Ich ward in einer Zeit erzogen, wo man dachte, dass die Damen und besonders die Prinzessinnen nicht viel Bildung nötig hätten (…), und man vernachlässigte das Wichtigste, unser Herz und unseren Geist zu bilden. Bestimmt, Opfer des Herkommens der Politik der Höfe zu werden, verfügte man über unsere Persönlichkeit und fand es sehr bequem, über kleine sehr willige Dummköpfe zu verfügen, die unfähig waren, den Zwang zu empfinden, den man auf ihre Persönlichkeit ausübte, und folglich keinen Widerstand dagegen leisteten.“
„Gottlob, dass er schon so alt ist!“, hatte sie erleichtert ausgerufen, als sie ihren künftigen Ehemann zum ersten Mal auf einem Aquarell erblickte. Nun war die Mailänderin also Karl Theodors Gemahlin geworden, und es kam, wie es kommen musste. Worüber man in München alsbald leise tuschelte oder auch laut lachte, das formulierte der österreichische Gesandte Graf Lehrbach in seinen Berichten an den Wiener Hof mit vornehmer Zurückhaltung: Man spreche davon, „dass es im Ehebett nicht ganz gut gehe“.
Es konnte ja auch nicht gut gehen. Auf der einen Seite das quirlige, springlebendige, unverschämt junge Mädchen mit dem Temperament einer Italienerin, der Neugier einer Philosophin und den Umgangsformen eines ungebärdigen Teenagers; wenn sie aufgeregt sei, verfalle sie in einen entzückenden alpenländischen Dialekt, erzählte man sich. Klassisch schön ist sie nach den erhaltenen Porträts nicht gewesen, aber schwarze Glutaugen, eine gerade Nase, tadellos weiße Zähne und dichte dunkle Haare verliehen ihr einen eigenartigen Reiz.
Auf der anderen Seite der Kurfürst, immer noch eine attraktive Erscheinung von „kräftiger Leibesbeschaffenheit“, wie Graf Lehrbach nach Wien schrieb, aber nach einem zügellosen Lebenswandel und mehreren Schlaganfällen in seiner Gesundheit merklich beeinträchtigt. Seiner blutjungen Gattin hatte er anfangs generös zugestanden, Hauptsache, sie schenke ihm einen Thronerben, er werde nicht danach fragen, wer der Vater sei. Aber als Maria Leopoldine Gebrauch von dem freundlichen Angebot zu machen begann und sich mit hübschen Männern ihres Alters umgab, war er seine Großvaterrolle schnell wieder leid. Er machte ihr lächerliche Vorschriften, ließ jeden ihrer Schritte überwachen, doch sie trickste seine Spione aus.
Italienische Militärs hatten die besten Chancen. Aber auch dem Hofmusiker Franz Eck schenkte sie ihre Gunst. Und dem Oberstsilberkämmerer Graf von Tauffkirchen. Und dem Kämmerer Graf Carl von Arco. Und wohl auch dem Kardinal della Genga, der für seine Frauengeschichten bekannt war und auch noch später, als er zum Papst gewählt worden war, mit Maria Leopoldine korrespondierte.
Die Münchner Gesellschaft schockierte die Kurfürstin mit den skurrilsten Ideen: Glucksend vor Vergnügen informierte sie die Gäste an der Hoftafel darüber, dass sie gerade Katzen- oder Fledermausfleisch gegessen hätten. In selbstinszenierten Komödien schlüpfte sie in die Rolle antiker Göttinnen.
Eine Zweiundzwanzigjährige macht Geschichte
Doch noch viel mehr staunten die Münchner über ihre Entschlossenheit, als den Kurfürsten nach vier Jahren Ehe am 12. Februar 1799 ein letzter, diesmal tödlicher Schlaganfall ereilte – am Spieltisch, passenderweise. Außerordentlich geschickt machte Karl Theodors scheinbar so verspielt-naive zweiundzwanzigjährige Witwe in diesen schicksalhaften Tagen die komplette politische Strategie des Wiener Hofes zunichte!
Denn natürlich stand die Wiener Verwandtschaft Gewehr bei Fuß, als die Nachricht durchsickerte, der Kurfürst liege im Sterben, es gebe kein Testament und er könne in seinem Zustand auch keines mehr diktieren. Höchste Zeit, zu handeln! Der österreichische Gesandte Graf Seilern hastete in die Münchner Residenz, bei sich hatte er einen Sonderbotschafter des Kaisers, den Grafen Colloredo – und, wichtiger noch, den ominösen Tauschvertrag „Bayern gegen die österreichischen Niederlande“. Es würde ein Leichtes sein, den sprachgelähmten Kurfürsten zur Unterschrift zu bewegen, sollte er noch einmal aus dem Todeskampf erwachen.
Doch die ausgefuchsten Diplomaten hatten nicht mit der Renitenz von Maria Leopoldine gerechnet. Jetzt endlich wollte einmal sie das Gesetz des Handelns bestimmen. Die Kurfürstin pflanzte sich an der Tür zu Karl Theodors Krankenzimmer auf und verwehrte den entgeisterten Sendboten des Kaisers den Zutritt. Kaum war die Wiener Delegation unverrichteter Dinge abgezogen, schickte sie eine Depesche an den Herzog von Zweibrücken, Max Joseph; die Zweibrückener Seitenlinie der Wittelsbacher erhob ja ebenfalls Anspruch auf das Münchner Erbe. Maria Leopoldine verstand sich offensichtlich prächtig mit dem Herzog; in fliegender Hast schrieb sie ihm:
Im wichtigsten Augenblick meines Lebens wende ich mich an Sie; der Kurfürst ist in der Agonie. Der Kurier, der Ihnen diese Nachricht überbringen soll, ist in Eile; mir bleibt nur die Zeit, mich Ihnen zu empfehlen, da Sie mein einziger Rückhalt sind (…). Jetzt bin ich Ihre Untertanin und stolz darauf. (…) Ich erwarte Sie mit Ungeduld und werde mich nach Ihren Befehlen richten.“
Vier Tage später war Karl Theodor tot. Die kaiserlichen Gesandten witterten noch eine letzte Chance, den habsburgischen Einfluss in Bayern zu zementieren: Sie fragten Maria Leopoldine mehrmals eindringlich, ob sie ein Kind vom verstorbenen Kurfürsten erwarte – was sie sichtlich genervt verneinte. Dem Wiener Kaiserhof war damit jedes Recht entzogen, sich – unter dem Vorwand der Fürsorge – weiter in die bayerischen Belange einzumischen. Maria Leopoldine hatte sich endgültig von ihrer Familie emanzipiert – und Geschichte gemacht.
Es gelang ihr in der Schicksalsstunde Bayerns, eine Schlüsselstellung einzunehmen, die Einverleibung des Kurfürstentums in das Habsburgerreich zu verhindern und einer neuen wittelsbachischen Dynastie den Weg zur kampflosen Übernahme der staatlichen Gewalt in Bayern zu ebnen. Diese Leistung lässt sich in einem Jahrhundert, das vier Erbfolgekriege gesehen hat, nicht hoch genug einschätzen.“
Sylvia Krauss-Meyl, Historikerin und Archivrätin in München
Jetzt regierte also wieder ein Pfälzer in München, Max Joseph aus Zweibrücken, der jedoch im Unterschied zu Karl Theodor volkstümlich und beliebt war. 1806 wurde er König von Napoleons Gnaden. Maria Leopoldine hielt sich vom politischen Trubel der Hauptstadt fern, sorgte aber nach wie vor für kleine bis größere Skandale.
Sachverstand und Skandale
Zum Witwensitz wählte sich die Zweiundzwanzigjährige das Gut Stepperg bei Neuburg an der Donau, weit genug von den Kontrollinstanzen der Landeshauptstadt, aber nahe an der Neuburger Residenz, wo ein flirrendes Hofleben herrschte: Bälle, Gesellschaften, Liebhaber. Ein uneheliches Kind, nach sehr unwahrscheinlichen Spekulationen war es der berühmte Kaspar Hauser, musste sie auf Betreiben des Wiener Hofes im abgeschiedenen Laibach (heute Ljubljana) zur Welt bringen, damit nur ja niemand etwas mitbekam.
Die energiegeladene Witwe sanierte ihren Besitz mit Sachverstand und Verantwortungsbewusstsein, half verschuldeten Gütlern mit Renten und Spenden, war sich nicht zu schade, beim Kartoffelsammeln und bei der Heuernte selbst Hand anzulegen. „Müßiggang ist die Mutter der Langweile“, sagte sie, „und diese Krankheit wäre mein Tod.“
Powerfrau: Kurfürstin Maria Leopoldine
Der nächste Skandal ließ freilich nicht lange auf sich warten. 1804, sie war jetzt fünf Jahre Witwe, heiratete sie zum zweiten Mal – und suchte sich ausgerechnet den Sohn des prominenten Sprechers der bayerischen „Landschaft“ aus, also der Ständevertretung, der die politische Opposition gegen ihren Gatten, den Kurfürsten Karl Theodor, angeführt hatte: Graf Ludwig von Arco, nur drei Jahre älter als sie, Jurist, Hofrat, ein hervorragender Verwaltungsbeamter. Pikant, dass sie mit seinem älteren Bruder Carl bereits zu Lebzeiten Karl Theodors ein Verhältnis gehabt hatte. Und ganz unmöglich für damalige Begriffe, dass sie es war, die dem Auserwählten einen Heiratsantrag gemacht hatte, statt umgekehrt.
Richtig