2.2.2 Handlungen, Ursachen und Gründe
Wir können die Besonderheit des Handelns unter einer philosophischen Perspektive auf andere Weise noch im Ausgang von der neuzeitlichen Philosophie beginnend mit Hobbes erkennen. Hier geht es grundsätzlich nicht im engeren Sinne um ein moralisches Handeln, mit dem der Mensch sich als wollendes, vernünftig überlegendes und in der polis lebendes Wesen zum Ausdruck bringt. Zunächst erscheint Handeln hier als eine Veränderung in der Welt der Dinge, die sich grundsätzlich wie alles übrige Geschehen [<<54] nach Ursache und Wirkung vollzieht. Lediglich der Ursprung einer solchen Veränderung ist im Falle des Handelns radikal von der Welt der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verschieden, denn er muss in einem Willensakt gesucht werden. Offenbar hält sich die aristotelische Auffassung vom Handeln bis zu einem gewissen Grade auch noch bis in diese radikal veränderte Gedankenwelt durch. Die Frage nach dem Handeln verlagert sich aber nun in die Frage nach dem Willen und seiner Fähigkeit, als Ursache in der Welt auftreten zu können, so dass er Wirkungen in der Außenwelt hervorrufen kann.
Dieses Problem setzt sich bis in die gegenwärtigen Debatten fort, die im Zusammenhang mit den Fortschritten der Gehirnforschung um Freiheit und neuronale Verursachung geführt werden. Man könnte sogar sagen, das zentrale Problem der ursprünglich in der angelsächsischen analytischen Philosophie ausgearbeiteten ‚Philosophie des Geistes‘ besteht in der Frage nach der ‚mentalen Verursachung‘. Es ist die Frage, ob und wie es zu verstehen ist, dass das Mentale (Geistige, Bewusste) zur Ursache in der physischen Welt werden kann, wenn doch das Denken des Physikalismus der physischen Welt einen durchgehenden Determinismus zuschreibt, so dass nur eine physikalisch beschreibbare Ursache eine Wirkung hervorrufen kann. Ist das Mentale aber eine solche Ursache, dann unterscheidet es sich gerade nicht von der physikalisch beschreibbaren Welt und ihrer Determiniertheit. Kann das Mentale aber auf diese Weise nicht zur Ursache werden, dann ist die Annahme seiner Existenz überflüssig – es macht für unsere Weltauffassung keinen Unterschied, wenn wir vom ‚Geist‘ als einem folgen- und bedeutungslosen Phänomen in der Welt sprechen.
Man könnte diese Frage im Zusammenhang unserer Thematik des Handelns auch so strukturieren: Entweder können wir handeln, d. h. durch Willensakte zu Ursachen in der Welt werden und damit auf die Welt wirken, oder wir können uns nur als Teil der physikalischen Welt verstehen und müssen unseren Zusammenhang mit der Welt und unser Leben in der Welt als Teil des auf dem gegenwärtigen Stande des Denkens nur mit den Mitteln der Physik angemessen zu beschreibenden Zusammenhangs von Ursachen und Wirkungen auffassen.
Auch wenn das Handeln in der Philosophie nach Aristoteles also von ethischen Determinanten gelöst wurde, so blieb es doch weiter ein Thema, das das Besondere des Menschen zum Ausdruck bringen sollte, obwohl es nur als Wirken in der Welt auf der Grundlage von Willensakten verstanden wurde. Einem bloßen Verhalten schreiben wir eine Verursachung im Willen offenbar nicht zu. Nur das Handeln ist nach dieser Vorstellung also das Ereignis in der Welt, in dem der menschliche Wille sich in das Verändern der Welt übersetzt.
In der Folge der aristotelischen Ansätze entstand deshalb schließlich eine Auffassung von Handlungen, in denen diese Theorie mithilfe dualistischer Auffassungen [<<55] des Geistes ausgeformt wurde. ‚Dualistisch‘ heißt hier, dass Geist und Materie als zwei Entitäten in der Welt aufgefasst werden, wohingegen eine ‚monistische‘ Auffassung dann vertreten wird, wenn mentale bzw. geistige Phänomene so auf materielle Prozesse zurückgeführt werden, dass sie nur noch Begleiterscheinungen der Letzteren darstellen, oder – was prinzipiell auch möglich wäre, obwohl es in der neueren Philosophie keine Bedeutung mehr besitzt –, wenn materielle Phänomene so von geistigen Prozessen abgeleitet werden können, dass ihnen keine eigenständige Wirklichkeit mehr zukommt. Ein mentaler Akt, wie etwa ein Willensakt, führt nach der dualistischen Auffassung dazu, dass ein materielles Ereignis stattfindet – wie etwa die Bewegung eines Armes, einer Hand und eines Fingers, der sich um den Abzug einer Pistole krümmt –, wodurch eine bestimmte Veränderung in der materiellen Welt ausgelöst wird. Durch den Willensakt werden also desire und belief in eine Handlung transformiert.
Wir könnten nun versuchen, von Handeln nur dann zu sprechen, wenn ein Mensch für sein Verhalten Gründe angeben kann. Dabei müssen wir aber die Unterscheidung zwischen Gründen und Ursachen beachten. Gibt jemand Ursachen für sein Verhalten an, so sagt er geradezu, er habe nicht gehandelt, obwohl es möglich ist, dass er einen Teil seines Verhaltens als frei und einen anderen Teil als verursacht auffasst, so dass er es teilweise als bloßes Verhalten und teilweise als Handlung zu verstehen sucht. Etwa könnte er ausführen, seine natürlichen Neigungen (= Ursachen) würden ihn zu Aggressionen führen, die er aber durch seine Willensanstrengung kontrolliert, so dass seine tatsächliche Handlung auf Gründen beruht, die jene Aggressivität nicht zum Ausbruch haben kommen lassen.
Von einem Grund im Unterschied zu einer Ursache wird in der philosophischen Tradition seit David Hume dann gesprochen, wenn sich ein Begehren (desire) mit einem Wissen bzw. einer Meinung (belief) des Handelnden verbindet. Die Meinung bzw. das Wissen ist deshalb wichtig, weil wir ohne Kenntnis der Zusammenhänge zwischen einem Verhalten und der Möglichkeit, durch dieses Verhalten ein Ziel zu erreichen, überhaupt nicht handeln würden. Die Basis für diesen Gedanken fand sich schon bei Aristoteles: Wir handeln mit Vorsatz, also willentlich, um ein Ziel zu erreichen. So weit scheint sich eine Handlung allerdings noch nicht von einem Verhalten zu unterscheiden. Das allerdings ist nicht ganz richtig, denn gemeint ist hier eine bewusste Einsicht in einen Mittel-Ziel-Zusammenhang. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, dass es sich wirklich so verhält, wie derjenige annimmt, der unterwegs zu einer Handlung ist, weshalb Hume eben von belief sprach und nicht von einem Wissen. Darin verbirgt sich ein Haltung, in der wir ein Bewusstsein von einem solchen Zusammenhang besitzen. [<<56]
Wir neigen zu der Annahme, dass Tiere nicht über eine solche ‚Meinung‘ verfügen, d. h. sich nicht so von sich selbst und von der Welt distanzieren können, dass sie ein Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Mitteln und Zielen besitzen. Wenn die Katze an der Schranktüre kratzt und wir das so auffassen, dass sie ihren ‚Dosenöffner‘ dazu bewegen will, ihr die Katzenkekse zu offerieren, so nehmen wir doch nicht an, dass sie sich diesen motivationalen (das Kratzen motiviert den ‚Dosenöffner‘) oder kausalen (das Kratzen hat als Wirkung das Öffnen der Türe, weil ihr Mensch nicht anders kann, als das Geräusch zu beseitigen) Zusammenhang bewusst gemacht hat. Insofern können wir nicht sagen, sie habe eine ‚Meinung‘ oder ein ‚Wissen‘ eingesetzt. Wir pflegen in solchen Fällen von einem gelernten Verhalten zu sprechen, d. h., das Tier hat durch Lernen das Kratzen an der Türe mit dem Erhalten von Leckereien verbunden und verhält sich nun gemäß dieser Konditionierung; es handelt sich also letztlich um etwas, das wir als ‚Reflex‘ bezeichnen. Wir sollten wiederum beachten, dass wir uns so nicht ausdrücken müssen, aber es handelt sich doch um die vorherrschende und übliche Verstehensweise bei Menschen, die keine Katzen anbeten.
Ein solches Wissen bzw. eine solche Meinung setzen wir jedoch nicht ein ohne ein Begehren (desire). Das ist ein nicht unproblematischer Begriff, weil er schon bei David Hume sehr Vieles umfasste. Es wurde vorgeschlagen, an seine Stelle den Ausdruck ‚Wunsch‘ zu setzen, der aber nur neue Probleme aufwirft, weil er in der deutschen Sprache zu eng ist. Deshalb wurde diskutiert, den künstlichen Ausdruck ‚Pro-Einstellung‘ zu gebrauchen, was nur leider den Nachteil hat, dass darin nicht notwendig das Streben enthalten ist, das zur Auffassung von Handlungen nach dem Muster von belief und desire gehört. Vielleicht wäre ‚das Angestrebte‘ ein besserer Ausdruck. Wie auch immer, entscheidend ist dabei, dass es sich nicht einfach um die Präsenz von etwas ‚Attrahierendem‘ im Denken oder Vorstellen handelt, sondern dass dieses