Ein Sizilianer von festen Prinzipien. Leonardo Sciascia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leonardo Sciascia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783949558078
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Giovanni Ricci verfasst, der sich vielleicht erlaubt hat, uns eine kleine boshafte Anspielung zu überliefern.)

      Pater Girolamo Matranga, Berichterstatter beim Glaubensakt, dessen Opfer Diego La Matina war, kannte diese Geschichte nicht: Er hätte nämlich glänzende Schlussfolgerungen aus der Tatsache zu ziehen gewusst, dass ein Herrschermord, verübt vom Diener an seinem Herrn, genau an dem Ort und zu der Zeit begangen wurde, da der Mörder des Inquisitors geboren wurde. Ebenso wenig wusste er, dass bei der Geburt und beim Tod des Ungeheuers die gleichen Sternbilder am Himmel standen. Das Schicksal der Menschen in den Sternen zu lesen, das war die fixe Idee jenes sadistischen Don Ferrante: Erfreut können wir bekunden, dass sich das Horoskop, das dieser für den spanischen Prinzen Prospero Filippo erstellte, als irrig erwiesen hat: Demnach war er zu großen Dingen bestimmt, wegen der offensichtlichen Gunst der Sterne, aber auch wegen des zeitlichen Zusammenfallens seiner Geburt mit Fra Diegos Verurteilung.

      Zwischen dem Jahr 1622, in dem Fra Diego geboren wurde, und 1658, in dem er den Scheiterhaufen bestieg, wechselten die Grafen del Carretto einander in dichter Folge als Herrscher ab: Girolamo II., Giovanni V., Girolamo III., Girolamo IV. Die del Carretto hatten kein langes Leben. War der zweite Girolamo durch die Hand eines Meuchelmörders gestorben (wie übrigens auch sein Vater), so starb der dritte durch die Hand des Henkers: schuldig gesprochen wegen einer Verschwörung, deren Ziel die Unabhängigkeit des Königreichs Sizilien war. Und es ist nicht anzunehmen, dass er sich aus idealistischen Gründen auf die Verschwörung eingelassen hatte: Als Schwager des Grafen von Mazzarino, dessen Schwester er geheiratet hatte (auch sie hieß Beatrice), liebäugelte er damit, den König von Sizilien in der Familie zu haben. Aber die Inquisition war wachsam, und wachsam waren die Jesuiten: Als die Verschwörung aufgedeckt wurde, war der Graf so leichtfertig, in Sizilien zu bleiben, vielleicht im Vertrauen auf Freundschaften und Protektion bei Hofe und im Königreich. Eine Verschwörung gegen die spanische Krone aber wog wesentlich schwerer als die verbrecherischen Ehrenhändel, die unerbittlichen Racheakte, denen sich die del Carretto für gewöhnlich widmeten. Giovanni IV. beispielsweise hatte einen gewissen Gaspare La Cannita ermorden lassen, der aus Neapel nach Palermo gekommen war, und eben aus Furcht vor dem Grafen sich auf das Wort des Vizekönigs, des Herzogs von Alba, verlassen hatte, der ihm seinen Schutz versprochen hatte. Den Zorn des Vizekönigs auf den del Carretto kann man sich leicht vorstellen: Aber er scheiterte an der Protektion, die das Heilige Offizium dem Grafen, seinem familiare, gewährte. Denselben Giovanni IV. finden wir im Bericht über die Explosion des Pulverturms des Castello a mare am 19. August 1593: Er speiste gerade mit dem Inquisitor Paramo – das Heilige Offizium hatte damals seinen Sitz im Castello a mare –, als sich die Explosion ereignete. Sie kamen davon, Paramo12 allerdings schwer verletzt. Ihr Leben ließen jedoch Antonio Veneziano und Argisto Giuffredi, zwei der größten Genies des 16. Jahrhunderts in Sizilien, die sich dort in Gefangenschaft befanden.

      Für die familiäre Verbundenheit der del Carretto mit dem Heiligen Offizium gibt es noch weitere Beispiele. Hier genügt jedoch festzuhalten, dass die Inquisition in Racalmuto gegen die frevelhafte Ketzerei und als Instrument der Mächtigen wohl nicht untätig geblieben war. Doch obgleich ein berühmter Historiker beteuert, dass dem, was La Mantia13 über die Inquisition in Sizilien geschrieben hat, nichts oder so gut wie nichts hinzuzufügen sei, wissen wir bedauerlicherweise nur sehr wenig. Garufi14 zum Beispiel konnte nach dem Durchforsten der spanischen Archive zu den Notizen des La Mantia vieles beisteuern; und noch ist dem nicht genug.

      Aus ebendiesen von Garufi veröffentlichten Dokumenten wissen wir, dass es 1575 in Racalmuto acht familiari und einen Kommissar des Heiligen Offiziums gab; zwei Jahre später waren es zehn familiari, ein Kommissar, ein Rechtsanwalt und Notar – und das bei einer Bevölkerung von rund fünftausend Personen (Maggiore-Perni nennt 5.279 Bewohner für 1570, 3.825 für 1583: Auch wenn diese Zahlen nur unter Vorbehalt zu übernehmen sind, kann man ohne Weiteres den Rückgang für gesichert betrachten). Was bedeutet: Allein das Heilige Offizium verfügte seinerzeit über eine Macht, wie sie heute bei einer doppelt so großen Bevölkerungszahl nicht einmal die Carabinieri haben. Wenn wir dann noch die Schergen des weltlichen Gerichtshofs und diejenigen des Vikariats-Gerichts sowie die Spione hinzuzählen, und wir uns das Leben in unserem armen Land am Ende des 16. Jahrhunderts vorstellen, dann überkommt uns Bestürzung.

      Aber wir finden nur einen einzigen Racalmuteser, der schon vor Fra Diego in die Klauen des Heiligen Offiziums geraten war: den Notar Jacobo Damiano, angeklagt wegen lutherischer Ansichten, aber versöhnt im Glaubensakt, der am 13. April 1563 in Palermo zelebriert wurde. Versöhnt: das heißt freigesprochen aufgrund eindeutiger und öffentlicher Reue, aber nicht straflos, wie wir aus dem folgenden ergreifenden Gesuch erfahren:

      Hochwürdigster Herr Inquisitor.

      Der arme Notar Iacobo Damiano, versöhnt durch das Heilige Offizium der Inquisition, gibt Eurer Hochwürdigsten Herrschaft zu verstehen, wie er trotz vielerlei Mittel und Notlösungen, die er selbst ersonnen hat, keinen Weg findet, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, außer durch Rückkehr in seine Heimat Racalmuto, wo er mit Hilfe und Unterstützung seiner Verwandten sich erhalten und die wenigen Tage seines Lebens, die ihm angesichts seines Alters und seiner Gebrechlichkeit noch bleiben, fristen könnte. Doch da, wie der Antragsteller bereits gesagt hat, seine Verwandten stets ehrenwerte Personen waren, es nach wie vor sind, würden diese, wenn sie an dem Antragsteller besagtes Gewand sähen, ihn unter keinen Umständen aufnehmen, sondern ihn davonjagen und ihn vor Hunger und Bedürftigkeit sterbend ziehen lassen. Deswegen wirft er sich zu Füßen Eurer Hochwürdigsten Herrschaft, auf dass Ihr so gnädig sein möget, ihm die Gunst zu erweisen, das besagte Gewand in eine andere Buße und in eine Geldstrafe für den Freikauf der gefangenen Christen umzuwandeln, die im Gebiet der Mauren sind, damit er als Bittsteller von seinen Verwandten die möglichen Geldmittel für diesen Zweck einsammele, andernfalls es leicht geschehen könnte, dass er Hungers stirbt und von allen verlassen wird.15

      Das Gewand, auf das der arme Notar sich bezieht, ist der sogenannte Sanbenito: ein saccus benedictus, gebenedeiter Sack, eine Art kurze Tunika, gelb, markiert mit zwei Linien in Form eines Andreaskreuzes. Das war das Gewand der Schande (und selbst wenn heute in den sizilianischen Ortschaften ein jeder, um mit Pirandello zu sprechen, seinen eigenen Sanbenito trägt, um wie viel grausamer muss es wohl in der Vergangenheit gewesen sein, tatsächlich das Gewand der Schmach zu tragen).

      Garufi geht davon aus, dass der Vorschlag des Notars, die Bestrafung mit dem Sanbenito in eine Geldstrafe umzuwandeln, den Inquisitor nicht ungerührt gelassen hat: Denn es handelte sich um Juan Bezerra de La Quadra, ein Mensch, bei dem Raffgier und Grausamkeit sich die Waage hielten. Dass aber der Notar tatsächlich lutherische Ansichten vertreten haben soll, das bezweifeln wir: So wie wir bezweifeln, dass all diejenigen tatsächlich lutherischen Glaubens waren, die als hartnäckige Lutheraner angeklagt oder als solche verdächtigt vom Heiligen Offizium der säkularen Gerichtsbarkeit überlassen oder wieder mit dem Glauben versöhnt und mit mehr oder minder schweren Geld-, Körper- oder Haftstrafen belangt wurden. Wenn man heute mit einem Bauern, einem Arbeiter aus den Schwefelgruben oder auch mit einem Ehrenmann über Angelegenheiten der katholischen Religion spricht, so fällt es noch immer leicht, bestimmte Urteile aus ihrem Mund über die Sakramente, über das Seelenheil, über das Priesteramt – ganz zu schweigen von den Ansichten über die irdischen Interessen und das weltliche Verhalten der Priester – als lutherische Vorstellungen auszuweisen. Tatsächlich aber dürfen solche Urteile nicht einmal annähernd als ketzerische Ansichten betrachtet werden; sie sind, in Bezug auf die Religion, etwas darüber Hinausreichendes und Schlimmeres: Sie gründen auf einer völligen Unempfänglichkeit gegenüber der Metaphysik, dem Mysterium, der geheimen Offenbarung; eben auf dem uralten Materialismus des sizilianischen Volks.

      Was etwa die Beichte angeht, da brauchte es keinen Luther, um das Misstrauen und den Widerstand eines Sizilianers zu wecken. Immer schon war dieses Sakrament in seinen Augen nichts weiter als ein schlauer, sozusagen eines Boccaccio würdiger Kunstgriff: ein Instrument, das eine privilegierte Gesellschaftsschicht, also die der Priester, ersonnen hat, um in den Genuss sexueller Freizügigkeiten auf anderer Leute Terrain zu kommen und um im selben Moment ebendiese Freizügigkeiten bei den Nichtprivilegierten zu tadeln; einem Sizilianer bedeutet ein Privileg nicht so sehr die Freiheit, sich bestimmte Dinge erlauben zu dürfen,