Die Industrielle Revolution. Rainer Liedtke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Liedtke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846333501
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die eine Grundvoraussetzung für die industrielle Entwicklung des Kontinents war.

      Neben England – und mit einiger Verzögerung Wales und Schottland – war Flandern der Ausgangspunkt für bahnbrechende Neuerungen im agrarischen Bereich. In dieser traditionellen Handelsregion stand aufgrund einer hohen Bevölkerungsdichte und vergleichsweise schlechter Böden nur wenig Acker- und Weideland zur Verfügung. Landgewinnung aus dem Meer konnte ein wenig Abhilfe schaffen, aber im Wesentlichen

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      wurden große Anstrengungen unternommen, das Land möglichst effizient zu bewirtschaften. Veränderungen in der Landwirtschaft sind schwierig zu periodisieren.

      Bis in die 1960er Jahre galt unter Historikern das halbe Jahrhundert zwischen 1760 und 1815 als klassische Zeit der „Agrarrevolution“. Dann jedoch zeigten Forschungen, dass zahlreiche substantielle Veränderungen bereits deutlich früher, teilweise schon im 17. Jahrhundert zumindest eingeleitet worden waren. Insofern handelte es sich um einen langsamen, evolutionären Prozess, der in Westeuropa begann, sich in Mitteleuropa teils deutlich später und in großen Teilen Süd- und Osteuropas erst im 20. Jahrhundert durchsetzte. Auch im frühen 21. Jahrhundert lässt sich in Bezug auf Entwicklungsländer noch von einem Fortdauern der landwirtschaftlichen Revolution sprechen. Es waren im Wesentlichen drei miteinander in Verbindung stehende Bereiche, in denen es zu grundlegenden Neuerungen kam: Ackerbau, landwirtschaftliche Gerätschaften und Viehzucht. Diese wurden unterstützt durch eine innovative Bewässerung des Bodens.

Ackerbau

      Die traditionelle mittelalterliche Nutzung des Landes, eine arbeitsintensive Subsistenzwirtschaft mit niedriger Produktivität, veränderte sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts kaum. Wenn aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse eine Ernte schlecht ausfiel, konnte dies bedeuten, dass nicht einmal mehr genügend Saatkörner für das nächste Jahr vorhanden waren, weil diese ebenfalls verzehrt werden mussten. Die Folge waren zyklisch auftretende Hungersnöte, die wiederum Krankheiten und Seuchen den Weg ebneten, welche die Bevölkerung dezimierten. Es musste nach Möglichkeit eine Balance gehalten werden zwischen den Anteilen des Farmlandes für den Getreideanbau und für die Viehwirtschaft. Weidendes Vieh diente nicht nur zur Fleisch-, Milch- und Wollproduktion, sondern war auch Düngerlieferant für die Getreidefelder. Wurde viel Fläche für die Getreideproduktion benötigt, weil nur so ausreichende Erträge zur Ernährung der Bevölkerung erzielt werden

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      konnten, stand damit automatisch weniger Weidefläche zur Verfügung. Das war weniger problematisch in Bezug auf Fleischgewinnung, führte aber zu einem Mangel an Dünger, was wiederum die Fruchtbarkeit der Getreidefelder für das nächste Jahr beeinträchtigte. Dieser Teufelskreis konnte erst durch den Anbau neuer Sorten durchbrochen werden, und zwar nicht nur von Feldfrüchten für den menschlichen Genuss, sondern auch von Gräsern, die als Tierfutter dienten. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, teilweise nach Vorbildern aus den Niederlanden, wurden in England und Teilen von Schottland und Wales neue Grassorten eingeführt, die robuster waren, schneller wuchsen und dem Boden weniger Nährstoffe entzogen als die traditionell dort vorhandenen. Erfolgreiche Zuchtexperimente ersetzten schrittweise die natürlichen, seit Jahrhunderten vorhandenen Gräser.

      Bei den Feldfrüchten bedeutete vor allem die Einführung von weißen Rüben, Klee und Raps einen wichtigen Durchbruch, denn diese konnten auch auf sehr nährstoffarmen Böden erfolgreich gedeihen und gaben der ausgelaugten Scholle sogar Nährstoffe zurück. Raps und Klee fanden als Viehfutter Verwendung, Rüben wurden von Vieh und Menschen verzehrt. Um 1760 hatten sich diese und einige andere „neue“ Sorten in England insgesamt durchgesetzt, was auch verdeutlicht, warum der Revolutionsbegriff für den agrarischen Wandel so problematisch ist. In einigen Regionen des Landes existierten schon im späten 17. Jahrhundert eifrige Rübenfarmer, aber es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis die Vorzüge dieser Frucht allgemein anerkannt wurden. Dies hing einerseits damit zusammen, dass es keine organisierte Unterweisung von Bauern gab, sondern diese einfach ihr Wissen von Generation zu Generation weitergaben. Andererseits war der Landbesitz so stark fragmentiert, dass es viele verschiedene Entscheider gab, die Neuerungen individuell einführten oder auch ablehnten.

      Eine weitere wichtige landwirtschaftliche Veränderung war die Rotation von Feldfrüchten. Hier waren Innovationen vor allem mit einem Namen verbunden: Charles Townshend (1674 – 1738), ein Angehöriger des englischen Hochadels, der nach einer längeren politischen Karriere die letzten Jahre seines Lebens mit landwirtschaftlichen Experimenten auf dem Familienstammsitz zubrachte und dort Erfahrungen aus Flandern

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      adaptierte. Seine Beschäftigung mit der Rübe brachte ihm den Beinamen „Turnip Townshend“ ein. Die unter anderem von ihm entwickelte und popularisierte Innovation in der Feldbewirtschaftung, nach Townshends Heimat „Norfolk System“ genannt, beinhaltete eine Rotation von vier Früchten: Weizen, Gerste oder Hafer, Gras und Rüben. Im Unterschied zur traditionellen Dreifelderwirtschaft, die stets ein brachliegendes Feld erforderte, erlaubte dies die kontinuierliche Nutzung aller vorhandenen Ackerbauflächen, was die Erträge erhöhte. Zusätzlich sorgten die verwendeten Sorten durch gezielten Nährstoffentzug oder -zufuhr für eine effizientere Regeneration der Böden, die so auf die jeweils nachfolgende Fruchtsorte vorbereitet wurden. Dadurch standen nicht nur mehr Früchte für den menschlichen Verzehr zur Verfügung, sondern auch eine erhöhte Menge an Viehfutter, was vor allem die Wintersterblichkeit des Viehs verringerte.

Landwirtschaftliche Technologie

      Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde überall gepflügt und gesät, wie es die Menschen schon seit Anbeginn ihrer Sesshaftigkeit getan hatten. Ein einschneidender Fortschritt war die Saatmaschine, die den Boden nicht wie ein Pflug aufriss, sondern nur ein kleines Loch in den Boden stach. In dieses wurde aus einem auf der Maschine befindlichen Kasten gezielt Saatgut befördert, bevor ein nachlaufender Arm das Loch wieder schloss. Dadurch konnte die Aussaat in mehrfacher Weise verbessert werden. Das präzise Verfahren benötigte weniger Saatgut, und durch die gleichmäßigen Abstände zwischen den gezogenen Pflanzen wurde die Ernte erleichtert. Die Körner waren besser geschützt, was die Keimrate verbesserte, und das Sähen beschleunigte sich erheblich, da die von Pferden gezogene Maschine in mehreren Reihen gleichzeitig säte. Der „Erfinder“ der Saatmaschine lässt sich schwer bestimmen, denn Vorläufer gab es bereits wesentlich früher in anderen Kulturen, unter anderem in China, aber auch in Norditalien im 16. Jahrhundert. Dennoch gilt wiederum ein britischer Adliger als maßgeblicher Entwickler der Saatmaschine, nämlich Jethro Tull (1674 – 1741), der sie 1708 vorstellte. Tull ersann noch

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      weitere innovative Techniken der Feldbewirtschaftung, unter anderem eine von Pferden gezogene, Unkraut jätende Hacke. Auch das moderne Design des Pfluges geht zum Teil auf Konzepte Tulls zurück. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden solche Neuerungen noch mit großer Skepsis betrachtet, und es dauerte teilweise mehrere Generationen bis sie sich tatsächlich durchsetzen und ihren wichtigen Teil zur landwirtschaftlichen Revolution beitrugen. Relativ rasch etablierte sich allerdings ein Gerät, das die sozialen Verhältnisse auf dem Land nachhaltig veränderte. Bis um 1760 die erste zuverlässig funktionierende Dreschmaschine durch den schottischen Mechaniker und Schlosser Andrew Meikle (1719 – 1811) vorgestellt wurde, war die Trennung des Korns von seiner Hülse mittels Dreschflegeln eine äußerst arbeitsintensive Tätigkeit, die saisonal zahlreichen Menschen Beschäftigung gab. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte setzte sich die zunächst durch Pferde, später meist mit Dampfkraft betriebene Dreschmaschine durch und entzog vielen einfachen Landarbeitern die Lebensgrundlage. Deren Wut entlud sich 1830 – 1831 in den so genannten Swing Riots, in deren Verlauf zahlreiche Dreschmaschinen zerstört wurden. Die Regierung ging hart gegen die Aufrührer vor, die sich spontan in zahlreichen Ortschaften zusammengerottet hatten und die Beseitigung der Dreschmaschinen forderten. Obwohl keine Menschen, sondern nur Maschinen