausgabe verlangen kann. In anderen Fällen als der unterbliebenen Hingabe des Darlehens bleibt es beim Bewilligungserfordernis nach § 899 Abs. 2.
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§ 1138 BGB stellt die Akzessorietät hintan, um den gutgläubigen Erwerb des Grundpfandrechts zu ermöglichen. Unberührt bleibt der unmittelbar auf § 892 beruhende gutgläubige Erwerb, wenn der Mangel der Forderung gar keine Rolle spielt. Besteht die Forderung und wird dafür eine Hypothek bestellt, ist der Eigentümer im Zeitpunkt der Hypothekenbestellung aber geschäftsunfähig, ist trotz Eintragung im Grundbuch und trotz bestehender Forderung keine Hypothek entstanden (vgl. vorst. Rn. 308). Tritt der Gläubiger Forderung und Hypothek an einen Redlichen ab, wird dieser in unmittelbarer Anwendung von § 892 Inhaber der Hypothek. Die Forderung erwirbt er gem. § 398 vom Berechtigten. § 1138 ist in diesem Fall gegenstandslos.
Anmerkungen
Jahr/Kropf, JuS 1963, 356 (357 zu 8.); OLG Hamburg MDR 1953, 171: „Treuhänderischer Erwerb“; Soergel/Konzen, § 1138 BGB, Rn. 3; Boehmer, ArchBürgR 37 (1912), 205 (206); Thomale, JuS 2010, 857 (860).
bb) Das Problem der Doppelleistungsgefahr
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§ 1138 kann also zur Entstehung einer forderungslosen Hypothek führen. Wie ist es aber, wenn die Forderung durchaus besteht, nur dem Zedenten nicht zusteht? Dieser Fall tritt ein, wenn die Abtretung nach § 1154 nichtig ist (z.B. nach § 105 Abs. 2 BGB), später aber gutgläubiger Erwerb des Grundpfandrechts stattfindet: Der Erwerber ist nicht zugleich Inhaber der Forderung geworden, diese steht vielmehr immer noch dem geschäftsunfähigen Zedenten zu. Gleiches kann durch das Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht nach § 177 BGB eintreten sowie in folgendem, gleichgelagertem Beispiel: Einer Bank wurde eine Buchhypothek bestellt, die sie einem Zessionar überträgt, dieser an einen weiteren Zessionar. Die Bank ficht ihre auf Abtretung der Forderung gerichtete Willenserklärung (§§ 1154 Abs. 3, 873, 398, vorst. Rn. 296) der ersten Übertragung wirksam an mit der Folge rückwirkender Nichtigkeit gem. § 142 und der weiteren Folge, dass der erste Zessionar nichts erworben hatte und von Anfang an als Nichtberechtigter anzusehen ist. Der spätere Zessionar erwirbt die Hypothek trotzdem vom ersten, in Wahrheit nichtberechtigten Zessionar gem. §§ 1138, 892. Wem aber steht die Forderung zu, deren Bestand durch die Anfechtung ihrer Abtretungserklärung beim ersten Übertragungsgeschäft natürlich unberührt bleibt? Bleibt man bei dem Grundsatz, dass der gutgläubige Erwerb von Forderungen ausgeschlossen ist, wäre die Bank Inhaberin der Forderung geblieben und der spätere Zessionar gleichwohl Inhaber der Hypothek geworden. Könnte der Grundeigentümer also von der Bank wegen der Forderung, vom Zessionar wegen der Hypothek in Anspruch genommen werden, besteht also die Gefahr der Doppelleistung? Ist zur Vermeidung dieser Gefahr der gutgläubige Erwerb der Forderung systemwidrigerweise zuzulassen? Dieses Problem ist höchst umstritten.
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Man könnte erwägen, der erste Gläubiger (die Bank) müsse sich den Grundbucheintrag als Umstand zurechnen lassen, der Vertrauen auf die Zuordnung der Forderung zugunsten des gutgläubigen Erwerbers schafft, und er verliere deshalb die Forderung an den gutgläubigen späteren Zessionar. Aber diese Erwägung führt zu dem problematischen Ergebnis eines gutgläubigen Erwerbs der Forderung. Die Lösung ist[1] vielmehr in dem Umstand zu suchen, dass die kraft guten Glaubens gem. § 1138 erworbene Hypothek ein nicht akzessorisches Sicherungsrecht, nämlich in Wahrheit eine Grundschuld ist (vorst. Rn. 317), und dass deshalb die Grundsätze, die zur Vermeidung der Doppelleistung bei nicht akzessorischen Sicherungsrechten gelten, heranzuziehen sind. Danach hat der Grundeigentümer Anspruch auf Übertragung der Sicherheit, wenn die gesicherte Forderung wegfällt (vorst. Rn. 241). Diesen Anspruch kann er der Forderung zurückbehaltend entgegensetzen, braucht auf die Forderung also nur Zug um Zug gegen Übertragung der Sicherheit zu leisten (§§ 273, 404, vorst. Rn. 267). Sind aber Inhaber der Sicherheit und Inhaber der Forderung verschiedene Personen, kann der Forderungsinhaber seine Forderung nicht durchsetzen, weil er außerstande ist, die Sicherheit zu übertragen, die er nicht hat. Solange der Forderungsinhaber nicht zugleich Sicherheiteninhaber