Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Georg Dederer
Издательство: Bookwire
Серия: Schwerpunkte Pflichtfach
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783811492813
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Grundsätzen. Das BVerG hat diesen Zusammenhang wie folgt formuliert (BVerfGE 123, S. 267 ff, 363 f):

      „Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG begrenzt das in der Staatszielbestimmung angesprochene Mitwirkungsziel auf eine Europäische Union, die in ihren elementaren Strukturen den durch Art. 79 Abs. 3 GG auch vor Veränderungen durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geschützten Kernprinzipien entspricht.“

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      Bei der Konkretisierung der Prinzipien der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG ist freilich der – im Verhältnis zu einem Staat – ganz andersartigen Struktur der EU Rechnung zu tragen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „strukturangepassten Grundsatzkongruenz“ (Streinz, in: Sachs, Art. 23, Rz 22).

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      So hat das BVerfG zB hinsichtlich des Demokratieprinzips ausdrücklich festgestellt, dass in der EU demokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden könne, wie in einer staatlichen Ordnung (BVerfGE 89, S. 155 ff, 182). Das Europäische Parlament könne dieses Defizit nicht kompensieren. Denn es sei weder in seiner Zusammensetzung noch im Kompetenzgefüge der EU hinreichend dafür gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidung zu treffen. Es sei – gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen – nicht gleichheitsgerecht gewählt und auch nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen. Es sei eben kein „Repräsentationsorgan eines konstitutionell verfassten … Bundesvolkes“ (vgl BVerfGE 123, S. 267 ff, 370 ff).

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      Das Demokratieprinzip des GG werde aber dann verletzt, wenn der Gesetzgeber der Ausübung nicht näher bestimmter Hoheitsrechte durch die EU zustimme. Dies sei eine mit dem Demokratieprinzip unvereinbare Generalermächtigung, wodurch der Zurechnungszusammenhang zwischen der Ausübung von Hoheitsgewalt und deren Legitimation durch den Wähler abreiße (BVerfGE 89, S. 155 ff, 187). Insbesondere dürften nicht Hoheitsrechte derart übertragen werden, dass aus ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Zuständigkeiten für die EU begründet werden könnten. Das GG untersage daher die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz (s. Rn 126).

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      Die Wahrung demokratischer Grundsätze iSv Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG ist insbesondere beim weiteren Ausbau der EU zu beachten. Das Niveau demokratischer Legitimation muss mit dem jeweiligen Integrationsniveau Schritt halten. Einstweilen hält das BVerfG die doppelsträngige demokratische Legitimation der Unionsgewalt – vermittelt einerseits über die nationalen Parlamente und Regierungen, andererseits über das Europäische Parlament (vgl Art. 10 Abs. 2 EUV) – für ausreichend. Das soll jedenfalls gelten, solange und soweit „das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in einem Verbund souveräner Staaten mit ausgeprägten Zügen exekutiver und gouvernementaler Zusammenarbeit gewahrt bleibt“ (BVerfGE 123, S. 267 ff, 364).

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      Eine spezielle Übertragungskompetenz regelt Art. 88 Satz 2 GG. Danach können die Befugnisse und Aufgaben der Bundesbank als Währungs- und Notenbank im Rahmen der EU der Europäischen Zentralbank übertragen werden. Voraussetzung dafür ist, dass diese unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet ist. Dies ermöglichte den Eintritt der Bundesrepublik in die Europäische Währungsunion und die Ablösung der DM durch den Euro (s. BVerfGE 89, S. 155 ff, 201 ff; 97, S. 350 ff, 372).

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      Für den Begriff der Übertragung gilt das oben Ausgeführte (s. Rn 113, 125).

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      Für die Übertragung ist keine bestimmte Form vorgesehen. In der Praxis erübrigte sich eine Diskussion darüber, da die Übertragung im Rahmen der Gründung der EU durch den Vertrag von Maastricht vor sich ging, dessen Abschluss auf Art. 23 Abs. 1 iVm Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG (s. Rn 120) gestützt war.

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      In den Länderverfassungen finden sich keine Bestimmungen über die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen durch einzelne Länder. Allerdings enthält Art. 24 Abs. 1a GG eine diesbezügliche Regelung. Danach können die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeiten mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen.

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      Die Regelung ist der des Art. 24 Abs. 1 GG vergleichbar und ermöglicht den Ländern im grenznachbarschaftlichen Bereich hoheitliche Kooperationen. Beispiele liegen bislang noch nicht vor; sie könnten in den Bereichen Bildungswesen (Schulen und Hochschulen), Abfallbeseitigung, Abwasserbeseitigung, Polizeiwesen, Raum- und Landschaftsplanung etc. angesiedelt sein (s. BT-Drucks. 12/3338, S. 10). Übertragbare Hoheitsrechte wären zB Gebührenverordnungs- und -erhebungsbefugnisse.

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      Durch das Zustimmungserfordernis der Bundesregierung ist – wie bei Art. 32 Abs. 3 GG (s. Rn 308) – die Sicherung der Bundesinteressen gewährleistet. Die Bundesregierung hat dabei ein politisches Ermessen. Im Gegensatz zu Art. 24 Abs. 1 GG ist allerdings keine Mitwirkung des Gesetzgebers vorgesehen. Eine solche müsste sich nach den Landesverfassungen richten.

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      Aus Art. 24 Abs. 1 GG und – speziell im Hinblick auf die EU – aus Art. 23 Abs. 1 GG wird abgeleitet, dass diese beiden Bestimmungen auch die Zustimmung zum Vorrang von Hoheitsakten der einheitlichen und originären Hoheitsgewalt einer neu gegründeten zwischenstaatlichen Einrichtung bzw der EU vor dem nationalen Recht mit umfassen, soweit sich ein solcher Vorrang aus den Gründungsverträgen oder auf ihrer Grundlage ergibt. Untersucht man die Verträge der EU (EUV, AEUV und GRC) auf entsprechende Regelungen, ist man mitten in der europarechtlichen Lösung (s. Rn 74 ff). Damit kommt man über die dort genannten Kollisionsregeln zum prinzipiellen Vorrang des Unionsrechts.

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      Einheitlich wird dieser Vorrang als Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen einfachen Gesetzesrecht im materiellen Sinn (Gesetz, Verordnung, Satzung) anerkannt. Übereinstimmend wird er – wie ausgeführt – als Anwendungs- und nicht als Geltungsvorrang verstanden (s. Rn 93). Dementsprechend sind alle Träger deutscher Hoheitsgewalt und insbesondere die jeweils zuständigen Fachgerichte dazu berufen und verpflichtet, einfache Gesetze im materiellen Sinn, die Unionsrecht widersprechen, unangewendet zu lassen. Einer zusätzlichen Entscheidung des BVerfG bedarf es nicht, da es bei dieser Rechtsfrage nicht um die allgemeine Verwerfungskompetenz des BVerfG für deutsches Recht geht (BVerfGE 31, S. 145 ff, 173 ff). Auch aus Sicht des EuGH wäre ein vorgängiges Vorlageverfahren an eine nationale Stelle (wie zB das BVerfG), um dort die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht prüfen zu lassen, mit dem Unionsrecht und dessen Vorrang unvereinbar (EuGH,