Förder-/Therapieplanung
Im Rahmen dieses Diagnostikprozesses werden differenzierte Informationen zusammengetragen, die nicht nur über eine Indikation entscheiden, sondern gleichzeitig vielfältige Informationen über das angezeigte methodische Vorgehen im Rahmen der sich anschließenden Unterstützung (Förderung/Therapie) bereitstellen. Im Kontext der Diagnostik im schulischen Setting beinhaltet die gutachterliche Zusammenstellung bereits entsprechende Fördervorschläge und somit wichtige Aspekte für die Förder-/Interventionsplanung (vgl. Kap. 2.2.2).
Diese Ausrichtung prägt bereits das gewählte diagnostische Vorgehen, das explizit auf die Generierung von spezifischen Ansatzpunkten für die Förderung hin ausgerichtet ist und im Bildungskontext unter dem Terminus „Förderdiagnostik“ thematisiert wird. Somit sollen nicht nur derartige diagnostische Methoden und Verfahren zum Einsatz kommen, die das Vorhandensein einer z. B. „Umschriebenen Sprachentwicklungsstörung (USES)“ bestätigen, sondern auch jene, die über qualitative Analysen bereits Ansatzpunkte für eine Intervention liefern. Beispielhaft ist hier der WWT 6 –10 (Glück 2011) zu nennen, der neben einer Einordnung der Ergebnisse eines Kindes zur Altersvergleichsgruppe über die qualitative Analyse differenzierte Aussagen beispielsweise zu den Bewältigungsstrategien des Kindes zulässt.
Schöler (2008) verweist in diesem Zusammenhang auf die Gefährlichkeit des Begriffes „Förderdiagnostik“ und mahnt, dass sog. „förderdiagnostische“ Verfahren nicht die zunächst notwendige Diagnose ersetzen (vgl. auch Kany/Schöler 2009).
1.1.5 Zielstellung: Verlaufskontrolle und Evaluation
Die diagnostische Erfassung der Fähigkeiten des Kindes wird als Grundlage für die Planung einer individuellen Förderung/Therapie genutzt. Um zu überprüfen, ob die dabei ausgewählten Therapieinhalte und -ziele und die dabei verwendeten Methoden nach einem gewissen Interventionszeitraum das jeweilige Kind noch optimal unterstützen, wird Diagnostik als Verlaufskontrolle implementiert. Dieser auch als Re-Diagnostik bezeichnete Prozess ermöglicht im Anschluss eine ggf. notwendige Adaption der Interventionsinhalte, -ziele und/oder -methoden.
Evaluation des Therapieerfolgs
Im Sinne evidenzbasierten Arbeitens kann als weiteres, grundsätzliches Ziel des Diagnostizierens die Überprüfung und das Erbringen eines Nachweises über den Therapieerfolg angesehen werden (Beushausen/Grötzbach 2011). Die Evaluation von Interventionsmaßnahmen ist somit ebenfalls eine mögliche Zielstellung diagnostischen Vorgehens. Insbesondere im Forschungskontext wird die Nachkontrolle zur Stabilität des Therapieerfolgs nach einem therapiefreien Intervall diagnostisch erfasst (follow up). In Bezug auf die ICF kann sich die Evaluation auch auf die Partizipation, das persönliche Wohlbefinden oder andere outcome-Maße beziehen.
1.2 Diagnostisches Handeln und professionelle Expertise
Sprachheilpädagogische Diagnostik ist zunächst einmal Diagnostik, bedient sich gleicher Methoden und hat somit auch die an sie gestellten Kriterien zu erfüllen. Somit gilt auch für die Sprachdiagnostik als professioneller Erkenntnis- und Entscheidungsprozess die folgende Anforderung: Sie „[…] verlangt den Einsatz wissenschaftlich begründeter Vorgehensweisen und Verfahren durch besonders befähigte Personen – die oder den Diagnostiker(in)“ (Glück 2013a, 106).
Als „Experte“, so Beushausen (2013, 30ff.), bringt eine Person interpersonelle Fähigkeiten (soziale Kompetenz, kommunikative Kompetenz), professionelle Fähigkeiten (berufsspezifisch – als Therapeut, Lehrkraft), problemlösende Fähigkeiten, technische Fähigkeiten (das besondere Wissen einer Disziplin) und die Fähigkeit zur Integration von Wissen und Erfahrung mit und „[…] zeichnet sich durch das bewusste und zielgerichtete Anwenden von spezialisiertem Wissen und Kenntnissen aus.“ (Beushausen 2013, 29) (bei Beushausen 2013 sind diese Fähigkeiten und ihre Entwicklung ausführlich dargestellt). Das Kennen und der Einsatz von Diagnostikverfahren lässt sich demnach den technischen Fähigkeiten zuordnen, wobei Experten in allen diesen Bereichen außergewöhnliche Leistungen zeigen (Beushausen 2013, 30).
Von Knebel (2007, 1082) beschreibt als eine von zehn Qualitätsmerkmalen sprachbehindertenpädagogischer Professionalität die sprachdiagnostische Fundierung. Diese umfasst sowohl konzeptionelles Grundlagenwissen (Welche Daten sind mit welcher Zielstellung zu erheben?) als auch methodisches Handlungswissen (Wie können diese Daten erhoben und beurteilt werden?).
Die Diagnostik im Bereich Sprache und Kommunikation weist dabei eine hohe Komplexität auf, die durch die wechselseitige Abhängigkeit sozialer, kognitiver und linguistischer Funktionen entsteht. Im Sinne der ICF müssen Diagnostiker in der Lage sein, nicht nur die Funktionsebene zu prüfen, sondern ebenso Aktivität/Partizipation sowie Umwelt- und personelle Faktoren einzubeziehen. Nach Glück (in Vorb.) sind folgende Bereiche zu prüfen, welche die Komplexität des Gefüges deutlich machen:
■ hypothesengeleitete Prüfung der linguistischen Strukturebenen: phonetischphonologische, syntaktisch-morphologische, semantisch-lexikalische und pragmatisch-kommunikative Ebene
■ Erfassung der Laut- und Schriftsprache
■ Prüfung verschiedener Modalitäten (Produktion, Rezeption, Reproduktion und Reflexion)
■ Erfassung der Interaktion der (eingeschränkten) sprachlichen Kompetenzen mit Bildungsanforderungen
■ Abklärung sprachbasaler Voraussetzungen (insbes. periphere und zentral auditive Verarbeitung und Wahrnehmung, kognitive Basisprozesse)
■ Erfassung stützender oder hemmender Umweltfaktoren
Die Voraussetzung für eine professionelle sprachdiagnostische Tätigkeit ist nicht nur das Wissen über Sprache, Sprechen, Stimme, Schlucken und Kommunikation, sondern auch fundiertes Grundlagenwissen der Bezugsdisziplinen Medizin (anatomisch-physiologische Grundlagen zu Artikulation und Wahrnehmung), Neurolinguistik (Sprachverarbeitung und -produktion), Psychologie (Sprachentwicklung und kognitive Entwicklung), Linguistik, Soziologie und Pädagogik.
Die Tätigkeit von Diagnostikern hat gutachterlichen Stellenwert und verwaltungsrechtliche Konsequenzen (SMK 2005). Dies schließt die in diesem Rahmen getätigten Empfehlungen zur Art und zum Umfang der Förderung ein und greift so ggf. in entscheidendem Maße in die Lebensperspektive von Kindern und Jugendlichen ein (SMK 2005).
1.3 Notwendigkeit eines interdisziplinären Vorgehens
Kinder mit Sprachstörungen werden im Bildungssystem, im Gesundheitssystem und/oder via Komplexleistung nach den Sozialgesetzbüchern SBG IX (neu)/ Bundesteilhabegesetz (BTHG) und SGB XII in sprachtherapeutischen Praxen, (interdisziplinären) Frühförderstellen, Sozialpädiatrischen Zentren, heilpädagogischen Kitas und/oder durch sonderpädagogische Unterstützung im Unterricht in verschiedenen schulischen Settings versorgt (Sallat/Siegmüller 2016).
„Die diagnostischen Aufgaben in interdisziplinären Praxis-Teams […] verteilen sich über Ärzte, Psychologen und Sprachtherapeuten/Logopäden. Erstrebenswert ist, dass für die Sprachentwicklungsdiagnostik außerhalb solcher interdisziplinärer Einrichtungen Kooperationen zwischen ärztlichen, psychologischen und sprachtherapeutischen/logopädischen Praxen erfolgen, die eine ähnliche Aufgabenverteilung ermöglichen („Vier-Augen-Diagnostik“; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2007)“ (AWMF 2011, 46).
Für die sprachheilpädagogische Diagnostik wird in der Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK 1998) eine interdisziplinäre Diagnostik zum Verständnis der sprachlichen Beeinträchtigung und zur Planung von abgestimmten Förderintentionen als hilfreich erachtet, wobei neben den sonderpädagogischen Lehrkräften „[…] z. B. auch Ärztinnen und Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten wie Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Phoniatrie, Neurologie, Kieferorthopädie, Pädiatrie, Psychologinnen und Psychologen sowie Vertreterinnen und Vertreter medizinischtherapeutischer und